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Brandenburg: Es ist nicht Stolpe, es ist Vietze

In dem Enquete-Gutachten zu Stasi-Spitzeln und Funktionären in Landtag, Regierung und Behörden geht es nicht um den erste SPD-Ministerpräsidenten. Aber die SPD verteidigt nun ihren Brandenburger Weg, dessen Folgen und ihren über Jahre von Stasi-Überprüfungen verschonten Koalitionspartner.

Potsdam - Manchmal sind es die Sätze am Rande, kleine Vorzeichen. Es war Ralf Holzschuher, der Chef der SPD-Landtagsfraktion. Am Freitag, einen Tag bevor die „Märkische Oderzeitung“ aus dem Gutachten für die Enquete-Kommission zu Brandenburgs Nachwendejahren über Stasi-Kader und Funktionseliten in Parlament, Landesregierung und Behörden zitierte, sagte Holzschuher: „Ich bedaure, dass nicht alle Gutachten die an sie gestellten Anforderungen erfüllt haben. Das muss besser werden, um den Erfolg der Enquete-Kommission nicht zu gefährden.“ Diese Worte werden nochmal eine Rolle spielen. Bekanntlich hatte aber bislang nur ein Gutachten zu Jahresbeginn für Kritik gesorgt. Es ging dabei um die DDR-Geschichte in Lehre, Forschung und politischer Bildung. Das war längst vergessen.

Mit seiner Kritik stand Holzschuher am Freitag noch allein da. Es war der Tag, um Bilanz zu ziehen nach einem Jahr Enquete-Kommission. Zur Erinnerung: Die Opposition hatte das Gremium durchgesetzt, auch weil nach Bildung der rot-roten Koalition im Herbst 2009 in der Linksfraktion mehrere Abgeordnete als frühere Inoffizielle Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit enttarnt worden waren. Für die von Matthias Platzeck (SPD) geführte Regierung waren das schwere Erschütterungen. Erstmals kam die Linke, die den Brandenburger Weg, die Konsens-Linie zum Umgang mit der DDR, stets stütze, in Brandenburg in Regierungsverantwortung. Und dann das.

Jedenfalls zog die Opposition aus CDU, FDP und Grünen am Freitag auf einer Pressekonferenz ein durchweg positives Fazit. Selbst Linke-Fraktionschefin Kerstin Kaiser lobte, „Lücken“ bei der „Wiedergutmachung gegenüber den Betroffenen stalinistischer Verfolgung“ seien aufgedeckt worden. Die Arbeit des Gremiums sei „sinnvoll“, es ermögliche „einen kritischen Blick“ und habe auch gezeigt, dass Brandenburg nicht ein Land sei, „in dem frühere DDR-Eliten und Stasi-Mitarbeiter hofiert werden“. Ob sie da schon wusste, was noch kommt?

So viel zur Vorgeschichte am Freitag. Dann aber berichtete die „Märkische Oderzeitung“ am Sonnabend über ein im Auftrag der Enquete-Kommission erstelltes Gutachten. Die Nachricht: Ex-Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) und ein Dutzend weitere Landtagsabgeordneter hätten in der ersten Wahlperiode bis 1994 ihr Mandat niederlegen müssen – wegen ihrer Stasi-Kontakte. Es war nur ein kleiner Ausschnitt aus dem 129 Seiten starken Papier, aber der mit dem größten Aufreger-Potenzial. Dabei haben die Gutachter nur das festgestellt, was ohnehin bekannt ist und was auch die Stasi-Unterlagenbehörden ohne juristische Folgen feststellen darf: Dass nämlich der frühere Ministerpräsident „nach den Maßstäben des Ministeriums für Staatssicherheit ein wichtiger Inoffizieller Mitarbeiter war“. Eigentlich nichts Neues.

Die Gutachter stellen vor allem aber fest, dass die beiden Kirchenvertreter in der Bischofskommission die vom Landtag beschlossenen Maßstäbe aufweichten. Zudem habe die Kommission die Hinweise der Stasi-Unterlagenbehörde nicht ernst genommen, dass die weitere Erschließung der Stasi-Akten zu neuen Erkenntnissen und weiteren Stasi-Fällen führen dürfte. Auch in der Landesverwaltung wurde demach sehr rücksichtsvoll mit früheren Stasi-Spitzeln umgegangen.

