zum Hauptinhalt
Sexy, aber nicht mehr so arm – mein Berlin. So heißt das Buch, das der ehemalige Regierende Bürgermeister und SPD-Vizechef Klaus Wowereit geschrieben hat (Verlag Edel Books). Darin blickt er zurück auf 13 Jahre im Roten Rathaus und erklärt die Berliner Politik, wie er sie sieht.

© Kai-Uwe Heinrich

Klaus Wowereit im Interview: „Es darf auch mal gelacht werden“

Berlins ehemaliger Regierungschef Klaus Wowereit (SPD) über die Probleme der wachsenden Stadt, Fehler in der Wohnungspolitik, die Dauerbaustelle Flughafen BER, die Lage in der SPD und seine Zeit nach dem Rückzug aus der Politik

Herr Wowereit, Sie haben wieder ein Buch geschrieben. Ist bei Ihnen Langeweile ausgebrochen?

Ach was. Ich bin weiter neugierig auf Berlin. Und hoffentlich sind auch noch viele Leute neugierig auf mich.

Im Vorwort schreiben Sie, dass Berlin die Hauptstadt aller sein soll, nicht nur der Berlinerinnen und Berliner.

Für andere Hauptstädte in Europa und der Welt ist diese Rolle selbstverständlich. Aber Berlin hat eine schwierige Vergangenheit und wurde erst nach einer knappen Entscheidung des Bundestags Parlaments- und Regierungssitz. Zu verstehen, dass auch der föderale deutsche Staat eine starke Hauptstadt braucht, die das Land nach außen repräsentiert, musste erst gelernt werden. Noch immer gibt es Konkurrenz mit anderen deutschen Städten, die Angst haben, dass ihnen etwas weggenommen wird. Und leider haben die Berliner oft zu wenig Selbstbewusstsein, wenn es um ihr Bild von der eigenen Stadt geht. Die hauen da lieber selber noch mal drauf.

Aber wie viel Berlin steckt denn noch in Berlin? Wächst nicht auch innerhalb der Stadt die Konkurrenz – zwischen den Alteingesessenen und den Zugewanderten, denen die Schuld daran gegeben wird, dass es in der Hauptstadt immer enger, stressiger und teurer wird?

Es sind, so glaube ich, nicht die alten Berliner, die jammern. Sie haben die wechselvolle Stadtgeschichte selbst erlebt und viel ertragen müssen. Ich glaube, es sind eher jene, die noch nicht so lange hier sind, aber ein nettes Refugium für sich gefunden haben und sagen: Veränderung ja, aber nicht bei mir um die Ecke. Es kann aber nicht so bleiben wie es war. Diese Stadt hat nur in der Veränderung eine Chance.

Knapper Wohnraum, steigende Mieten – das ist ein großes Problem der wachsenden Stadt. Haben Sie das Thema in Ihrer Amtszeit unterschätzt, was würden Sie heute anders machen?

Hätten wir im vergangenen Jahrzehnt gewusst, dass Berlin so enorm wachsen würde, hätten wir keine öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften verkauft. Aus heutiger Sicht war das ein Fehler, damals war es angesichts des großen Leerstands naheliegend.

Was wäre denn heute, aus Ihrer Sicht, die richtige Wohnungspolitik?

Es muss neu gebaut werden, ganz klar. Aber die Mischung muss stimmen, damit nicht nur Luxusappartements, sondern bezahlbarer Wohnraum entsteht. Wir brauchen dafür zügige Baugenehmigungen, die aktuellen Zahlen befriedigen nicht. Die knappen Flächen müssen besser ausgenutzt werden, wir brauchen bauliche Verdichtung. Mietpreisbegrenzung bei Modernisierungen ist ebenfalls wichtig, aber auch genug Wohnungen für Studierende. Zurzeit sind es etwa 10 000, vielleicht brauchen wir 20 000 Studentenwohnungen. Und: Wir hatten früher viel mehr Seniorenwohnungen. Auch ältere Menschen müssen die Chance haben, mitten in der Stadt zu wohnen.

Wo sollen die neuen Wohnungen denn hin? Auf die Dächer, auf die Kleingartenanlagen, ins Umland?

Die Debatte um Platz ist wichtig. Aber ich finde, dass die Kleingartenkolonien nicht nur für die Laubenpieper, sondern für die ganze Stadt von ökologischem und sozialem Nutzen sind. Erst einmal sollten alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Man kann beispielsweise höher bauen, auch wenn das in Berlin nicht besonders populär ist. Aber es geht ja nicht um Wolkenkratzer.

Sie beklagen in Ihrem Buch die Schnelllebigkeit und den Stress in der Politik, die kaum noch ein Privatleben zulassen. Führt das nicht auch dazu, dass Politiker immer stromlinienförmiger werden?

Zuerst einmal bitte ich darum, die Politiker und ihren schwierigen Job zu respektieren. Die meisten von ihnen arbeiten hart daran, die Welt zu verbessern. Was in dieser hektischen Zeit fehlt, das ist die Zeit, Grundsatzfragen in Ruhe zu diskutieren, auch intern, ohne das alles gleich herum getwittert wird. Die Zeit für Reflexion und Expertise wird in der Politik leider immer weniger.

Dagegen lässt sich nichts machen?

