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Brandenburg: Der vergessene Bischof von Sükow

In der Prignitz haben Denkmalschützer eine wertvolle Holzfigur aus dem Spätmittelalter entdeckt. Mit Hilfe der Computertomografie soll nun ihr genaues Alter bestimmt werden

Von Matthias Matern

Karstädt – Lange hat er halb vergessen bei Pfarrer Albrecht Preisler im Keller gelegen, jetzt muss der Bischof von Sükow ins Krankenhaus. Dass der kirchliche Würdenträger bereits mehrere Jahrhunderte auf dem Buckel hat, ist gewiss, doch wie alt die spätmittelalterliche Holzschnitzerei genau ist, soll eine dendrochronologische Untersuchung klären. Dazu aber müssen Preisler und Gordon Thalmann von der untereren Denkmalschutzbehörde des Landkreises Prignitz das Kunstwerk zuerst in das Kreiskrankenhaus von Perleberg bringen. Dort sollen per Computertomografie mehrere sogenannte Schnittbilder des Bischofs angefertigt werden, die später von Experten des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin ausgewertet werden. „Die Dendrochronologie ist die genaueste wissenschaftliche Methode zur Holzalterbestimmung. Dabei werden die Jahresringe in einem Gehölz mit standardisierten Referenzproben verglichen“, klärt Thalmann auf, während er den Bischof für den Transport ins Krankenhaus in Folie einschlägt. Zwei ebenfalls spätmittelalterliche Christusfiguren sollen mit auf Reise gehen und auch untersucht werden. In rund drei Stunden werden sie in der Radiologie des Krankenhauses erwartet.

Mit den Ergebnissen aus Berlin können der Pfarrer und der Denkmalschützer jedoch erst in rund zwei Wochen rechnen. Bis dahin müssen die beiden mit einer wagen Vermutung leben. „Kunsthistoriker haben das Herstellungsdatum vorsichtig auf die Zeit um 1400 geschätzt“, berichtet Denkmalschützer Thalmann. Indizien dafür könnten etwa der Faltenwurf des Mantels oder die Art der Darstellung an sich sein, meint der 31-jährige Fachmann. Andere Anhaltspunkte für das Alter der Bischofsfigur gibt es kaum. Außer einem Foto von 1977, dass die Schnitzerei vor dem Eingang der alten Feldsteinkirche in Sükow zwischen Karstädt und Perleberg zeigt, ist von der Vorgeschichte nichts bekannt. Weder taucht sie als Stiftung in irgendeiner alten Inventurliste auf, noch weiß Preisler, wo die Figur früher in der Kirche gestanden haben soll. Klar ist nur, als er 2006 aus Berlin in den evangelischen Sprengel im Nordwesten Brandenburgs wechselte, war die Figur bereits im Karstädter Pfarrarchiv. Und der geheimnisvolle Bischof hätte vermutlich auch weiterhin dort im Keller geschlummert, hätte Thalmann nicht Preisler nach dessen Verbleib gefragt. Im Zuge der Vorbereitung der geplanten Sanierung der Sükower Kirche war der Denkmalschützer auf das alte Foto und somit auf den Holzbischof aufmerksam geworden.

Aus kunsthistorischer Sicht ist die Figur durchaus wertvoll. Deshalb sei es auch nicht möglich gewesen, lediglich eine Holzprobe des Bischofs zu entnehmen und sie auf ihr Alter untersuchen zu lassen, erläutert Gordon Thalmann und reißt ein letztes Stück Klebeband ab, um es um die Beine einer der beiden eingepackten Christusfiguren zu wickeln. Aus der Region existieren heute nur noch wenige spätmittelalterliche Kunstwerke. „Dabei war die Epoche eigentliche eine Blütezeit in der Mark Brandenburg. Doch während der Reformation und im Dreißigjährigen Krieg ist viel zerstört worden“, berichtet der Denkmalschützer.

Doch ob der Bischof tatsächlich in der Prignitz gefertigt worden ist oder in einer Werkstatt außerhalb der Region, ist ebenfalls unklar. „Es gab zwar auch in der Mark Brandenburg überregional bedeutende Holzschnitzerwerkstätten, etwa am Bischofssitz Havelberg, doch Initialen des Meisters haben wir nicht entdecken können“, sagt Thalmann. Man könne nicht einmal genau sagen, aus welchem Holz der Bischof geschnitzt ist. „In der Regel wurde früher weiches Holz zum Schnitzen verwendet. Bei der Bischofsfigur könnte es sich um Linde handeln. Aber sogar Eiche wäre möglich.“

Sicher ist sich der Fachmann jedoch, dass die Figur früher bemalt war. „An einigen Stellen sieht man noch deutlich Reste der roten Farbe des Bischofsmantels“, sagt Tahlmann. Eine Restaurierung sei zwar „wünschenswert“, aber vorerst nicht geplant, berichtet der Mitarbeiter der Kreisverwaltung. „Das eine sind die Wünsche der Denkmalpflege, das andere sind die Kassenstände der Kirche“, hält Pfarrer Preisler dagegen und nimmt die rund 70 Zentimeter große Skulptur auf den Arm. Zusammen mit Thalmann, der die beiden Erlöserfiguren trägt, steigt Preisler die wenigen Stufen aus dem Keller nach oben. Es ist Zeit aufzubrechen.

Preisler ist der Krankenhausleitung „dankbar“ dafür, dass sie so unkompliziert hilft. „Wir haben unseren Krankenhaus-Pfarrer vorgeschickt und dann zusammen mit dem Landkreis offiziell angefragt“, berichtet der evangelische Geistliche. Ist das Alter erst bestimmt, solle der Bischof in jedem Fall wieder in die Sükower Kirche zurückkehren und ausgestellt werden. Vorher jedoch müsste dort eine adäquate, vor allem auch diebstahlsichere, Präsentationsmöglichkeit geschaffen werden. „Uns war gar nicht bewusst, dass diese Figur einen so großen Schatz darstellt“, räumt Preisler ein.

Nach Ansicht von Wolfgang Jaap, Jahrgang 1940, ist der Holzbischof zur rechten Zeit wieder aufgetaucht, vermisst hat der Sükower ihn allerdings nicht. „Ich lebe seit knapp 70 Jahren hier und gehe regelmäßig in die Kirche. Von einem Holzbischof wusste ich bisher nichts“, gibt der Kirchenälteste zu. Jetzt hofft Jaap, dass die wertvolle Schnitzerei auch Aufmerksamkeit auf die renovierungsbedürftige Kirche lenkt. „Wir brauchen noch rund 150 000 Euro für den Eigenanteil zur Sanierung. Vielleicht hilft uns der Bischof ja, Spender zu finden“, sagt Jaap und schmunzelt verlegen.

Inzwischen sind Preisler und Thalmann im Perleberger Krankenhaus angekommen. Vorsichtig entblättern beide den Holzbischof auf der Liege vor dem Computertomografiegerät. Dann wird es ernst, das spätmittelalterliche Kunstwerk wird durch die Röhre geschoben. Zusammen mit Radiologe Vladimir Ferko wählt Thalmann an einem Monitor mehrere Schnittbilder aus. „Es ist keineswegs sicher, dass das klappt. Auf den Bildern müssen mindestens 50 Jahresringe zu erkennen sein“, sagt der Denkmalschützer. Doch die Chancen stehen gut. Vom Stammkern bis zum äußersten Rand, der sogenannten Waldkante, ist alles gut zu erkennen. Thalmann ist erleichtert: „Das sieht gut aus.“

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