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Nun in der ersten Reihe. Acht Jahre lang hat Holger Kelch (CDU) im Cottbuser Rathaus eher hinter den Kulissen gewirkt.

© privat

Brandenburg: Endlich Chef

Vor acht Jahren trat er für ein kommunales Bündnis zwischen CDU und Linke an: Holger Kelch wird Oberbürgermeister von Cottbus

Von Sandra Dassler

Cottbus - Er wollte diesen Posten. So sehr, dass er schon vor acht Jahren ein Tabu brach, seinem Parteivorsitzenden Jörg Schönbohm (CDU) den Gehorsam verweigerte und Kanzlerin Angela Merkel zumindest verblüffte. So sehr, dass er Aussagen über seine Zukunft konsequent revidierte und acht Jahre lang diente.

Jetzt darf er herrschen. Jetzt hat er den Posten. Am 30. November wird Holger Kelch Oberbürgermeister von Cottbus – ein Augenblick, auf den er seit 2006 gewartet hat. Da war der im nahe gelegenen Altdöbern geborene Kelch schon einmal Oberbürgermeister geworden. Allerdings nur geschäftsführend, weil er als Beigeordneter nachrückte, als die damalige umstrittene Amtsinhaberin Karin Rätzel (SPD) durch Volksentscheid abgewählt wurde.

Kelch, gelernter Elektromonteur und studierter Betriebswirt, war erst 39 Jahre alt, hatte aber schon Erfahrung mit Verwaltung, so als Leiter eines Ordnungsamtes und einer Kfz-Zulassungsstelle. Das Leben als Oberbürgermeister muss ihm so gut gefallen haben, dass er damals zur regulären Wahl antrat: für die CDU, aber unterstützt von FDP, Frauenpartei, Freien Wählern und – der Linkspartei/PDS.

Das hatte es in Deutschland bis dato noch nicht gegeben: CDU und PDS ganz offen gemeinsam. Zeitungen schrieben über den „Sündenfall von Cottbus“ und „Die Wiederauferstehung der Nationalen Front“. Brandenburgs CDU-Chef Schönbohm schäumte, Angela Merkel schluckte, griff aber – wie Kelch immer betonte – nie ein. Doch nicht nur Kelchs eigener Partei war das geplante schwarz-dunkelrote Bündnis unheimlich. Die märkische SPD wollte Cottbus nicht verlieren, zog ihre ursprüngliche Kandidatin, die jetzige Bildungsministerin Martina Münch, zurück und schickte den damaligen Verkehrsminister Frank Szymanski als Spitzenkandidat in seine Heimatstadt. Das Kalkül ging auf, die Cottbuser wählten statt des unbekanntenVerwaltungsexperten Kelch den Minister mit vermeintlich guten Kontakten nach Potsdam.

Szymanski hat seine Rückkehr in die Niederlausitz wohl nicht wirklich gefreut, auch wenn er nach dem Wahlsieg 2006 mit seinen Genossen trotzig Westernhagens „Ich bin wieder hier, in meinem Revier“ sang. Kurz darauf geriet er in die Schlagzeilen, weil ihm Ministerpräsident Platzeck angeblich nicht nur eine Art Rückkehrticket nach Potsdam zugesichert hatte, sondern auch höhere Bezüge als für den Oberbürgermeister üblich. Szymanski fühlte sich zu Unrecht als „Raffke“ verdächtigt, betonte, dass es ihm nur darum ging, im Landesdienst erworbene Ansprüche zu sichern. Doch auch in den folgenden Jahren blieb der Ex-Verkehrsminister in der Kommunalpolitik eher glücklos. Vor allem konnte er den Schuldenberg der Stadt nicht abbauen.

Holger Kelch hat ihm das im diesjährigen Wahlkampf nicht vorwerfen können, war er doch selbst beteiligt. Entgegen seiner Ankündigung war er nämlich nach der Niederlage bei der Oberbürgermeisterwahl 2006 als Bürgermeister und Leiter des Finanzmanagements im Cottbuser Rathaus geblieben. In der Öffentlichkeit war er immer loyal zu seinem Oberbürgermeister. Und doch hat sich in den acht Jahren herumgesprochen, dass er der eigentliche Macher war, während Frank Szymanski lieber repräsentierte. Wenn der Kelch sowieso alles macht, können wir ihn auch gleich wählen, mögen da viele Cottbuser gedacht haben. So erhielt Kelch vor einer Woche bereits im ersten Wahlgang 50,7 Prozent. Szymanski kam auf 37,3 Prozent und irgendwie finden das viele Einwohner folgerichtig. Auch wenn es natürlich übertrieben ist, zu behaupten, dass der einstige Verkehrsminister nichts vorzuweisen habe als die exorbitant vielen Tempo-30-Zonen in der Innenstadt und die Verkehrsinsel vor der Brandenburgischen Technischen Universität.

Deren mehr oder weniger von Potsdam aus erzwungene Fusion mit der Fachhochschule Lausitz hat er jedenfalls nicht verhindern können und viele unpopuläre Sparmaßnahmen auch nicht. Denn Cottbus ist nach wie vor Spitzenreiter bei der Verschuldung märkischer Kommunen: Der Kernhaushalt der zweitgrößten Stadt des Landes ist mit über 250 Millionen Euro belastet, das sind über zweieinhalbtausend Euro Schulden pro Einwohner.

Immerhin ist es gelungen, die Neuverschuldung einzudämmen, daran wird auch der Oberbürgermeister Kelch weiter arbeiten müssen. Außerdem setzt er auf einen kollegialeren Umgang mit den Verwaltungsangestellten und einen professionelleren Umgang mit den Bürgern. Viele Cottbuser seien verärgert, sagte Kelch dieser Zeitung. Vor allem die Altanschließer – Eigentümer, deren Grundstücke bereits zu DDR-Zeiten an die Kanalisation angeschlossen waren und die sich dennoch an Investitionen in die Wasserversorgung nach der Wende beteiligen sollen. „Wenn das alles rechtlich geprüft ist, müssen Härtefälle viel besser als bisher gehandelt werden“, sagte Kelch. Außerdem will er ein schnelleres Internet und eine bessere Verzahnung zwischen Uni und Stadt.

Auf Facebook hat er sich artig für die Wahl bedankt und Glückwünsche entgegengenommen, so von der CDU-Landesvize Barbara Richstein. Und von Detlef Irrgang, den sie hier „Fußballgott“ nennen, weil er mit seinen Toren Energie Cottbus 1997 gegen Hannover in die zweite und 2000 gegen Köln in die erste Bundesliga schoss. Da herrschte noch Aufbruchstimmung in der Lausitz, was nicht nur am Fußball, sondern auch am damaligen Amtsvorgänger Holger Kelchs lag: Waldemar Kleinschmidt, auch CDU-Mitglied, hat die Uni geholt, das große Krankenhaus erhalten und 1995 die Buga kurzentschlossen ausgerichtet, als Berlin seine Bewerbung zurückzog.

Holger Kelch wird ebenso entschlossen handeln müssen. Er kennt die Probleme, braucht keine Einarbeitung und hat acht Jahre lang Zeit. Wenn er die zarte Aufbruchstimmung nutzen will, muss er schnell Erfolge aufweisen und zugleich auch unpopuläre Dinge angehen. Nur so wird er die Stadt nach vorne bringen. Und wirklich Freude an dem so lange angestrebten Posten haben. Sandra Dassler

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