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Brandenburg: Gescheiterte Existenz

Er wollte sich mit Parteigeld Zuneigung auf dem Straßenstrich erkaufen. Nun muss Christian Goejtes, Ex-Schatzmeister der brandenburgischen Grünen, ins Gefängnis

Potsdam - Christian Goetjes wurde noch im Gerichtssaal wegen akuter Fluchtgefahr festgenommen und abgeführt. Der Ex-Schatzmeister der brandenburgischen Grünen ist wegen gewerbsmäßiger schwerer Untreue am Montag vor dem Landgericht Potsdam zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Nach Ansicht des Gerichts hat der 35-Jährige in 261 Fällen zwischen Januar 2010 und Februar 2011 insgesamt 270 000 Euro von den Parteikonten abgezweigt.

Das Geständnis, wonach Goetjes zwei Prostituierten vom Berliner Straßenstrich aus Notlagen, einer beim Drogenentzug, der anderen, einer Bulgarin, aus den Fängen brutaler Kredithaie, helfen wollte, nahm das Gericht ihm nicht ab. „Was er mit dem Geld machen wollte, ist für das Urteil unerheblich“, sagte der Vorsitzende Richter Jörg Tiemann. Er habe keine altruistischen Ziele verfolgt, sondern Anerkennung gesucht, sagte Tiemann. Goetjes habe das Geld ausschließlich für eigene Zwecke verwendet.

Nach seinem Geständnis blieb zunächst das Bild eines gutgläubigen, naiven und verliebten Jünglings, der hilfsbedürftigen Prostituierten aus der Klemme helfen wollte. Doch Tiemann zeichnete ein anderes Bild. „Der Angeklagte ist kein Robin Hood“, sagte der Richter. Goetjes habe sich mit dem fremden Geld etwas kaufen wollen, was im Rotlichtmilieu schwer käuflich sei: Zuneigung und Liebe.

Den 35-Jährigen bezeichnete der Richter als gescheiterte Existenz. Goetjes habe sich zwar politisch engagiert, erst als Schülersprecher, im Landesschülerrat, dann bei den Grünen, ab Anfang 20 schon als Landesschatzmeister. Aber er habe sein Abitur nicht geschafft, das Studium abgebrochen, bis Anfang 30 vom Taschengeld der Eltern gelebt und es nicht geschafft, was für einen Mann seines Alters selbstverständlich sein sollte – für seinen eigenen Lebensunterhalt zu sorgen. Die Partei habe ihm dennoch die Verantwortung für hohe Summen übertragen. Über mehr als zehn Jahre war er für die Kassen der Partei zuständig. Schließlich vergriff er sich an den Parteigeldern, fingierte Rechnungen und Sammelüberweisungen, fälschte die Bilanzen der Grünen und steckte sich 270 000 Euro in die eigene Tasche. „Jemand, der gewohnt war, sein Taschengeld zu verwalten, war mit dieser Verantwortung moralisch deutlich überfordert“, sagte Tiemann.

Allerdings wurde es Goetjes auch recht einfach gemacht. Den Umgang der Grünen mit den eigenen Geldern, aber auch das blinde Vertrauen der Parteiführung in den Ex-Schatzmeister nannte der Richter bedenklich. „Die internen Sicherungssysteme haben vollständig versagt“, sagte er. Tatsächlich blieben Goetjes Umtriebe und auch fehlende Gelder in der Parteispitze lange unbemerkt.

Die Landesparteichefs Annalena Baerbock und Benjamin Raschke sagten nach der Urteilsverkündung am Montag, damit sei „eines der schwersten Kapitel“ in der Geschichte der brandenburgischen Grünen abgeschlossen. Die Partei habe Lücken in ihrem Finanzsystem geschlossen. Über einen Anwalt lassen die Grünen prüfen, ob sie die veruntreuten 270 000 Euro zurückfordern. Bislang steht eine Vereinbarung über die Rückzahlung von 65 000 Euro, weil Goetjes sich als mittellos darstellte. Bis jetzt zahlte er der Partei 35 000 Euro zurück, in einer notariell beurkundeten Vereinbarung ist eine monatliche Rate von 1000 Euro vereinbart. Sollte Goetjes aber gelogen haben und gar nicht so mittellos sein, wie er sich dargestellt hatte, könnten die Grünen die gesamte Schadenssumme zurückfordern. Mit Anwalts- und Notarkosten sind das mehr als 290 000 Euro. Anhaltspunkte hat die Partei zu Genüge.

Denn im Prozess war bekannt geworden, dass er einen Escort-Service für bulgarische Prostituierte betreibt, was laut Tiemann nach allgemeinem Verständnis als Zuhälterei zu verstehen sei. Eine Prostituierte hatte vor Gericht ausgesagt, dass Goetjes ihr nachgestellt habe, nachdem sie sich von ihm getrennt habe. Die Bulgarin hatte ihn deshalb angezeigt. Die Berliner Behörden ermitteln deshalb gegen Goetjes wegen Nachstellens, zugleich prüfen sie den Verdacht der Zuhälterei. Nach bisherigem Stand sollen für Goetjes acht Frauen tätig gewesen sein. Er soll im Internet ihre Dienste angeboten und die Anrufe der Freier angenommen haben. Und er soll die Frauen zu den Freiern gefahren und die Hälfte des Dirnenlohns von insgesamt 100 Euro einkassiert haben.

Die Grünen-Landeschefin Baerbock sagte nach der Urteilsverkündung: „Wir versuchen festzustellen, ob es noch Geld gibt.“ Geld, das Goetjes aus Prostitution verdient habe, könne die Partei aber keineswegs annehmen, sagte sie.

Auf Goetjes können aber noch weitere Kosten zu kommen. Sollte er tatsächlich höhere Einnahmen gemacht haben und diese den Sozialbehörden verschwiegen haben, um Arbeitslosengeld II zu kassieren, dann drohen ihm alle Hilfsgelder gestrichen zu werden, auch Rückforderungen könnten auf ihn zukommen.

Dass Goetjes noch am Montag gleich nach der Urteilsverkündung in die Untersuchungshaft gebracht wurde, begründete Richter Tiemann mit der Befürchtung, dass sich der 35-Jährige angesichts der bevorstehenden Haftstrafe erneut absetzen könnte. Tiemann setzte den außer Vollzug gesetzten Haftbefehl wieder in Kraft. Bereits im Februar 2011 war Goetjes untergetaucht, als er die Konten der Grünen geplündert hatte und aufgeflogen war. Die Beziehung von Goetjes ins Ausland, besonders nach Bulgarien, ebenso wie seine finanzielle Lage seien unklar, sagt Tiemann. Auch das Verhältnis zu seinen Eltern sei nicht sehr eng – alles Anhaltspunkte für eine Fluchtgefahr.

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