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Brandenburg: „Gut, dass es die gibt“

Berlins Innensenator Henkel besuchte junge Berliner Kriminelle in märkischen Heimen

Von Sandra Dassler

Hohenselchow - Wer zu spät kommt, muss eine Stunde früher schlafen gehen – „Da würde ich immer zu spät kommen“, sagt Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU). „Aber für die Jungen hier ist das frühere Ins-Bett-Gehen bestimmt eine Strafe.“ Henkel steht in einem einfach eingerichteten Bungalow vor dem verbindlichen Tagesplan. Zwei Betten, zwei Kleiderschränke, zwei Schreibtische, kein Fernseher, kein Computer, kein Handy. Die Jungen hier, das sind gut zwei Dutzend junge Straftäter, die in Untersuchungshaft sitzen müssten. Ihre letzte Chance vor dem Knast: die Jugendhilfeeinrichtung Frostenwalde in Hohenselchow unweit von Schwedt in der Uckermark.

Tarik (Name geändert) aus Berlin-Moabit zum Beispiel ist seit zwei Monaten hier: mit elf begonnen die Schule zu schwänzen, mit 13 festes Mitglied einer Clique – Raubzüge, Körperverletzungen. Jetzt ist er 15 und könnte in den Jugendstrafvollzug. „Das ist aber echt schlimm dort“, sagt er: „Ich weiß es aus Erzählungen.“ Nun ist er froh, hier zu sein. Das sind wohl die meisten. Obwohl der Aufenthalt alles aber kein Zuckerschlecken ist. Ein straffer Tagesplan mit viel Beschäftigung ist das eine, die individuelle Betreuung durch geschulte Erzieher das andere.

„Ich finde das Prinzip Menschen statt Mauern sehr gut“, sagt Henkel. Elf der 25 momentan in Frostenwalde lebenden Jugendlichen sind Berliner. Sie wurden alle mit richterlichem Beschluss eingewiesen – das ist einer der Unterschiede zu den Heimen der jüngst in die Kritik geratenen Haasenburg GmbH, wo Kinder und Jugendliche auf Beschluss eines Familienrichters untergebracht werden. Dass es dort zu Misshandlungen gekommen sein soll, will der Berliner Innensenator nicht kommentieren – Sache der Brandenburger Behörden. Sein Besuch in Frostenwalde habe nichts mit den Vorwürfen gegen die Haasenburg-Heime zu tun. Der Termin stehe schon seit Monaten fest. „Ich wollte mir nur ein Bild machen, es ist etwas anderes, wenn man hier vor Ort sieht, wie wichtig eine solche Chance für die jungen Menschen ist.“ Deshalb will er auch nicht über Geld reden. Immerhin kostet die Unterbringung in Frostenwalde täglich rund 200 Euro, fast doppelt so viel wie ein Platz im Berliner Strafvollzug. „Wenn es aber dazu beiträgt, kriminelle Karrieren doch noch zu verhindern, rechnet sich das am Ende allemal“, sagt Henkel.

32 Plätze stehen für die 14- bis 17-Jährigen zur Verfügung. Die verbringen in der Regel sechs Monate hier – wenn alles gut geht, kriegen sie die Kurve in ein normales Leben. Studien zufolge bleiben 60 Prozent der in Frostenwalde betreuten Jugendlichen straffrei, aber nur 30 Prozent der aus der Untersuchungshaft Entlassenen, sagt der Leiter der Einrichtung Hans-Joachim Sommer. Auf Mauern verzichte man bewusst, auch Fixierungen am Bett wie es sie in den Haasenburg-Heimen gab, habe man hier nie vorgenommen.Träger der Einrichtung ist das Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk (EJF), das in der Uckermark noch weitere Heime betreut. Henkel fährt auch gleich weiter zu zwei Bauernhöfen, wo strafunmündige Kinder in zwei Wohngruppen mit den Namen „Insel“ und „Insel 2“ betreut werden. Die Einrichtungen sind für viele der Zehn- bis Zwölfjährigen, die gestohlen, geraubt oder geprügelt haben, tatsächlich Rettungsinseln – vor kaputten Familien, falschen Freunden oder überforderten Eltern. Der jüngste Insulaner ist erst acht, ein Blondschopf, dessen alleinerziehende Mutter es nicht schaffte, ihn zum Schulbesuch zu bewegen. Sein Schicksal rührt selbst den Senator: „Wenn man gerade Vater geworden ist, trifft einen das schon. Umso besser, dass es Einrichtungen wie diese gibt.“ Sandra Dassler

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