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Brandenburg: Mauerfall im Morgengrauen

Mit schwerem Gerät wurden am eisigen Mittwochmorgen erneut Teile aus der bemalten Mauer-Galerie herausgetrennt – mit viel Polizei und wenigen Protestlern. Senat und Bezirk wollen nichts gewusst haben

Es ist fünf Uhr morgens, als der Bagger ratternd seine eigene Sprache spricht. Vier Segmente alte, bunt bemalte Berliner Mauer reißt er aus der East Side Gallery, bewacht von 250 Polizisten. Eine minutiös geplante Aktion unter höchster Geheimhaltung. Nicht mal der Senat will davon gewusst haben.

Gegen sechs Uhr erhält Senatssprecher Richard Meng eine Info per SMS.

War nicht gerade die ganze Stadt mit Krisengesprächen befasst, um das längste noch erhaltene Mauerstück zu sichern? Noch am Montag saßen sie zusammen, der East-Side-Investor Maik Uwe Hinkel und Franz Schulz (Grüne), Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg. Am Dienstag dann die große Runde im Roten Rathaus: Feuerwehr, Baubehörden, Architekten und der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Das Thema ist immer das gleiche: Das Mauerdenkmal retten. Aber die Bauarbeiten gehen weiter, und der Bauherr Hinkel verliert langsam die Geduld.

„Wir hatten seit Wochen das Gefühl, dass Herr Hinkel auch mit dem Gedanken spielt, Fakten zu schaffen“, sagt Meng. Gestern Nachmittag dann das nächste Treffen, wieder in großer Runde im Roten Rathaus. Wowereit verkündet anschließend, man habe sich mit den Investoren geeinigt, weiter an einer Lösung zu arbeiten. „Klares Ziel ist, dass die Baulücke wieder komplett geschlossen wird.“ Der Abriss der Mauersegmente sei überraschend gekommen, „ein Affront“ des Investors, den er aber nicht persönlich nehme.

Sechs Meter breit sind die neuen Fakten, als der Bagger abrückt. Die Mauerlücke wird gut bewacht. Bei Eiseskälte stehen Dutzende Polizisten in Grüppchen am Durchbruch, rot-weiße Geländer schirmen den Bereich ab. Und auch hinter der Mauer werden Fakten geschaffen: Ein riesiger, orangefarbener Bohrer treibt unter großem Getöse Löcher in den Boden, mehrere Bagger heben auf dem ehemaligen Todesstreifen eine Grube aus. Der Ansturm der Demonstranten bleibt derweil aus. Trotz einer erst vor kurzem eingerichteten Mahnwache an der Mauer hat die Nacht- und Nebel-Aktion auch die Bebauungsgegner im Schlaf überrascht.

„Alles wird jetzt noch verrückter“, sagt Franz Schulz, „das kriege ich nicht zusammen“. Investor Hinkel habe zugesichert, die Mauer nicht mehr anzutasten, solange die Gespräche laufen. Auch er habe von der Aktion nichts gewusst, beteuert Schulz. Die Polizei dagegen war seit einer Woche informiert, dass eine Baustellenzufahrt geschaffen werden sollte. Nur der genaue Termin für den Abriss sei kurzfristig mitgeteilt worden, sagte ein Sprecher. Und der Innensenator. Was wusste der? „Dass dieser Einsatz durch Baumaßnahmen des Investors tatsächlich erforderlich wird, hat sich erst heute Morgen bestätigt und ist der Innenverwaltung demzufolge zur Kenntnis gelangt“, erklärte ein Sprecher von Innensenator Frank Henkel.

Investor Hinkel geht am Morgen nicht an sein Handy. Stattdessen verschickt seine PR-Agentur eine ausführliche Mitteilung. Auch die ist offensichtlich von langer Hand vorbereitet. Man setze die Bauarbeiten fort und habe dazu eine „provisorische Bauzufahrt“ eingerichtet. Alles temporär, versichert Hinkel.

Und warum im Schutz der Dunkelheit und bei höchster Geheimhaltung?

„Wir haben alle maßgeblichen Stellen informiert“, erklärt ein Sprecher des Investors. Welche das sind, sagt er nicht. Seit vier Wochen verhandele man mit Senat und Bezirk – ohne Ergebnis. „Unser Vorschlag für eine gemeinsame Zuwegung der Grundstücke liegt dem Bezirksamt vor, darauf gab es keine Reaktion.“

Konnte es gar nicht geben, kontert Schulz. Das Papier habe man erst am Montag erhalten. Am Dienstag hätten die Fachleute darüber beraten, anschließend sollte mit den Investoren geredet werden.

Hinhaltetaktik und öffentliche Inszenierung spielen eine große Rolle in diesem Stück, sie werden dem Investor nun vorgeworfen. Der wolle eigentlich nur fertigbauen, heißt es aus Senatskreisen, mit eigener Zufahrt durch die East Side Gallery. Das aber ist auch sein gutes Recht. Alle Genehmigungen liegen vor. Um den „notwendigen Fluchtweg“ für die Besucher des künftigen öffentlichen Uferweges an der East Side Gallery zu gewährleisten, sei „die separate Maueröffnung zwingend erforderlich“, heißt es von Hinkels Seite. Die bislang diskutierten Alternativvorschläge – Ersatzgrundstück oder Verzicht auf eine weitere Mauerlücke als Zufahrt - „erweisen sich nach umfassender Prüfung als sehr schwierig“. Das klingt nicht nach glühender Kompromissbereitschaft.