Holzschuher und Kaiser sprachen über Pfingsten nur noch von Stolpe, warfen den Gutachtern „politisch motivierte Abrechnung“ vor. Besonders Holzschuher, der sich am Freitag noch über die Qualität der Gutachten beschwert hatte, legte nun mit ähnlichen Worten nach: „Gutachten wie dieses gefährden den Erfolg der gesamten Enquete-Kommission.“ Er begründete dies mit drastischen Worten: „Die Voraussetzung für die Friedlichkeit der Revolution von 1989 war das Versprechen der zweiten Chance. Die Alternative war Blutvergießen.“

Unklar bleibt dabei, wem in Brandenburg auf diesem Hintergrund eine „zweite Chance“ versprochen worden war. Manfred Stolpe brauchte aus Sicht der Sozialdemokraten eine solche ja nicht, da er – wie Holzschuher betonte – zu DDR-Zeiten „auf der Seite der Kirche für die Freiheit der Menschen gekämpft hat“.

Die Attacke von Rot-Rot auf das Gutachten wird durch die Worte von Linke-Fraktionschefin Kaiser etwas erklärlicher. Sie erwähnt mit Heinz Vietze einen Politiker ihrer Partei, der alle Überprüfungen überlebte, ohne überhaupt benannt zu werden. Vietze, über viele Jahre hinweg nicht nur in Brandenburg, sondern auch auf Bundesebene einer der mächtigen Männer der PDS, war 1989 Chef der SED im Bezirk Potsdam. Er hat eine umfangreiche Vita als Stasi-IM. Der Bescheid der damaligen Gauck-Behörde, laut Vietze insgesamt 150 Seiten, lag dem Landtag 1991 vor, wurde aber im Abschlussbericht unterschlagen. Offenbar weil Vietze unter die als verschonenswert eingestufte Kategorie derer fiel, die aus rein beruflichen Gründen Kontakt zur Stasi hatten. Laut Enquete-Gutachten hätten die Erkenntnisse schon damals ausgereicht, um nach den Kriterien des Landtags Vietze eine Mandatsniederlegung zu empfehlen.

Kaiser erwähnte nun ausdrücklich Vietzes „Verdienste für das neue Land Brandenburg“. Und Holzschuher verteidigte die SPD-Politik der „zweiten Chance“ damit, dass sich „die Überlegenheit der Demokratie“ darin zeige, ihre „früheren Gegner“ zu integrieren. Es geht bei den Angriff auf das Gutachten also gar nicht um Stolpe. Es geht um die Linksfraktion selbst und um Vietze. Die SPD verteidigt hier ihren Kurs, den Brandenburger Weg, dessen Folgen und damit ihren Koalitionspartner, die Linke. Zumal Vietze als der Wegbereiter der rot-roten Koalition gilt.

Für die Enquete-Gutachter ist jedenfalls unverständlich, warum es von 1994 bis 2009 im zweiten bis vierten Landtag überhaupt keinen Stasi-Check gab. Fest steht nun: Im ersten Landtag waren von 19 Abgeordneten mit Hinweis auf Stasi-Vergangenheit sechs von der PDS, nach 1994 waren es von zwölf Verdachtsfällen sieben, ab 1999 dann sechs von insgesamt acht, ab 2004 acht von zehn. Nach der Wahl 2009 - nun als Linke– waren es sieben. Bei drei Abgeordneten war die Stasi-Vita zuvor nicht bekannt.

Übrigens forderte 1991 sogar der damalige SPD-Landeschef Steffen Reiche eine Überprüfung des ganzen Verfahrens, „weil im Landtag Leute sitzen, die mehr Verantwortung für das Unrecht im alten System tragen als die jetzt als belastet Herausgefischten“. Gemeint war Vietze. Und Matthias Platzeck, heute SPD-Ministerpräsident, damals noch Bündnis 90, sagte seinen Fraktionskollegen, eigentlich müsse kein Abgeordneter zurücktreten, solange Vietze bleibe.

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