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Position: 25 Jahre Landtag Brandenburg: Mehr Demokratie wagen

Gedanken zum 25. Jahrestag der Konstituierung des Brandenburger Landtages. Ein Gastbeitrag von Linda Teuteberg (FDP).

In der alten Bundesrepublik hat es etwa 25 Jahre nach der Katastrophe des Nationalsozialismus gebraucht, bis es zu einem weiteren prägenden Einschnitt, einem zweiten Neuanfang kam. Verkörpert wurde dieser 1969 durch den Beginn der Kanzlerschaft Willy Brandts. Die von ihm geführte sozialliberale Koalition hatte „Mehr Demokratie wagen“ als damals hochumstrittenes Motto. Aus heutiger Sicht aber war dieser Machtwechsel unabdingbar. Er war nicht nur die Antwort auf ein vor allem unter jungen Menschen verbreitetes Unbehagen. Er entsprach einer Zeit, in der endlich ein ehrlicher, wenn auch zuweilen schmerzlicher Umgang mit dem mörderischen Erbe der Nazi-Diktatur beginnen konnte. In der Brandenburger Landespolitik warten wir leider bislang vergeblich auf den notwendigen zweiten Neuanfang.

„Ein starkes Stück! Unglaublich! Unerhört“ mag sich jetzt mancher ereifern wie 1969 Unions-Fraktionschef Rainer Barzel. Wird hier etwa die demokratische Legitimation der derzeitigen Brandenburger Landesregierung und ihrer Vorgänger bestritten? Mitnichten. Manchmal haben Zeitgenossen ihre Schwierigkeiten, die Erforderlichkeit dessen zu erkennen, was in ihrer Zeit umstritten ist und später als Errungenschaft geschätzt wird. Die Gefahr, dass hier unerhörte Veränderungen geschehen, die in 20 Jahren als unbedingt positiv eingeschätzt werden, ist derzeit leider gering. Auch die parlamentarische Opposition pflegt hier einen bescheideneren Stil als damals im Bundestag. Bezog sich der damalige Demokratisierungsehrgeiz nicht so sehr auf das Institutionengefüge des Grundgesetzes, sondern vor allem auf Veränderungen der Gesellschaft, so geht es heute in Brandenburg um die gelebte Demokratie in den Institutionen der Landesverfassung, um Verhalten und Haltung der Menschen, die Verfassungsorgane repräsentieren.

Wer vor dem Hintergrund dieses Rückblicks die 25-jährige Entwicklung im Osten Deutschlands, insbesondere in Brandenburg zu beurteilen versucht, den muss frösteln. Den entscheidenden Schritt vorwärts, den deutlichen Bruch mit der diktatorischen Vergangenheit haben wir noch nicht erreicht. Dafür mag es gewichtige Gründe geben – hier haben die Menschen eben nicht nur zwölf, sondern weitere fast 45 Jahre in einer Diktatur verbracht. Anpassung oder Emigration bestimmte die Lebensperspektiven. Der einzige Versuch einer Auflehnung scheiterte 1953 an der stalinistisch geprägten Sowjetunion. Aber lange nicht alles an der politischen Kultur Brandenburgs lässt sich damit erklären. Der politische Stillstand, das Verharren in autoritär geprägten Strukturen ist mindestens ebenso Ausdruck von leider erfolgreichen Bemühungen des Machterhalts um fast jeden Preis. Die Partei Willy Brandts hat sich in Brandenburg dafür bereits zum zweiten Mal nach 1990 mit den Nachfolgern der SED verbündet. Und anstelle von mehr Demokratie erleben wir eine absurde Neuinterpretation der Volksherrschaft.

