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Kommunal- und Europawahl: Gradmesser für die Brandenburg-Wahl

Die Wahlen am Sonntag sind in Brandenburg ein wichtiger Testlauf für den 1. September 2019. Dann finden die Landtagswahlen statt und dafür bringen sich die Parteien jetzt in Stellung.

Potsdam - Dietmar Woidke hat ein Weißbier vor sich auf dem Tisch stehen und plaudert launig in einer Potsdamer Bar über seine Kindheit in Forst und darüber, warum er 1994 in die Landespolitik gegangen ist – „aus Sorge um den Zusammenhalt in der Gesellschaft“. Es ist der Auftakt zur Kommunaltour der Brandenburger SPD Mitte April. Ministerpräsident Woidke, der bei der Landtagswahl im September um den Machterhalt fürchten muss, reist unter dem Motto „Dietmar Woidke, sag’ doch mal!“ durch die Kneipen des Landes, um vor Kommunalwahl- und Europawahlen am Sonntag – beide gelten als Gradmesser für die Brandenburg-Wahl in drei Monaten – mit dem Bürger und den Genossen an der Basis ins Gespräch zu kommen.

Doch sein Parteifreund Mike Schubert, seit vergangenem Herbst Oberbürgermeister in Potsdam, kommt verspätet zur Bierchenrunde. Dass ihm nicht nach Smalltalk ist, sieht man ihm an, aber dann sammelt er sich, lässt sich nichts anmerken. Es ist der Abend, an dem Schubert, einen Tag vor dem Öffentlichwerden der Neuigkeit, erfahren hat, dass Woidke das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur von Potsdam nach Cottbus verlegen will, um die Lausitz zu stärken – ohne mit dem Rathauschef aus der eigenen Partei vorher darüber gesprochen zu haben.

Unterschiedliche Interessenlagen

Über den Strukturwandel in der Lausitz wie Ministeriumsumzüge wird bei der Kommunalwahl natürlich nicht direkt entschieden, aber das in den vergangenen Wochen viel diskutierte Thema zeigt, wie unterschiedlich die Interessenlagen auf kommunaler und Landesebene sein können, auch innerhalb der eigenen Reihen und wie das die Wahlkämpfe verkompliziert. Beim selben Thema funkte CDU-Parteichef Ingo Senftleben, dem Woidke-Herausforderer, ebenfalls ein Parteifreund dazwischen. Während Senftleben den Umzug des Wissenschaftsministeriums strikt ablehnt und stattdessen laut Wahlprogramm ein eigenes Lausitz-Ministerium aufbauen will, hat der Cottbuser CDU-Oberbürgermeister Holger Kelch den Woidke-Plan sehr begrüßt.

Oberbürgermeister bangen um Mehrheiten

In 413 Brandenburger Kommunen wird am Sonntag gewählt, Ortsbeiräte, Gemeindevertretungen und Stadtverordnetenversammlungen werden bestimmt – unter anderem auch in den zwei größten Städten des Landes Potsdam und Cottbus. Für die beiden Oberbürgermeister – der eine neu im Amt, der andere seit zwölf Jahren – geht es darum, sich in der Stadtverordnetenversammlung Mehrheiten zu sichern. Potsdams SPD wirbt ganz offensiv: Drei Stimmen für die SPD sind drei Stimmen für Schubert. Bei der vergangenen Kommunalwahl lag in Potsdam die Linke vorne. Die SPD ging eine Kooperation mit CDU/ANW und Grünen ein, die aber später platzte.

In Cottbus hingegen ist die Sorge groß, dass die AfD stark wird, bei der Kommunal- und dann auch bei der Landtagswahl. Das Thema Strukturwandel nach dem Kohleausstieg wird dort bei beiden Wahlen eine wichtige Rolle spielen.

Und ein weiteres Sujet gibt es, das bei Kommunal- und Landtagswahl von Bedeutung ist: Kinderbetreuung. Das Chaos bei den Kitagebühren, die in jeder Kommune variieren und unterschiedlich berechnet werden, bringt die Wähler in Wallung. Woidkes Plauderstündchen in der Bar, zu dem hauptsächlich die lokale SPD-Nomenklatura gekommen ist, wird moderiert von Katja Poschmann, 39 Jahre alt, Spitzenkandidatin für die Landtagswahl im Havelland. Poschmann ist Newcomerin, erst seit 2014 in der SPD. Zur Politik kam sie über ihre Kinder: Sie gründete 2015 die Initiative „Eltern für Rathenow“, die sich für eine Abschaffung der Kitagebühren einsetzte. Auch in Potsdam kandidiert fürs Stadtparlament mit Wiebke Kahl eine Frau, die aus der inzwischen sehr aktiven Eltern-Kitabewegung in Brandenburg stammt und die nun den Weg in eine Partei, in dem Fall die Linke, fand.

CDU will Ergebnis von 2014 ausbauen

Die Brandenburger Kommunalwahl hat aber auch Bundes-Promis zu bieten. In Potsdam kandidiert Linda Teuteberg für die Stadtverordnetenversammlung. Aber nach ihrer Ernennung zur Generalsekretärin der FDP gibt es große Zweifel, ob sie ihr kommunales Mandat überhaupt antreten würde. Sie selbst antwortet ausweichend auf die Frage. Ihre Partei schnitt, aufs ganze Land gesehen, bei der Kommunalwahl 2014 sehr mäßig ab. Die CDU lag vor fünf Jahren mit 24,8 Prozent knapp vor der SPD mit 24,5 Prozent. Auf Rang drei folgte die Linke mit 20,2 Prozent, dann Grüne (6,2) und FDP (4). Die erst 2013 gegründete AfD spielte bei der damaligen Wahl mit 3,9 Prozent noch keine große Rolle – das dürfte nun deutlich anders werden, auch wenn laut einer Umfrage des rbb die Brandenburger der AfD keine große kommunalpolitische Kompetenz zusprechen und diese zuerst bei der SPD sehen. Die CDU will ihre Stellung als stärkste kommunale Kraft von vor fünf Jahren verteidigen und noch ausbauen. „Das ist die Grundvoraussetzung, um am 1. September erfolgreich zu sein“, erklärt CDU-Landeschef Senftleben.

Bei der auch damals am selben Tag stattfindenden Europawahl 2014 ergab sich ein anderes Stimmungsbild, die Plätze waren getauscht: Die SPD wurde stärkste Kraft, gefolgt von CDU und Linke. Die Europawahl am Sonntag steht für die Brandenburger SPD aber unter keinem guten Stern. Der Skandal um ihren Europakandidaten Simon Vaut, einem Berliner, der als Lügner mit gefälschter Brandenburg-Vita enttarnt wurde, ist noch nicht vergessen. Die Ersatzkandidatin Maja Wallstein, früher Juso-Chefin in Brandenburg, macht nun engagiert Wahlkampf, aber die märkische SPD steht auf der Bundesliste nur auf Platz 22. In der Potsdamer Kneipe lässt Woidke das Thema lieber aus. Abwarten und Weizen trinken.

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