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Brandenburg: Jobs auf dem Abflug

Wenn der BER eröffnet, gehen im Nordwesten Berlins Stellen verloren. Wie viele, ist unklar. Ein Gutachter bezweifelt aber, dass es in Schönefeld einmal 40 000 Stellen im Flughafenbereich geben wird

Berlin/Schönefeld -Die Zahl ist seit Jahren zu hören, immer wieder. Bis zu 20 000 Arbeitsplätze würden im Berliner Nordwesten verloren gehen, wenn der Flughafen Tegel schließt. Das befürchtet auch der Reinickendorfer Bundestagsabgeordnete Frank Steffel (CDU). Rund die Hälfte davon wird allein mit dem Airport umziehen. Obwohl die Eröffnung des BER im vergangenen Sommer erst in letzter Minute verschoben wurde, ist die befürchtete Umzugswelle im Umfeld angesiedelter Firmen zum südlichen Stadtrand bisher allerdings ausgeblieben. Ein Gutachten kommt zu dem Schluss, dass rund um den BER etwa 40 000 Arbeitsplätze entstehen werden – auch diese Zahl ist immer wieder zu hören, seit Jahren schon. Doch daran gibt es Zweifel, wie eine neue Studie zeigt. Die Arbeitsmarktwirkungen der Branche würden übertrieben dargestellt, sagt der Diplomvolkswirt Friedrich Thießen von der TU Chemnitz.

Er könne nur bestätigen, dass auf dem Flughafen Tegel selbst 9800 Menschen beschäftigt sind, sagt Reinickendorfs Wirtschaftsstadtrat Uwe Brockhausen (SPD). Für die CDU war schon vor Jahren die damalige Bezirksbürgermeisterin Marlies Wanjura davon ausgegangen, dass tatsächlich von gut der doppelten Zahl an betroffenen Arbeitsplätzen zu rechnen ist. Denn viele Dienstleister und Zulieferer sind nicht direkt am Airport beheimatet.

„Mir sind nur vereinzelte Unternehmen bekannt, die ihren künftigen Sitz nach Schönefeld verlagern werden“, so Brockhausen. Dies betreffe Firmen aus dem Cateringbereich, aber auch beispielsweise eine auf die Reparatur von Flugzeugsitzen spezialisierte Sattlerei. „Im Ergebnis wird Reinickendorf nur wenig betroffen sein“, ist der Stadtrat überzeugt.

Auch im benachbarten Charlottenburg-Wilmersdorf sieht Bürgermeister Reinhard Naumann (SPD) keinen Grund zur Panik. Zwar sind gerade im Bereich Charlottenburg-Nord verschiedene Luftverkehrsdienstleister angesiedelt, doch werden viele von ihnen aufgrund der aus Sicht des Politikers guten Autobahnanbindung an ihren bisherigen Standorten bleiben. Auch die Air Berlin betont, dass sie ihren Firmensitz am Saatwinkler Damm behalten wird. Spandaus Wirtschaftsstadtrat Carsten-Michael Röding (CDU) befürchtet ebenfalls keine Einbrüche. In allen drei Bezirken nimmt man an, von der geplanten Gewerbeansiedlung auf dem heutigen Tegeler Flughafengelände zu profitieren. Die müsse allerdings rasch realisiert werden, heißt es unisono.

Auch in den südlichen Bezirken kann man bisher keinen Zuzugstrend aus dem Nordwesten beobachten. In Treptow-Köpenick boomt zwar das Technologiezentrum Adlershof, und auch der Businesspark Berlin auf dem für den Flughafenbau nicht benötigten Baufeld Ost kommt langsam in Schwung. „Konkrete Umzugsplanungen oder Anfragen von Unternehmen aus dem Tegeler Flughafenumfeld sind mir nicht bekannt“, so Bürgermeister Oliver Igel (SPD). Die Leiterin der Wirtschaftsförderung des Bezirks, Andrea Engel, nennt als Beispiel ein auf Werkstoffprüfung spezialisiertes Unternehmen, das extra die Nähe des neuen Airports gesucht habe.

Aber allein mit den Firmen, die jetzt direkt am Flughafen Tegel tätig sind und nach dessen Schließung zum neuen Flughafen BER umziehen, verliert Berlin erhebliche Wirtschaftskraft. In welchem Umfang Steuereinnahmen zwischen Berlin und Brandenburg verlagert werden, lässt sich allerdings „nicht seriös“ schätzen, sagen analog die Sprecher des Berliner Finanzsenators und des Brandenburger Finanzministeriums, Jens Metzger und Ingrid Mattern.

Wie viele Arbeitsplätze einst am BER entstehen, ist strittig. Ein von der Flughafengesellschaft in Auftrag gegebenes Gutachten des Wirtschaftswissenschaftlers Herbert Baum von der Universität Köln ist auf 40 000 Arbeitsplätze gekommen – allein auf dem Flughafengelände sollen 20 000 Menschen beschäftigt sein. Enthalten in dieser Zahl sind aber auch die Umzügler aus Tegel. Nur allein im Einzelhandel soll es auf dem BER rund 2000 Arbeitsplätze geben. Im neuen Terminal wird es rund 150 Geschäfte und Lokale geben.

Unterschieden wird zwischen direkten, indirekten und induzierten Arbeitsplätzen. Indirekt Beschäftigte sind Mitarbeiter von Unternehmen, die Aufträge von Flughäfen und Airlines erhalten. Induziert Beschäftigte sind dabei Mitarbeiter von Unternehmen, bei denen die direkt und indirekt Beschäftigten Geld ausgeben – etwa für Lebensmittel, Haushaltswaren oder Bekleidung. Baum kommt so auf 73 000 Arbeitsplätze insgesamt, die der BER schaffe. Solche „Multiplikatorwerte“ gelten aber auch für andere Branchen und seien nicht auf die Luftfahrt beschränkt, schreibt Thießen. Deshalb könne sich die Frage, ob der Luftverkehr ein Jobmotor ist, auf die Betrachtung der direkt Beschäftigten beschränken.

Als Faustregel in der Branche gilt, dass es bezogen auf eine Million Passagiere knapp tausend Arbeitsplätze am Flughafen gibt. Thießen rechnet in seiner im Auftrag der Friedrich-Ebert-Gesellschaft erstellten Studie aber damit, dass es wegen weiterer Rationalisierungen in Zukunft nur noch etwa 500 sein werden.

Rainer W. During, Klaus Kurpjuweit

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