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Brandenburg: Ein Sejm für die Sorben

In Deutschland haben Millionen slawische Wurzeln. Die letzten Vertreter der Minderheit kämpfen für ihr eigenes Parlament. Bald soll ein Ältestenrat gewählt werden

Von Sandra Dassler

„Ich fände es gut, wenn die Sorben ihr eigenes Parlament hätten“, sagt ein Junge, der mit einer Gruppe Gleichaltriger den Schulhof des Niedersorbischen Gymnasiums in Cottbus verlässt. Alle besuchen die 11. Klasse und haben im Unterricht schon diskutiert, ob es sinnvoll wäre, eine demokratisch gewählte Vertretung für Sorben zu haben. „Woanders gibt es das schon lange“, sagt der Junge, „zum Beispiel bei den Samen in Norwegen, Finnland und Schweden.“ Auch Hannes Wilhelm-Kell verweist andere Länder. „Es ist vielerorts in Europa ganz normal, dass Minderheiten eigene Parlamente haben“, sagt er: „Jedes Volk benötigt eine Plattform, auf der es demokratisch über seine Themen verhandeln, streiten und zu Entscheidungen finden kann, die dann auch nach außen vertreten werden.“

Kell ist einer der beiden Sprecher der Initiative Serbski Sejm „Für eine sorbisch/wendische Volksvertretung“. Er kümmert sich besonders um die Angehörigen der slawischen Minderheit in der brandenburgischen Niederlausitz, die sich – im Gegensatz zu den Sorben in der sächsischen Oberlausitz – auch gern als Wenden bezeichnen. Etwa 20 000 sollen es sein, hinzu kommen etwa 40 000 Sorben in Sachsen. Die Zahlen sind freilich nur grobe Schätzungen, denn Sorbe ist, wer sich dazu bekennt. Das Bekenntnis aber darf – nach den schlimmen Erfahrungen aus der jüngeren deutschen Geschichte – nicht etwa in einer Volkszählung abgefragt werden.

Nimmt man die Verwendung der Muttersprache als Kriterium, würde man wohl auf weniger als 60 000 Sorben in Deutschland kommen, sagt Kell. Geht man aber danach, wie viele Menschen in Brandenburg und Sachsen sorbische Wurzeln haben, dürften es mehrere Hunderttausend sein. Und deutschlandweit stammen Millionen Menschen von Sorben, Wenden oder anderen Slawen ab.

Der Plan für ein eigenes Parlament tauchte erst vor einigen Jahren auf, seither hat es viele Diskussionen und (rechts-)wissenschaftliche Untersuchungen dazu gegeben. Jetzt sei die Zeit reif, die Idee umzusetzen, finden Kell und seine Mitstreiter und haben seit Jahresbeginn mehr als 700 Unterschriften gesammelt. Kritiker monieren allerdings, dass die Initiative nicht von einer breiten Mehrheit der kleinen Minderheit unterstützt wird. Das liegt vor allem daran, dass die Domowina, der Dachverband vieler sorbisch/wendischer Vereine und Einrichtungen mit rund 7300 Mitgliedern, bislang eher kritisch auf die Idee vom eigenen Parlament reagierte. Vor allem wohl, weil die Sejm-Befürworter ihr teilweise das Recht absprechen, die Vertreterin des sorbischen Volks zu sein. „Wir wollen die Verdienste der Domowina nicht schmälern“, sagt Kell: „Aber sie ist in erster Linie ein Kulturdachverband und hat andere Aufgaben. Wenn ich bei ihr mitreden will, muss ich Mitglied sein. Beim Parlament genügt es, Sorbe zu sein.“

Die demokratische Legitimation sei vor allem wichtig, damit die Sorben-Vertreter gegenüber der deutschen Mehrheit in Brandenburg und Sachsen nicht als Bittsteller auftreten müssten, sagt Kell. Dabei geht es nicht nur um Geld, sondern auch um eine größere Autonomie in Sachen Kultur und Bildung. So sei es für den Schutz der sorbischen Sprache notwendig, bestimmte Schulstandorte mit zweisprachigem Unterricht zu erhalten.

