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Das große Heulen. Für die einen ist er ein Räuber, für andere ein Mythos. Die Rückkehr des Wolfes polarisiert auch Brandenburg. Während Tierschützer sich freuen, sind Schäfer, Jäger und Anwohner in den Wolfsrevieren immer noch skeptisch.

©  dpa

Brandenburg: Einfach unterm Zaun durch

Dass Wölfe Schafe töten, ist nicht außergewöhnlich – es sei denn, es passiert vor den Toren Berlins

Von Sandra Dassler

Beelitz/Potsdam - Das Ausrufezeichen durfte nicht fehlen: „Nur 38 Kilometer vor Berlin! – Wölfe reißen Schafherde“ lautete eine von vielen Schlagzeilen der vergangenen Tage. Dabei war eigentlich nichts Außergewöhnliches geschehen: In Birkhorst, einem Ortsteil von Beelitz, hatten wie berichtet in der Nacht zum vergangenen Sonntag Wölfe fünf von acht Schafen in einem Gehege getötet.

Es war bei Weitem nicht der erste Fall in Brandenburg, zuvor waren allein in diesem Jahr 17 Schafe von Wölfen gerissen worden, 2012 waren es 50, 2011 sogar 87. Hinzu kommen ein paar Kälber und Ziegen sowie Dutzende Damhirsche. Seit sich ungefähr ab Mitte der 90er-Jahre wieder Wölfe in Sachsen und Brandenburg ansiedelten, kennt man das Problem. Aber es ging ja auch nicht um den Fakt, dass Wölfe Schafe töten, sondern um die Botschaft, dass die streng geschützten Raubtiere der deutschen Hauptstadt immer näher kommen.

„Das ist wirklich billige Sensationshascherei und schürt uralte Ängste und Klischees vom bösen Wolf“, sagt Kay-Uwe Hartleb. Der niedergelassene Biologe, der in Ferch ein Fachbüro für Natur- und Artenschutz betreibt, ist seit dem 1. September dieses Jahres mit der sogenannten Bissbeurteilung betraut. Das heißt, er prüft im Auftrag des Landes Brandenburg, ob die Schafe, Kälber oder Ziegen tatsächlich von Wölfen gerissen wurden. In solchen Fällen können die Schäfer und Landwirte nämlich auf eine entsprechende Entschädigung hoffen – aber auch nur dann, wenn sie entsprechende Schutzvorkehrungen getroffen haben.

In Beelitz war sehr schnell klar, dass die Schafe von Wölfen getötet wurden und nicht etwa von wilden Hunden. „Wölfe töten möglichst schnell, um nicht von den Hufen oder Geweihen ihrer Beutetiere verletzt zu werden“, sagt Kay-Uwe Hartleb. „Deshalb suchen sie die Kehle und beißen dann mit äußerster Entschlossenheit und Wucht zu.“ Die langen Fangzähne drücken die Luftröhre zu und durchtrennen die Gehirnarterie, der Tod der Beute tritt sehr schnell ein. Hunde haben dafür weder das Gebiss noch die Kraft noch den schnellen effektiven Tötungswillen, sagt Hartleb.

Ob der Beelitzer Schäfer für den Verlust seiner Tiere eine Kompensation vom Land erhält, ist noch sehr fraglich. Zwar hatte er einen zum Schutz vor Wölfen geeigneten Elektrolitzenzaun, aber die unterste stromführende Litze war 40 Zentimeter über dem Erdboden angebracht und nicht – wie empfohlen – höchstens 20 Zentimeter. „Das haben die Wölfe gleich erkannt und sind einfach unten durch“, sagt Hartleb.

Der Sprecher des Landesumweltministeriums Achim Wersin geht dennoch davon aus, dass der Schäfer schon aus Kulanzgründen entschädigt wird. Schließlich gibt es schon genug Ärger – trotz des neuen Wolfsmanagementplans und trotz der Tatsache, dass noch kein Mensch von einem der schätzungsweise 90 Brandenburger Wölfe angegriffen wurde. Trotzdem haben Einwohner in Gebieten, wo seit Jahren wieder Rudel leben, Angst.

Viele Jäger sind hingegen schon aus Konkurrenzgründen gegen Wölfe und haben im benachbarten Sachsen jetzt den Spieß umgedreht. Der dortige Landesjagdverband warf den staatlichen Tierschützern vor, Wölfe mit verbotenen Tellereisen zu fangen, um sie mit Sendern auszustatten. Für Kay-Uwe Hartleb ein durchsichtiges Manöver: „Es handelt sich keineswegs um Tellereisen“, sagt er, „sondern um modifizierte Fanggeräte, die sogar abgepolstert sind, sodass die Tiere nur festgehalten, aber nicht verletzt und schon gar nicht getötet werden.“

Für Hartleb gibt es kein Argument gegen Wölfe in Deutschland. „Sie gehören einfach hierher“, sagt er. Der Geschäftsführer des Bauernbunds Brandenburg, Reinhard Jung, sieht das völlig anders. „Wir haben hier 200 Jahre lang ganz gut ohne den Wolf gelebt“, sagt er: „Er hat uns überhaupt nicht gefehlt.“

Der Bauernbund will einen Rechtsanspruch auf Entschädigung und – was natürlich unmöglich ist – dass die Wölfe von Gebieten mit Weidehaltung ferngehalten werden. „Sonst müssen wir irgendwann unsere Tiere wieder in Ställe sperren“, sagt Jung: „Bei uns auf dem Land wollen wir die Wölfe jedenfalls nicht. Aber vielleicht sollte man sie ohnehin in Berlin und Potsdam ansiedeln, da ist die Akzeptanz ja bekanntlich am größten.“

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