zum Hauptinhalt
Drei Schwalben machen noch keinen Naturschutz. Es wurden mehr Schwalben gezählt in diesem Frühjahr in Brandenburg, doch wie es in der Mark genau um die Vögel und Vogelarten steht, will Minister Vogelsänger offenkundig nicht preisgeben.

© Rainer Jensen/dpa

Folgen Brandenburgs Agrarpolitik für die Vogelwelt: Ein Vogelsänger – aber weniger Singvögel

Die Zahl der Brutvögel auf Acker- und Grünflächen sinkt. Doch Brandenburgs Umweltminister legt nur begrenzte Daten vor. Die Grünen vermuten, dass die Folgen der Agrarpolitik verschleiert werden sollen.

Potsdam - Mehr Schwalben sind in diesem Frühjahr in Brandenburg gesichtet worden. 1674 Rauch- und 2469 Mehlschwalben waren es, ein Plus von 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Doch das Ergebnis der jährlichen Gartenvögel-Zählung des Naturschutzbunds (Nabu) Brandenburg kann über einen Umstand nicht hinwegtäuschen: Langfristig nimmt die Zahl der Vögel ab.

Bundesweit ist der Bestand von Mehlschwalben zwischen 2006 und 2016 um 40 Prozent gesunken. Der Nabu führt dies auf zwei Faktoren zurück: Immer weniger Hausbesitzer dulden die Nester an ihren Häusern. Weitaus dramatischer aber sei, dass die Vögel wegen der zunehmenden Flächennutzung durch die Landwirtschaft immer weniger Nahrung finden – also Insekten. Denn auch denen fehlt auf riesigen Äckern geeigneter Lebensraum.

Und die Schwalben sind nur ein Beispiel von vielen. Es wird ein massiver Rückgang aller Vogelarten in Deutschland registriert. Wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen im Bundestag hervorgeht, haben sich allein die Brutvogelbestände in der Agrarlandschaft in den vergangenen 30 Jahren mehr als halbiert.

Die Grünen-Fraktion im Landtag Brandenburg hätte zu den Brutvogelbeständen in der hiesigen Agrarlandschaft auch gern Auskunft von Agrar- und Umweltminister Jörg Vogelsänger (SPD) bekommen. Doch ihre Anfrage wurde nur zum Teil beantwortet. Demnach wurden bei der Hälfte der Brutvogelarten in Brandenburgs Agrarlandschaft deutliche Rückgänge registriert. Allerdings decken die von Vogelsänger preisgegebenen Zahlen aus dem systematischen Vogelmonitoring nur die Jahre 1995 bis 2009 ab. Zwischen 2010 und 2016 sind die Bestände von 43 Arten zwar erfasst, aber offenbar nicht mehr ausgewertet worden. Starke Rückgänge sind beim Rebhuhn, Kiebitz, der Feldlerche und dem Braunkehlchen – zumindest bis 2009 – registriert worden. Von 43 Vogelarten zeigen Vogelsänger zufolge 22 Arten in der Statistik bis zum Jahr 2009 „eine negative Bestandsentwicklung“. Bei zehn Arten war der Bestand stabil, acht Arten „haben von einer veränderten Landnutzung profitiert“.

Der Minister spricht trotz des von der Bundesregierung festgestellten dramatischen Rückgangs nur von Schwankungen bei der Zahl der Vögel und Vogelarten. Als Gründe führt er „jährliche Schwankungen beim Nahrungsangebot“ und beim Bruterfolg an, aber auch den „Verlust von Lebensräumen durch Flächenverluste“ und „langfristige Änderungen des Binnenklimas“.

Doch andere Statistiken belegen: Es handelt sich um eine kontinuierliche Abnahme, die anhält. Beispiel Rebhuhn: Es ist ein Bewohner von Feldfluren und Brachland, reagiert besonders sensibel auf Änderungen in der Flächennutzung. Der Landesjagdverband hat zuletzt festgestellt, dass die Zahl der Rebhuhnpaare zwischen 2009 und 2013 von 2519 auf 1712 zurückgegangen ist. Das ist ein Rückgang um 32 Prozent in nur vier Jahren.