Außerdem dürften sorbische Dörfer nicht für Braunkohle abgebaggert werden. Auch die Schließung von Bahnhöfen etwa von Raddusch, Kunersdorf und Kolkwitz auf der Strecke Cottbus-Berlin sei verhängnisvoll. „Gerade nach Raddusch und Kunersdorf sind viele Touristen aus Berlin gekommen“, sagt Kell: „Dort gibt es unter anderem die Slawenburg, aber auch viele andere wendische Bräuche und Attraktionen.“

Wie viele Minderheiten in Europa kämpfen die Sorben in Deutschland vor allem um die Erhaltung ihrer akut vom Aussterben bedrohten Sprache. Und darum, überhaupt wahrgenommen zu werden. In Berlin, wo noch vor hundert Jahren viele Kinder von wendischen Ammen aus dem Spreewald aufgezogen wurden, ist man da aufgeschlossener als in Westdeutschland. „Dennoch ist es nahezu skandalös, wie der slawische Anteil an der deutschen Geschichte bis heute verdrängt wird“, sagt Werner Meschkank. Er arbeitet als Kurator am Wendischen Museum Cottbus und ist immer wieder von der Ahnungslosigkeit vieler Besucher überrascht. „Die glauben, dass der Name Berlin von Albrecht, dem Bären, kommt“, sagt er: „Dabei ist das eine wendische Bezeichnung und bedeutet Siedlungsstätte im Sumpf.“

Wenn er gefragt werde, „wann die Sorben hierhergekommen“ seien, entgegne er: „Und woher kommen Sie? Wir waren schon da, seit rund eineinhalb Jahrtausenden. Die Deutschen sind später in die Lausitz gekommen.“ Noch 1843 seien 71 Prozent der Bevölkerung im Landkreis Cottbus wendisch gewesen, sagt Meschkank – und überhaupt: „In allen 16 Bundesländern, allen 294 Kreisen und 107 kreisfreien Städten Deutschlands leben Menschen mit slawischen Wurzeln, wovon Familiennamen wie Wendt, Wende, Wendisch, Windisch, Wünscher, Konzack oder Noack zweifellos Zeugnis ablegen.“

Das Wendische sei eben Teil der deutschen Geschichte. „Weshalb sollten die Sorben/Wenden nicht auch ein eigenes Parlament haben, wie beispielsweise die deutsche Volksgruppe in Belgien?“, fragt Meschkank, der nicht zur Initiativgruppe gehört, aber durchaus mit ihr sympathisiert. Dass über den Weg zu diesem Parlament gestritten wird, findet er völlig normal: „Warum sollte das bei kleinen Völkern anders sein als bei großen?“

Die Initiatoren für den Sersbski Sejm sehen das ähnlich, auch wenn sie immer wieder betonen, auf Konsens zu setzen und nicht gegen die Domowina zu arbeiten. Noch in diesem Jahr wollen sie einen Ältestenrat einberufen – mit anerkannten Persönlichkeiten. Im nächsten Jahr könnten dann Vorwahlen stattfinden für ein Gremium, das die Statuten der zukünftigen sorbischen Volksvertretung ausarbeiten soll. Die Zeit drängt, meint Werner Meschkank, und deshalb seien deutsche Politiker gefragt, die sich bislang zurückhalten. „Das niedersorbische Wendisch droht, von der Karte der europäischen Sprachen zu verschwinden. Uns allen, egal ob sorbisch oder deutsch, sollte solch ein kultureller Verlust nicht gleichgültig sein.”

Das findet auch der Junge vom Niedersorbischen Gymnasium in Cottbus. „Das Wichtigste ist, dass unsere Sprache erhalten bleibt“, sagt er. Deshalb würde er zwar auch eine Frau heiraten, die keine Wendin ist, aber bei den Kindern keine Kompromisse machen: „Die sollen zweisprachig aufwachsen und wie ich in einen bilingualen Kindergarten gehen.“

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