Exemplarisch dafür steht der Vergleich des Landesparlaments mit einem Orchester, den die Landtagspräsidentin vor Kurzem aufstellte. Das war leider kein Ausrutscher, sondern vielmehr Ausdruck einer Sichtweise auf die durch Wahlen legitimierte Volksvertretung, die ein Fremdeln mit den notwendigen und im Übrigen auch produktiven Auseinandersetzungen eines lebendigen Parlamentes offenbart. Die Landtagspräsidentin hat nicht gesagt, wer denn die Partitur ihres Orchesters schreibt oder auswählt und wer dirigieren soll. Und wer gar vermeintlich falsch spielende Abgeordnete zu maßregeln hat. Spätestens dann wäre ihr Vergleich zu offenkundig unpassend geworden. Aber die in Brandenburg seit 1990 ununterbrochen regierende Partei benimmt sich so, als sei sie diejenige, die ganz naturgemäß die Tonfolge bestimmt und den Takt vorgibt. Unabhängig vom jeweiligen Wahlergebnis widerspricht diese Haltung dem Geist der Verfassung. Der Landtag ist nicht etwa der Ort einer harmonischen Aufführung, sondern Forum der politischen Debatte, des Wettbewerbs um die besseren Ideen und Lösungen für das Land. Die Vorstellung, dass dabei Konsens und Einstimmigkeit ein Wert an sich seien, ist infantil. Die Bürger haben verschiedene Parteien und Personen gewählt. Weshalb sollten sich diese zwischen den Wahlkämpfen plötzlich einig sein? Meinungsvielfalt ist nicht etwa Defizit, sondern Wesenselement der Demokratie. Reife Demokraten verbinden die Gewissheit über den Konsens, den unser Grundgesetz einfordert, mit der Fähigkeit und Bereitschaft, sich im Übrigen deutlich und öffentlich nachvollziehbar auseinanderzusetzen. Hart in der Sache und verbindlich im Umgang zu sein schließt sich nicht aus.

Die Flucht in die falsche Harmonie aber ist die Ursünde jenes „Brandenburger Weges“, mit dem zweieinhalb Jahrzehnte ein wirklicher Neuanfang verhindert wurde. Wer widerspricht, dem wird über den Mund gefahren. Wer zweifelt, dem wird Destruktion unterstellt. Wer nachfragt, dem wird Geduld nahegelegt. Es werde bei ihm in Potsdam kein Aufbegehren geben wie einst im Westen 1968, hat einmal Matthias Platzeck stolz verkündet. Leider hat er damit Recht behalten bislang. Es gibt in der Landeshauptstadt so gut wie keinen Ort, an dem mit der nötigen Klarheit die Kontroversen zur Entwicklung im Lande ausgetragen werden. Das Flughafen-Milliardengrab ist die fast schon zwangsläufige Folge solch stillschweigender Eintracht. Das passt zur allzu verbreiteten Vorstellung, dass es nicht Aufgabe der politischen Opposition sei, die Regierung zu kritisieren, sondern sie in ihrer Arbeit zu unterstützen. Die Zeiten von Einheitslisten und Nationaler Front müssen nicht nur formal, sondern auch im politischen Alltagsgebaren vorbei sein.

Wie aber soll das dann weitergehen – im Sinne von vorangehen? Politische Akteure jeder Couleur in Brandenburg haben es sich zu bequem gemacht, sich zu sehr angepasst an die sozialdemokratische Harmonielehre. Was wir brauchen, ist der entschiedene, der unmissverständliche Widerspruch. Ich weiß, dass dies nicht einfach ist. Da gibt es subtile Mittel, um Widerspruch zu bestrafen. Wer allzu laut widerspricht, wird vom Hofe verbannt. Aber damit muss man leben können. Man muss nicht mitspielen in diesem überaus dürftig auftretenden Orchester. Und ich bin mir sicher, dass mit den Gehversuchen in Richtung eines selbstbewussten Bürgertums allmählich auch die Freude an Widerspruch und Wettbewerb wächst. Ebenso engagierte wie selbstbewusste Bürger und Abgeordnete sind diesem, unserem Land zu wünschen, damit für Brandenburg gilt, womit Willy Brandt einst seine erste Regierungserklärung beschloss: „Wir stehen nicht am Ende unserer Demokratie, wir fangen erst richtig an!“

Die Autorin ist stellvertretende Landesvorsitzende der Freien Demokraten (FDP) und war von 2009 bis 2014 Mitglied des Landtages Brandenburg.

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