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Gastbeitrag: Ackern auf Unrechtsland

Bei der Umwandlung der DDR-Agrarbetriebe lief in Brandenburg besonders viel nicht rechtens. Folgen hatte dies kaum. Schon gar nicht für die alten Eliten, die davon profitierten. Das schadete den alten Genossenschaftsmitgliedern und schadet dem Rechtsstaatsempfinden.

Es war ein Paukenschlag, der laut hätte über das brandenburgische Land hallen müssen. Professor Walter Bayer legte in der letzten Sitzung der Enquetekommission des Landtags zum Umgang mit dem Erbe der DDR in Brandenburg vor der Sommerpause dar, dass rund elf Prozent der Umwandlungen der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) in Brandenburg „mit derart schweren Mängeln behaftet waren, dass sie als unwirksam zu qualifizieren sind“. Das heißt: Mehr als jeder zehnte LPG-Nachfolgebetrieb dürfte gar nicht mehr existieren, es sei denn, es wäre entscheidend nachgebessert worden.

Diese Provokation, wissenschaftlich fundiert untersetzt, hätte ein lebhaftes Echo erwarten lassen. Doch das blieb aus. Die SPD als Regierungspartei seit jeher verantwortlich für die Agrarpolitik im Lande, duckte ab. Sie hatte stattdessen den ehemaligen Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsminister, Gerhard Thalheim (SPD), aufgeboten. Der versuchte Bayers schockierenden Befund populistisch abtropfen zu lassen. Er müsse sich nicht von Westprofessoren die Welt erklären lassen. Schon zu Beginn der Enquete hatte Brandenburgs Landwirtschaftsminister polemisiert, jetzt solle die Bodenreform infrage gestellt werden. Das ist Nonsens. Denn die Bodenreform einerseits, die Kollektivierung und ihre Folgen bis heute andererseits sind vollkommen verschiedene Dinge und man sollte gerade von einem Landwirtschaftsminister erwarten, dass er beides auseinanderhalten kann. Oder in Brandenburg nicht?

Diese unsachlichen Reaktionen haben einen Grund. Es soll kaschiert werden, wie ohnmächtig und zum Teil unwillig die Politik nach 1990 die Umwandlung in der Landwirtschaft begleitete und wie wenig sie Entwicklungen entgegensteuerte, die zur Folge hatten, dass 1992 zirka 80 Prozent der brandenburgischen Böden sich in der Verfügung von juristischen Personen befanden. Die „Kontinuität agrarischer Eliten“, sprich der LPG-Vorsitzenden, auch von einem anderen Gutachter der Enquete, Professor Arnd Bauerkämper, noch einmal bestätigt, gilt auf dem brandenburgischen Lande geradezu als Binsenwahrheit. Dieser Prozess wurde von rechtlichen Unregelmäßigkeiten begleitet. Legt man sehr strenge Maßstäbe an, war laut Bayer gar „fast jede LPG-Umwandlung mit Fehlern behaftet“. In Zweidrittel der Fälle wurden aussteigende Mitglieder „in gesetzeswidriger Weise“ um Teile ihrer Abfindungen gebracht.

Hintergrund dieses Prozesses war der Versuch der Politik, im Gefolge der friedlichen Revolution auch die Bauern wieder in ihre alten Rechte einzusetzen. Die SED hatte im Zuge der Kollektivierung den Bauern faktisch die Verfügung über ihr Land entzogen. Das eingebrachte bäuerliche Eigentum war durch juristische Winkelzüge faktisch enteignet und zu unveräußerlichem Genossenschaftseigentum erklärt worden. Die SED hat dabei mit diesem klassisch marxistisch-genossenschaftsfeindlichen Kurs faktisch agrarindustrielle Betriebe geschaffen. Schon die Regierung Modrow hatte Anfang 1990 versucht, die individuellen Vermögensanteile der Bauern zu revitalisieren, freilich in der Hoffnung, damit das persönliche Engagement für die LPG neu zu beleben. Je mehr es in Richtung deutsche Einheit ging, desto mehr wurden von der Volkskammer und der Regierung Modrow die Vermögensrechte des Einzelnen gestärkt. Die LPGn mussten in Rechtsformen überführt werden, die mit dem Gesellschaftsrecht der Altbundesrepublik in Einklang standen. Das hatte natürlich zur Folge, dass auch Bauern die LPG verlassen, ihre Eigentumsanteile verwerten oder mit eigenen Höfen weitermachen wollten. Die, die in den LPGn blieben, vor allen deren Leiter, wollten möglichst viel Vermögen im Betrieb erhalten.