Nach Ansicht von Minister Vogelsänger ist das Land nicht untätig. Er führt an, dass auf 65 Prozent des Grünlandes sogenannte Kulap-Maßnahmen – benannt nach der Förderung für das Kulturlandschaftsprogramm – umgesetzt werden. Darunter fallen Ökolandwirtschaft, die Umwandlung von Äckern zu Grünland, der Verzicht auf Stickstoffdünnung, die spätere Mahd zum Schutz von Tieren, der Schutz von Heide und Trockenrasen oder das Anlegen von Hecken. Doch das bezieht sich wohlgemerkt nur auf Grünland, nicht auf Ackerflächen. Ansonsten verweist Vogelsänger auf Schutzgebiete, mit denen „Schwerpunktvorkommen von Brutvögeln der Offenlandschaft“ erhalten werden sollen.

Für Grünen-Fraktionschef Axel Vogel ist das zu wenig. „Als Verfechter der industriellen Landwirtschaft fürchtet er offenkundig die unbequeme Wahrheit“, sagt Vogel. Der Fraktionschef weiß, wovon er spricht. Anfang der 1990er-Jahre wurde er Mitarbeiter im Umweltministerium, ab 2004 war er Abteilungsleiter für Ökologie und Naturschutz im Landesumweltamt. Dass Vogelsänger keine Auswertung der Daten des Vogelmonitorings ab 2009 vorlegte, damit will er sich nicht abfinden. Vogel sagt: „Die Auswertung der von der eigenen Vogelschutzwarte erhobenen Daten würde voraussichtlich erneut aufdecken, dass der Brandenburger Weg einer großflächigen konventionellen Landbewirtschaftung massive Kollateralschäden für die biologische Vielfalt nach sich zieht.“

Wenn die Zahlen des Vogelmonitorings das belegen, würde es sich in ein Bild der Politik von Vogelsänger fügen, mit der er den Arten- und Umweltschutz massiv ausbremst. Am deutlichsten zeigt sich das beim Umgang mit dem Personal. Seit Amtsantritt 2014 hat Vogelsänger im Umweltressort einen profilierten Kopf nach dem anderen abgelöst oder kaltgestellt. Es begann im Dezember 2014 mit Matthias Freude, dem langjährigen Präsidenten des Landesumweltamtes. Freudes Amtsnachfolger Dirk Ilgenstein, zuvor Chef des Landesamtes für ländliche Entwicklung, ließ dann 2015 Martin Flade, den Leiter des Biosphärenreservates Schorfheide Chorin, zwangsversetzen. Und im Januar 2017 musste der langjährige Naturschutz-Abteilungsleiter Axel Steffen eine andere Abteilung übernehmen.

Der Nabu hatte Vogelsänger vorgeworfen, er wolle den unter dem damaligen Umweltminister Matthias Platzeck (SPD) in den 1990er-Jahren aufgebauten Naturschutz „mit einer Doppelstrategie“ beseitigen. Nun hat sich auch Kai Niebert zu Wort gemeldet. Er ist Präsident des Deutschen Naturschutzrings, der Dachverband der Umweltorganisationen in der Bundesrepublik. Dem Vereinsblatt der Naturfreunde Brandenburg sagte Niebert, als er in den 1990er-Jahren mit dem ehrenamtlichen Naturschutz angefangen habe, „redete man mit Bewunderung von der brandenburgischen Umweltpolitik“. Nieberts aktuelles Fazit: „Heute trägt Brandenburg eher die rote Laterne.“

Mit seiner Personalpolitik, ein „krasser Umbruch“, stelle sich Vogelsänger selbst ein Bein, sagte der DNR-Präsident. „In den 90ern kamen gute, hochmotivierte Naturschützer nach Brandenburg, denn dort passierte was.“ Die heutige Politik ziehe „dem Naturschutz den Boden unter den Füßen weg“. Zudem drohe das System der Großschutzgebiete, einst bundesweit Vorbild, aufgebaut unter Platzeck, zerschlagen zu werden. Als Minister für Agrar und Umwelt dürfe Vogelsänger nicht zulassen, dass „eine falsche Landwirtschaftspolitik massiv zum Artensterben führt“. (mit dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false