Doch selbst die Grünen wollen den Investor jetzt nicht zum Buhmann erklären. „Wir sollten nach vorne schauen“, sagt die Fraktionsvorsitzende Antje Kapek. „Es ist fünf nach zwölf.“ Alle Beteiligten sollten an einer Einigung arbeiten. „Investorenschelte ist fehl am Platze“, sekundiert Florian Graf, Fraktionschef der CDU. „Ich hoffe, dass es jetzt keine Schäden an dem Mauerdenkmal gibt, die nicht wieder zu beheben sind.“

Nur Linke und Piraten sind in Alarmstimmung. „Bezirk und Senat dürfen die Nacht- und Nebelaktion nicht hinnehmen“, sagt Pirat Wolfram Prieß. „Die Genehmigung muss ausgesetzt, ein Baustopp verhängt werden“, verlangt Katrin Lompscher, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linken.

Die Organisatoren der East-Side-Proteste erklären die Vermittlungsversuche des Regierenden Bürgermeisters für gescheitert. Sie rufen für den heutigen Donnerstag ab 16 Uhr zu einer Demo vor dem Roten Rathaus auf.

Klar ist, dass die Geheimhaltung ihr Ziel erreicht hat: Die Maueröffnung konnte ohne störende Demonstranten vollzogen werden. Lediglich zwei Vertreter der Initiative „Mediaspree versenken“ hielten Mahnwache. Fast ein wenig einsam standen sie mit ihrem kleinen Wohnmobil zwischen den Polizeiautos. „Wer in einer Nacht- und Nebelaktion die Mauer abreißt, legt keinen Wert auf demokratische Prozesse“, sagt Robert Muschinski. Es sei ein typischer Fall, bei dem Privateigentum mit Polizeigewalt geschützt werde und „Allgemeingut mit Füßen getreten wird“.

Wowereit erteilt einer großen Lösung, einem Grundstückstausch, erneut eine Absage. Das würde Schadensersatzforderungen in zweistelliger Millionenhöhe nach sich ziehen. „Mir geht es um den Erhalt der East Side Gallery.“ Hinkel hatte bereits öffentlich eine Entschädigung für die bisherigen Bau- und Planungskosten angemeldet, sollte er auf ein Ersatzgrundstück ausweichen. Wowereit „blockiere“ eine große Lösung und suche erst gar nicht nach Alternativflächen, klagt Schulz. Aber selbst die kleine Lösung einer gemeinsamen Zufahrt für beide Grundstücke geht nicht ohne Kompensationen. Der Investor des benachbarten Hotels habe bereits Umplanungen vorgelegt. Dafür müsse er einen Ausgleich erhalten, in Form von „Befreiungen“ von baurechtlichen Vorgaben, sagte Wowereit. Vielleicht darf das Gebäude etwas höher werden. Hinkel wolle für seinen Wohnturm „Living Levels“ die Pläne jetzt überarbeiten. Wenn das klappt, könnte Wowereit am Ende doch noch als Retter der East Side Gallery auftreten. Oder die „Chefsache East Side Gallery“ erweist sich als weitere Chefpleite. 13 Etagen soll der Wohnturm haben, der unter „Living Levels“ oder „Living Bauhaus“ firmiert. Dass dort Luxuswohnungen für Neuberliner entstehen, weist Hinkel zurück. Aber der Standort an der East Side Gallery, mitten im szenigen Friedrichshain, sei von den Käufern der Wohnungen gefragt. 20 der 36 Wohnungen sind verkauft. Sollte „Living Levels“ umziehen an den Osthafen oder auf die Halbinsel Alt-Stralau, werden nicht alle Käufer mitziehen und ihrerseits Schadensersatz fordern. Auch diese Kosten würde der Investor auf die Allgemeinheit umlegen.

Die neue Mauerlücke wird demnächst mit einem Tor geschlossen. Alles provisorisch, erklärt Hinkels Seite. Eine Verpflichtung, die Lücke irgendwann wieder zu schließen, gibt es derzeit nicht.

Derweil sind die Lücke und der Protest drumherum schon Teil der Touristenattraktion geworden. Rico Valtin und seine Kollegen nutzen ihre Mittagspause für ein bisschen Protest. Auf die Rückseite von Werbeplakaten haben sie Parolen geschrieben. „Very funny – now bring it back“, steht da. Seine Start-up-Kollegen kommen aus Australien, den USA und Österreich. „Für die ist die East Side Gallery das internationale Zeichen für Berlin“, sagt der PR-Manager, „die können nicht verstehen, warum wir die abreißen wollen“. Dann zieht er weiter, immer an der Mauer entlang. Zwischendurch bleiben die fünf Plakatehalter stehen, um sich von Touristen ablichten zu lassen.

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