Dieser objektiv unbestreitbare Interessenskonflikt wurde vielerorts nicht fair, sondern mit den beanstandeten Bilanzmanipulationen und Rechtsverstößen ausgetragen. Dass es in solchen Zeiten nicht immer harmonisch zugehen kann, und dass man sich rechtlich in vielen Fragen auf unsicherem Boden befand, ist unbestritten. Die von Bayer angeprangerten zehn Prozent der Fälle sind allerdings besonders gravierende Verstöße, bei denen das Vermögen von der LPG auf eine andere Gesellschaft einfach übertragen werden sollte, ohne dass die LPG-Mitglieder in ihrer Gesamtheit ihr Einverständnis gaben oder bei der Vermögenübertragung berücksichtig wurden. Wer so etwas tut, der weiß, was er tut. Und wenn er das tut, ist er alles Mögliche, nur kein Vertreter des Genossenschaftswesens. In solchen Fällen kann sich keiner auf die Unwissenheit berufen, die bekanntlich auch nicht vor rechtlichen Konsequenzen schützt.

Was bei den LPGn geschah, vollzog sich etwas anders und weniger von der Öffentlichkeit bemerkt, auch bei anderen Genossenschaften, was ich selbst für die Enquete untersucht habe. Das Genossenschaftswesen in der DDR war vielfältig. Gerade auf dem Lande gab es Düngemittel-, Zuchtbetriebe, Warengenossenschaften und viele andere, sogar Banken, die dem Genossenschaftsrecht unterstanden. In manchen Kreisen waren die meisten „Werktätigen“ bei Genossenschaften beschäftigt. Bei den bäuerlichen Handelsgenossenschaften, den BHG, wie die von der SED entmachteten Raiffeisengenossenschaften zu DDR-Zeiten hießen, verlief der Umbruch anfangs sogar noch gröber als bei den LPG. Statt die alten Genossen, es waren meist einige 100 in einer Kreis-BHG, einzuberufen, waren es kleine Cliquen vor Ort, die die BHG umwandelten und versuchten, sie in ihre Verfügung zu bekommen. Nur widerstrebend, manchmal gar nicht, wurden alte Mitglieder in ihre Rechte eingesetzt. Fragwürdige Umwandlungen anderer Betriebstypen wie ACZ (Agro-Chemischen Zentren), Zwischenbetrieblichen Organisationen (ZBO) ließen sich ebenso anführen.

Natürlich liegt die Verantwortung für derartige Umgründungen primär bei den Handelnden vor Ort, vor allem den Leitungen. Aber die Vielzahl der Rechtsverstöße zeigt, dass sie von Rahmenbedingungen begünstigt wurden und rechtsstaatliche Sicherungen versagten. Das hat vor allem vier Gründe:

1. Die Leiter der bestehenden Betriebe hatten Herrschaftswissen und konnten ihre Rechtsvertreter und Berater aus der Betriebsmasse bezahlen, selbst wenn sie vielleicht nicht legal darüber verfügten. Die bäuerliche Gesellschaft hatte früher, als zahlreiche Raiffeisengenossenschaften das ländliche Leben prägten, das Genossenschaftsrecht quasi mit der Milch aufgesaugt, war durch die Entmündigung in der DDR unwissend geworden. Sie musste zudem ihren Rechtsbeistand aus dem kargen Einkommen vorfinanzieren, mit höchst ungewissem Ausgang. Diese Assymetrie der Chancen wurde nie wirklich ausgeglichen.

