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MÜCKENKUNDE: Die Mückenjäger

Die Mücke, das unbekannte Wesen. Im brandenburgischen Müncheberg erforschen Wissenschaftler im Regierungsauftrag das Insekt. Eine Plage sehen sie nicht

Müncheberg - Doreen Werner schlägt später zu. Sie schaut vorher noch genau hin, welche Art von Mücke sie gleich töten wird. Manchmal fängt sie auch eine und nimmt sie mit zur Arbeit. Die 44-Jährige leitet am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung im brandenburgischen Müncheberg (Märkisch-Oderland) im Auftrag der Bundesregierung seit 2011 ein deutschlandweites Projekt zur Mückenforschung. In den vergangenen Monaten, mit dem Hochwasser und den überfluteten Äckern, sprachen alle über Mücken, über eine Plage. „Ob es eine Plage ist, kann ich nicht sagen, aber es gibt in einigen Regionen ein erhöhtes Aufkommen“, sagt Werner. Die Zutaten sind in diesem Jahr bestens: Es ist warm und feucht, besonders nach der Flut entlang der Elbe und im Havelland. Und überhaupt in Brandenburg mit seinen vielen Seen, Flüssen und Feuchtgebieten.

Die Klage über die Mückenplage aber ist groß. Auf Antrag der CDU-Fraktion befasst sich der Umweltausschuss des Landtags damit. Die CDU fordert von der Landesregierung harte Maßnahmen. Vorbild ist der Oberrhein, wo eine kommunale Arbeitsgemeinschaft an 300 Kilometern Uferzone ein Mittel einsetzt, durch welches das Bakterium Bacillus thuringiensis israelensis (bti) entsteht – es zerstört bei den Mückenlarven die Darmwand. Das Mittel ist bei Naturschützern umstritten. Das Umweltministerium ist skeptisch, Brandenburg mit den Flüssen und Seen sei viel zu groß für einen derartigen Einsatz gegen diePlagegeister.

Die gemeine Stechmücke kennt jeder, sie gedeiht in Tümpeln und Regentonnen, sie summt jeden Sommer herum, angezogen vom Körpergeruch der Menschen und dem Kohlendioxid (CO2) in der ausgeatmeten Luft, wartet auf den rechten Augenblick und setzt an zum Blutsaugen. Ganz anders sind die Mücken in den Hochwasserregionen, Überschwemmungsmücken genannt. Ihre Eier überleben Jahre in Trockenheit und Frost. Kommt das Wasser, entschlüpft die Brut mehrerer Mückengenerationen. Diese fünf Milimeter großen Tiere sind besonders aggressiv. Die Forscher um Doreen Werner haben es beim Feldversuch erlebt. „20 bis 30 Anflüge pro Minute, die sind sehr penetrant und nicht zögerlich im Anflug. Die Mücken setzten an und stechen zu.“ So wird es im Havelland, das durch das Elbhochwasser teils überflutet war, noch eine Weile bleiben. Werner sagt: „Wenn Leute sich entscheiden, in eine Flussaue zu ziehen, dann können sie nicht erwarten, dass sie eine sterile Umgebung haben.“

Aber Mücke ist nicht gleich Mücke, nicht jedes Jahr kommt ein Hochwasser. Es gibt etwa 45 Mückenfamilien, nur drei sind als Blutsauger relevant, der Rest – wie die Schnaken – tut nichts. Entlang der Oder seien Kriebelmücken ein Problem, sagt Doreen Werner. Sie sind im Frühjahr aktiv. „Die hört man aber nicht“, sagt Werner. Nach dem Stich zeigt der Körper teils heftige Reaktionen: Schwellungen, Juckreiz und Rötungen. Dann gibt es die Gnitzen. Sie sind der Grund, warum die Mücken erforscht werden. Nach dem Ausrotten des Malaria-Erregers in den 1950-er Jahren lag die Mückenkunde brach. 2006 schreckten die Behörden auf. In Mitteleuropa bekamen Rinder, Ziegen und Schafe die Blauzungenkrankheit, übertragen durch heimische Gnitzen. Bis dahin galt, dass die Mückenarten, die die Blauzungenvirus in sich tragen, im Mittelmeerraum beheimatet sind. „Das hat ziemlich eingeschlagen bei der Politik“, sagt Werner. Die Frage stand im Raum: Was wäre, wenn hiesige Mückenarten für Menschen gefährliche Krankheiten übertragen?

Seither forscht die Biologin mit einem Team und erstellt einen Mückenatlas. Deutschlandweit sind an 120 Orten Fallen aufgestellt.Jeder Bürger kann mitmachen. Die Mücken müssen lebend gefangen, im Tiefkühler getötet und dann eingeschickt werden. Es gab fast 3000 Einsendungen, 30 Mückenarten konnten bestimmt werden – auch Invasoren. Wie die Asiatische Buschmücke. Über die Alpen hat sie es bis nach Hannover geschafft. Sie könnte das gefährlich West-Nil-Virus übertragen, sagt Helge Kampen, der eine Mücken-Forschungsgruppe beim Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit auf der Insel Riems leitet und die von Werner gefundenen Mücken untersucht. Auch die Asiatische Tigermücke wurde gefunden, die in tropischen Gefilden das Denguefieber überträgt. Die Forscher wissen noch nicht, ob die heimischen Mücken diese gefährlichen Viren auch übertragen können. In Südeuropa gab es schon Erkrankungen. In Italien ist das Gelbfieber-Virus aufgetreten. Und in Brandenburg ist in Mücken der Hundehautwurm entdeckt worden. 2009 gab es in Berlin einen Malaria-Fall. „Man sollte jetzt keine Panik machen, die Situation aber gut beobachten“, sagt Kampen. Biologin Doreen Werner jedenfalls klagt nicht. „2012 war ein sehr schlechtes Mückenjahr, dieses Jahr ist es hervorragend.“

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