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INTERVIEW: „Schutz vor Antisemitismus gibt es nicht“

Herr Lämmel, als Guide in Sachsenhausen und Theresienstadt haben Sie Schulklassen durch ehemalige Konzentrationslager und Gedenkstätten begleitet. Was halten Sie von dem Vorschlag der SPD-Politikerin und Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli, den Besuch in einer KZ-Gedenkstätte zur Pflichtveranstaltung für Schüler zu machen?

Herr Lämmel, als Guide in Sachsenhausen und Theresienstadt haben Sie Schulklassen durch ehemalige Konzentrationslager und Gedenkstätten begleitet. Was halten Sie von dem Vorschlag der SPD-Politikerin und Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli, den Besuch in einer KZ-Gedenkstätte zur Pflichtveranstaltung für Schüler zu machen?

Die Forderung, eine Fahrt nach Sachsenhausen oder Buchenwald in den Lehrplan aufzunehmen, kommt immer wieder auf. Dabei schwingt die Vorstellung mit, dass Aufenthalte in Gedenkstätten als eine einmalige Impfung wirken, welche die Besucher immun gegen Antisemitismus macht. Das funktioniert so natürlich nicht. Sinnvoller wäre es, darüber zu diskutieren, wie die Besuche konkret aussehen, wie sie vorbereitet werden. Und auch die Grenzen der Bildungsarbeit zu sehen.

Welche Erkenntnisse nehmen Sie aus dieser Zeit mit den Schulklassen in Konzentrationslagern mit?

Für meinen Umgang mit den Schülern war es entscheidend, wie gut sie von ihren Lehrern auf das Thema der Judenverfolgung im Nationalsozialismus vorbereitet worden waren. Das Alter der Schüler ist dabei gar nicht so wichtig. Mir ist eine sechste Klasse in Erinnerung geblieben, die sich in einer Projektwoche intensiv mit der Judenverfolgung im „Dritten Reich“ beschäftigt hatte. Das ist eine gute Grundlage, um in ein ehemaliges Konzentrationslager zu fahren.

Gibt es auch Fälle, in denen Klassen zu laut, der Lehrer überfordert und die Arbeit am Ende umsonst war?

Nein, in der Form nicht. Mit Schülern, die auf Klassenreise in Berlin sind, war es manchmal etwas schwierig. Ein Ausflug nach Sachsenhausen ist in einem vollen Touristenprogramm schlecht aufgehoben. Wenn die Schüler einen Tag vorher noch in der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit in Hohenschönhausen waren, bleibt am Ende überspitzt gesagt hängen, dass Hitler die Mauer gebaut hätte. Als Guide ist mir aufgefallen, dass die wichtigste Frage häufig nicht gestellt wird. Wie kann eine Ideologie die Kraft entwickeln, Menschen zur Verfolgung und Vernichtung von Minderheiten zu bewegen?

Im Zentrum der aktuellen Debatte steht die Frage, ob der Antisemitismus in Deutschland durch Zuwanderer aus muslimisch geprägten Ländern verstärkt wurde. Haben Sie Erfahrungen mit Schülern gemacht, die diese Annahme bestätigen?

Ich erinnere mich nicht daran, dass Schüler mit Migrationshintergrund mit antisemitischen Äußerungen oder Vorurteilen negativ aufgefallen wären. Trotzdem beweisen die aktuellen Vorfälle, dass es ein Antisemitismus-Problem in migrantischen und muslimischen Milieus gibt, das deutlich benannt werden muss. Pauschalisierungen helfen da aber genauso wenig wie wegschauen. In meiner Wahrnehmung waren kaum Kinder und Jugendliche mit arabischen oder türkischen Wurzeln unter den Besuchern. Die meisten Schüler in Theresienstadt kommen aus den neuen Bundesländern, wo der Anteil an Migranten ohnehin nicht so hoch ist.

Was müssten Schüler aus Ihrer Sicht über den Holocaust, das „Dritte Reich“ und die Nationalsozialisten lernen, damit sie für eine antisemitische Einstellung nicht empfänglich sind?

Eine sichere Methode, um Schüler vor Antisemitismus zu schützen, gibt es nicht. Es ist aber wichtig, den Holocaust nicht an Orte wie Auschwitz zu externalisieren. Die Judenverfolgung hat im „Dritten Reich“ auch vor der eigenen Haustür stattgefunden. Für Schüler ist es daher wichtig, lokale Anknüpfungspunkte zu finden. Gibt es Angehörige von Opfern in der unmittelbaren Umgebung? Welche Schicksale hatten Juden in unserer Gemeinde? Wenn Schüler diesen Fragen nachgehen, kommen sie dem Thema näher. Eine gut geplante Projektwoche, in der Schüler ihre eigenen Untersuchungen anstellen, kann deswegen sinnvoller sein als ein kurzer Besuch in einer Gedenkstätte.

Das Gespräch führte Paul Schwenn

Niklas Lämmel, 25, Student in Berlin, war in den pädagogischen Abteilungen in den Gedenkstätten Sachsenhausen und Theresienstadt tätig. Er arbeitete dort auch als Guide.

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