2. Die Rechtmäßigkeit genossenschaftlichen Handelns zu überprüfen, ist zunächst eine Sache der Genossenschaften und ihrer Verbände selbst. Diese Prüfinstanzen bildeten sich in Ostdeutschland vor allem aus Funktionären der Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe. Die VdgB war die Massenorganisation, die in der DDR der SED geholfen hatte, ihre Landwirtschaftspolitik durchzusetzen, in den Anfangsjahren sogar mit typisch stalinistischen Methoden. Diese Funktionäre dachten im Rahmen der Genossenschaften a la DDR und waren mit den agrarischen Eliten teilweise verbandelt. Teilweise hatten sie selbst die fragwürdigen Umwandlungsmethoden mit erdacht, deren Rechtmäßigkeit sie nunmehr im Gewande des Genossenschaftsverbandes selbst bestätigten. Die Selbstkontrolle der Genossenschaften funktionierte aufgrund dieses Filzes nur unzureichend. Die Funktionäre hatten die VdGB überdies in den Bauernverband umgewandelt. Auch der Landesbauernverband Brandenburg, dessen Chef der Agrarexperte der SPD-Landtagsfraktion ist, ist im Ursprung eine VdgB-Gründung. Zusammen mit dem frisch gegründeten Genossenschaftsverband, der von LPG-Vorsitzenden dominiert war, bildeten sie ab 1990, gestützt auf geheime Kooperationsabkommen, effektive Pressure-Groups für ihre Interessen. Bevor die Landesregierung 1991 überhaupt Fuß gefasst hatte, wurden die Landwirtschaftsverwaltungen in den Kreisen von diesen Verbänden bearbeitet, die sich schließlich im Landesbauernverband Brandenburg zusammenschlossen. Der Agrarlobbyismus der alten Leiter und Funktionäre wirkte oft hinter den Kulissen, dafür umso mächtiger.

3. Genossenschaften müssen in staatliche Register eingetragen werden, deren Aufgabe es ist, über Mindestanforderungen bei Gründung und Umwandlung zu achten. Die stalinistische Verwaltungsreform hatte die Genossenschaftsregister in die Hände der Kreisverwaltungen gelegt. Mit der Vereinigung sollten sie ab dem 4. Oktober1990 wieder bei Gerichten unter der Aufsicht unabhängiger Richter geführt werden. Faktisch kam es zu einer Parallelstruktur. Die Kreisverwaltungen stellten nach wie vor Bescheinigungen aus. Gerichte trugen angeblich neue Genossenschaften ein. Die Akten, die ermöglicht hätten zu prüfen, ob die Rechte der alten Genossenschaftsmitglieder ausreichend berücksicht waren, lagen eher in den Landratsämtern. Erst zwei Jahre nach der Vereinigung gingen sie an die Gerichte über. Dies hätte der Zeitpunkt sein können, die Rechtmäßigkeit von Genossenschaftsumgründungen erneut zu überprüfen. Mangels Problembewußtsein und aus Arbeitsüberlastung geschah das zu selten. Die staatliche Kontrolle durch die Register versagte. Wer dafür verantwortlich ist, bleibt bis heute im Nebel. Der damalige Justizminister sicher, aber auch die Ressorts Landwirtschaft, Inneres und die Landräte haben zu wenig hingesehen. Es gibt sogar Hinweise, dass agraische Pressure Groups vor Ort Einfluss nehmen wollten, dass nicht so genau geprüft würde.

4. Das Übergangsrecht gab der Landesregierung die Möglichkeit, umstrittene LPG-Umgründungen im Nachhinein zu überprüfen. In Brandenburg geschah das unter fragwürdigen Vorzeichen: In der Kommission dominierten die ‚Experten', die die LPG-Vorsitzenden beraten hatten. Dass sie bei den von ihnen persönlich betreuten LPGn nicht mitstimmen durften, heilte diesen Makel nicht wirklich. Das Landwirtschaftsministerium selbst entsandte eine DDR-Agrarjuristin, die in der Presse im Verdacht stand, sich selbst mit Bodenreformgrundstücken bereichert haben zu wollen. In einer Nacht- und Nebelaktion wurde die Kommission aufgelöst. Ihre Wirkungen, das zeigt die Expertise von Professor Bayer, waren vergleichsweise gering.

