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Brandenburg: Kerzen für das kleine Mädchen

In Berlin-Lichtenberg sucht die Polizei nach der Mutter des toten Babys. Viele Anwohner sind bestürzt

Von Sandra Dassler

Berlin - Die junge Frau mit dem Baby im Tragetuch hat es eilig. „Ich muss zum Kita-Anmeldetermin für meine Tochter“, sagt sie, bleibt aber doch stehen: „Ich hab’s im Radio gehört und konnte kaum glauben, dass das tote Baby bei uns um die Ecke gefunden wurde.“ Sie legt schützend die Hand um ihr Kind: „Ich werde nie verstehen, wie man so etwas tun kann.“

Die junge Frau wohnt im Lichtenberger Bleckmannweg, nur einen Steinwurf vom U-Bahnhof Magdalenenstraße an der Frankfurter Allee entfernt. Der Bleckmannweg geht ebenso wie der Hoenerweg von der Ruschestraße ab, dazwischen liegt ein kleiner Park. Früher war dies der Friedhof Rathausstraße, einige stark verwitterte, teils mit Efeu überwachsene Grabsteine erinnern noch daran.

Es ist schon makaber, dass das kleine Mädchen ausgerechnet hier abgelegt wurde. Entdeckt wurde es – wie berichtet – am Dienstag von einem Spaziergänger. Am Tag danach erinnern nur noch ein paar Fetzen des rot-weißen-Absperrbands der Polizei an den grausigen Fund. Und ein paar Kerzen und Blumen, die mitfühlende Seelen an die Treppe zum Park gestellt haben. Die junge Frau mit dem Baby bleibt ebenso davor stehen wie ein älteres Ehepaar mit Dackel.

„Früher wäre das nicht passiert“, sagt die Frau. „Da ist es auch passiert, da hat nur keiner was davon erfahren“, widerspricht der Mann. Das Paar wohnt schon 40 Jahre in der Rudolf-Reusch-Straße auf der anderen Seite des Parks. „In die Ruschestraße durften wir nicht ziehen, da haben doch die Leute von der Firma gewohnt“, erzählt der Mann. „Die Firma“ war der Staatssicherheitsdienst der DDR, deren Zentrale sich hier in der Ruschestraße, Ecke Normannenstraße befand.

Nachdem das Gebäude lange leer stand, wird es seit Herbst nach und nach mit Flüchtlingen belegt, erzählt das Rentnerpaar. Probleme im Kiez habe es deshalb bislang nicht gegeben – Einbrüche ja, aber die seien schon vor der Ankunft der Flüchtlinge immer häufiger geworden. Vielleicht liege es auch daran, dass wieder mehr junge und nicht ganz arme Menschen hier einziehen, vor allem Familien der gehobenen Mittelschicht, die vermehrt Opfer werden. An diesem Mittwoch sind jedenfalls viele Frauen mit Kinderwagen unterwegs, manche lesen die Plakate. Darauf sind ein blaues und ein rosafarbenes Handtuch zu sehen, in die das Baby gehüllt war. Die Kriminalisten, die von einem unnatürlichen Tod ausgehen, bitten um Hinweise. Wer hat zwischen dem 6. und dem 8. März etwas gesehen? Wer kennt eine Frau, die schwanger war, es nicht mehr ist, und kein Kind hat? Welcher Arzt hat eine Frau mit starken Blutungen behandelt?

Die Geburt sei nicht fachgerecht erfolgt, sagt eine Polizeisprecherin. Das heißt, das Baby wurde nicht richtig abgenabelt, die Nachgeburt eventuell nicht vollständig ausgestoßen. Die Mutter könnte sich also in Gefahr befinden, sagt die Sprecherin. Bisher gebe es keine Hinweise, dass es sich um eine Bewohnerin des Flüchtlingsheims handle. Die Polizei werde aber auch da nachfragen, was nicht einfach sei, weil dort inzwischen mehr als tausend Menschen wohnen.

Vor der Ex-Stasi-Zentrale spielen viele Kinder. Die Mädchen tragen Schleifen in den Zöpfen. Ein Vater, er ist aus dem Irak, weiß nichts von dem toten Baby. Aber in seiner Heimat sei schon immer erzählt worden, dass im reichen Deutschland viele Babys ausgesetzt und getötet würden, erzählt er. „Das gibt’s leider überall“, sagt eine ältere Dame, die aus Dresden gekommen ist, um ihrer Tochter bei der Kinder-Betreuung zu helfen.

„Das ist schon mein dritter Enkel“, sagt sie stolz. Der drei Monate alte Wonneproppen im Kinderwagen schenkt ihr sein bezaubernd zahnloses Lächeln. Warum auch nicht? Er ist auf dieser Welt willkommen. Sandra Dassler

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