Gewerkschafter würden sagen, wir brauchen mehr Personal. Aber es gibt nur einen Regierenden Bürgermeister und der soll möglichst jederzeit überall sein. Und das Amt lässt sich nicht teilen. Aber es wäre beispielsweise schon hilfreich, eine Klausurtagung ohne Ergebnisdruck zu veranstalten. Mal in Ruhe und ohne schlechtes Gewissen nur zu diskutieren, Ideen zu suchen, aber auch ohne Gesichtsverlust verwerfen zu können.

Wäre ein Twitter-Verbot für führende Politiker hilfreich?

Na ja, ich weiß gar nicht, wer so alles in der Gegend herum twittert. Ich mache das nicht. Problematisch finde ich, wenn durch Tweets oder mit Durchstechereien Denkprozesse zerstört werden, die Vertraulichkeit verdienen. Manches ist aber einfach nur blöde. Über mich wurde mal getwittert, ich hätte auf einer internen Tagung der SPD einen grünen Pullover angehabt. Eine tolle Nachricht.

Apropos Nonsens: Gibt es einen BER-Witz, den Sie lustig finden?

Den würde ich nie weitererzählen.

Sie schreiben im neuen Buch, dass jener Tag im Mai 2012, an dem die Flughafeneröffnung verschoben wurde, der dunkelste Tag in Ihrer Amtszeit gewesen sei. Werden Sie darauf noch angesprochen, wenn sie in Berlin unterwegs sind?

Gelegentlich ja, das muss ich ertragen. Was mich richtig ärgert ist, dass so viele Leute offenbar eine Lust daran haben, dass der Flughafenbau misslingt. Das finde ich völlig daneben. Die Situation wird sich wohl erst ändern, wenn BER fertig und eröffnet ist. Dafür sollten sich übrigens nicht nur Berlin, sondern auch die Mitgesellschafter Brandenburg und der Bund ins Zeug werfen.

Hat Ihnen die Pleite von Air Berlin nicht weh getan?

Das war ein Schlag, auch wenn das weggefallene Flugangebot schrittweise kompensiert wird. Aber die Marke ist weg, mit der Berlin durch die Lüfte flog.

Auf was werden Sie auf der Straße angesprochen, wenn es nicht der BER ist?

Auf alles Mögliche. Manche sagen auch nur: Sie fehlen uns. Das finde ich natürlich schön. Manchmal denke ich: Hätten Sie das mal früher gesagt.

Sie schreiben in ihrem Buch auch, dass Freizeit gelernt sein will. Wie hat der Ausstieg aus der Politik denn so geklappt?

Sehen Sie, da fällt mir ein, worauf ich häufig angesprochen werde: Sie sehen aber entspannt aus! Da scheint was dran zu sein. Für mich war nach 30 Jahren als Berufspolitiker eine wichtige Erfahrung, dass die Dauerbelastung wegfällt. Man ist nicht mehr durchgetaktet und komplett verplant. Ich stehe zwar immer noch relativ früh auf und habe immer noch einen festen Rhythmus, aber das ist jetzt mein privater Takt. Diese Freiheit genieße ich sehr. Früher war ich unter Dauerbeobachtung ab dem Moment, als ich aus der Haustür trat. Das ist vorbei.

Sie galten als sehr reiselustiger Berliner Regierungschef. Sind Sie immer noch viel unterwegs in der Welt?

Das Schöne ist jetzt, dass ich vor und nach dem Urlaub weiterhin Urlaub habe. Keine Berge von Akten mehr! Ich verreise nach wie vor gern, aber nicht drei Monate am Stück. Berlin ist so schön.

Dann noch schnell ein unschönes Thema: Was fällt Ihnen zur SPD ein?

Die SPD, das ist eine Partei, die es einem nicht leicht macht – und die es selbst nicht leicht hat. Leider gibt es keinen Knopf, auf den man drücken könnte und schon ist die viel zitierte Erneuerung da. Das Trauma der Sozialdemokraten ist nach wie vor die Agenda 2010, das war der politische Genickbruch, auch wenn kaum noch jemand weiß, was das eigentlich war. Mal abgesehen von Hartz IV. Es hilft aber nichts. Die SPD hat sehr viel Vertrauen bei ihren potenziellen Wählern verloren, nun muss sie entscheiden: Wollen wir eine linke Volkspartei sein oder wollen wir wieder mehr in Richtung Mitte schielen.

Für was sind Sie?

Die SPD muss linke Volkspartei sein. Nur dann haben wir eine Chance. Außerdem müssen wir die Machtfrage klären, so eine Quälerei wie nach der Bundestagswahl 2017, ob nun Groko oder nicht, darf es nicht mehr geben. Die Performance der Akteure an der Spitze ist auch noch verbesserungsfähig.

Haben Sie einen Ratschlag für Ihre Genossen, vielleicht auch für Ihren Nachfolger im Roten Rathaus?

Ich kenne Michael Müller sehr lange, wir haben immer gut zusammengearbeitet, von mir braucht er keinen Ratschlag. Ich wünsche ihm gute Nerven und, das gilt nicht nur für Michael Müller: Es darf in der Politik auch mal gelacht werden.

Das Gespräch führten

Robert Ide und

Ulrich Zawatka-Gerlach.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false