Was also tun? Auf den wirtschaftlichen Erfolg der Nachfolgebetriebe verweisen? Wo gehobelt wurde, mussten eben Späne fliegen? So etwa argumentierte der schon zitierte Gehard Thalheim. Es ist befremdlich, einen ehemaligen Spitzenpolitiker der SPD so reden zu hören. Historisch betrachtet ist die SPD die älteste deutsche Partei, die für Rechtsstaat und Demokratie steht. Schwamm drüber!? Das kann es aus folgenden Gründen nicht sein:

Wenn jemand einem anderen hilft, unrechtmäßig erworbene Gelder oder Güter in den rechtmäßigen Umlauf zu bringen, ist er der Hehlerei oder Geldwäsche verdächtig. Der Staat, der bei der Umwandlung der Genossenschaftsbetriebe Versäumnisse begangen hat, sollte sich solchem Verdacht nicht aussetzen.

Die, die Genossenschaften als Wirtschaftsform immer unkritisch verteidigten, müssen sich außerdem heute fragen, ob das, was daraus wurde, überhaupt noch ihren Intentionen entspricht: Monokulturen mit wenigen Arbeitsplätzen in den Händen von immer weniger Personen – dahin geht der Trend der Nachfolgebetriebe. Ein grotestkes Detail: In Brandenburg sind die Tierbestände so geschrumpft, dass nicht einmal der Großraum Berlin ausreichend bedient werden kann. Das ist insgesamt das Gegenteil von breiter Eigentumsstreuung und Bindung an die regionalen Interessen. Heute werden immer mehr Kapitalgesellschaften, die aus LPG entstanden, Beute von international agierenden agrarkapitalistischen Gesellschaften.

Die Unrechtstatbestände aus DDR-Zeiten in der „Wende“ sind in Brandenburg präsent. In Tausenden Familien in Dörfern und Kleinstädten erinnert und erzählt man bis heute darüber. Wenn die Politik wirtschaftlichen Erfolg über die Rechtmäßigkeit ihrer Entstehung setzt, verstört sie das Rechtsbewußtsein dieser Menschen. Im Grunde würde die SED-Auffassung, dass der Zweck über dem Recht steht, weitergeführt, statt das Rechtsstaatsbewußtsein zu fördern.

Die von Professor Bayer genannten Befunde sind alarmierend, sie können nicht folgenlos bleiben. Überprüfung durch die Gerichte, aber auch Methoden, mit Mitteln der Landesregierung nachzusteuern, wurden in Brandenburg vergleichsweise wenig genutzt. Andere Länder hatten bei der Verteilung von Fördermitteln und Bodenreformland darauf gedrängt, dass Umwandlungsfehler korrigiert werden.

Ehrlicherweise lassen sich aus rechtlichen wie tatsächlichen Gründen viele Sünden der Vergangenheit nicht mehr heilen. Es gibt aber auch so etwas wie eine moralische Wiedergutmachung, weil sie Unrecht, das zu DDR-Zeiten entstand und bis heute nicht geheilt werden konnte, zumindest benennt. Ich habe der Enquete vorgeschlagen, für solche Fragen ein Studienzentrum oder Stipendien auszurichten. Die Landesregierung ist diesem Diskurs zu Agrarfragen bisher nicht beigetreten. Wer wie ich im Rahmen der Enquete Akten und Fakten von der Landesregierung haben wollte, wurde, wie auch andere, auf die lange Bank geschoben. Bisher ist vollkommen unklar, wo die Akten zur Transformierung der Genossenschaften abgeblieben sind. Aufarbeitungswille sieht anders aus.

Der Diskurs in den Dörfern ist zwar stiller als der Lobbyismus von Interessensgruppen, aber er ist vorhanden und zahlenmäßig bedeutsam. Wer eine Befriedung der Gesellschaft will, sollte gerade diesen Stimmen Rechnung tragen. Totschweigen ist keine geeignete Methode.

Der Autor Christian Booß, Historiker und Journalist, hat im Frühjahr ein Gutachten zur Agrargeschichte Brandenburgs vorgelegt. Er ist Projektkoordinator bei der Stasi-Unterlagenbehörde BStU und war früher Journalist beim RBB.

Christian Booß

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