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Tor zur Hölle. Gitter vor den Fenstern, Mauern, Stacheldraht, Einzelzellen – Die Gitterstäbe in ihrem Treppenhaus in Fürstenwalde erinnern Norda Krauel ständig an ihre Leidenszeit im Durchgangsheim in Bad Freienwalde.

© Patrick Pleul/dpa

DDR-Heimkinder in Brandenburg: Für Unrecht rehabilitiert, ein bisschen

Norda Krauel saß in einem DDR-Durchgangsheim und im Jugendwerkhof ein. Brandenburgs Justiz lehnte eine Rehabilitierung ab, das Bundesverfassungsgericht kassierte die Urteile. Das Ergebnis ist zwiespältig.

Potsdam - Erstmals, 27 Jahre nach der Wende, hat ein Gericht in Brandenburg eine frühere Insassin eines DDR-Durchgangsheimes rehabilitiert – aber mit angezogener Handbremse und erst auf Druck des Bundesverfassungsgerichts. Norda Krauel, 52, hat über Jahre in langwierigen Verfahren um ihr Recht gekämpft. Nun hält sie einen Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG) vom November 2016 in der Hand. Zufrieden ist sie aber nicht. Es geht ihr um Grundsätzliches.

Krauel war als Jugendliche mehrere Monate im Durchgangsheim Bad Freienwalde, dann mehr als ein Jahr im Jugendwerkhof in Burg eingesperrt. Sie kam wegen Herumtreiberei, wie es die DDR-Behörden nannten, ins Heim. Eine Berufsausbildung war ihr verwehrt, ihre Mutter war nicht linientreu, Unterstützung gab es nicht. Sie ging zu ihrem Onkel, erlebte Gewalt, Missbrauch, übernachtete bei Bekannten. Dann griffen Stasi-Mitarbeiter die 16-Jährige auf und brachten sie ins Heim nach Bad Freienwalde.

Kinder und Jugendliche sollten "mit besonderem Drill, mit Isolationen hingebogen werden"

Für Norda Krauel war es das „Tor zur Hölle“. Die damaligen Insassen nennen es Kindergefängnis: Gitter vor den Fenstern, Mauern, Stacheldraht, Einzelzellen. Kinder und Jugendliche wurden hier eingesperrt, schikaniert, drangsaliert. Weil sie unangepasst waren, nicht dem Ideal des sozialistischen Bürgers entsprachen. Sie sollten „mit besonderem Drill, mit Isolationen hingebogen werden“, wie es im Büro der Landesbeauauftragten zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur heißt. Die Kinder und Jugendlichen sollten unter haftähnlichen Umständen – mit Strafe, Zwangsarbeit, Gewalt, fast ohne Unterricht – lernen, sich „im Sinne des Systems unterzuordnen“.

Doch das spielte für die für Rehabilitierungsverfahren zuständigen Kammern an den Landgerichten in Brandenburg bis jetzt keine Rolle. Nicht einmal als 2010 die Gesetz geändert, der Kreis der Opfer um Insassen aus den Durchgangsheimen erweitert wurde. Stattdessen wurden Anträge von DDR-Heimkindern restriktiv behandelt. Bei Norda Krauel wollte das Landgericht Frankfurt (Oder) 2011 keine politischen oder sachfremden Gründe für die Heimunterbringung anerkennen, die für eine Rehabilitierung nötig sind. Und das OLG in Brandenburg/Havel lehnte Krauels Beschwerde ab. Doch angehört wurde sie nicht, auch keine Zeugen. Den Richtern reichten die Akten der DDR-Jugendbehörden. Das DDR-Unrecht wurde fortgesetzt – in Brandenburger Gerichtssälen.

Bundesverfassungsgericht: Vorgehend der Brandenburger Justiz war rechtsstaatswidrig

Für das Bundesverfassungsgericht, wo Krauel dann klagte, war das Vorgehen der Justiz in Brandenburg rechtsstaatswidrig. Das hatten die Richter in Karlsruhe im Dezember 2014 entschieden. Die Gerichte in Brandenburg seien Hinweisen auf eine „mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbare Anordnung“ zur Unterbringung in dem Durchgangsheim „nicht nachgegangen“. Das OLG habe mit dem Festhalten an den Feststellungen der DDR-Behörden seine „Aufgabe zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes verfehlt“. Ein derart „ineffektives Rehabilitierungsverfahren steht im Widerspruch zum Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes“.

Knapp zwei Jahre dauerte es, bis das OLG sich korrigierte – anhand von neuen Akten, genauso wie es die Aufklärungsbeauftragte vor Jahren empfohlen hatte. Zeugen wurden gesucht, wenige gefunden. Am Ende stellte das OLG fest, Norda Krauel wird rehabilitiert. Sie habe vom 1. Juni bis 1. Dezember 1980 „zu Unrecht Freiheitsentzug erlitten“. Aber nur, weil selbst die nach dem DDR-Recht nötige Verfügung einer Behörde für die Heimunterbringung fehlte und weil die Eltern nicht informiert wurden. Über die Zustände in dem Heim verlieren die Richter in ihrem zehnseitigen Urteil kein Wort.

Ein Schlag ins Gesicht aller früherer Insassen

Norda Krauel sagt, sie sei schwer enttäuscht. Dass Schlimmste sei, „dass das Urteil mit keinem Wort die unmenschlichen Haftbedingungen erwähnt. Für mich ist das keine Rehabilitation.“ Zwei Jahre sei an ein paar Sätzen gestrickt worden, bis am Ende ein Formfehler der DDR-Behörden übrig blieb, sagt Krauel. Ein Schlag ins Gesicht aller früheren Insassen sei das.

Dabei hätte das OLG nach dem Gesetz und der Rechtssprechung Spielraum gehabt. Der wird in den neuen Bundesländern nur zögerlich genutzt, Brandenburgs aber gar nicht. Die Unterbringung in den Jugendwerkhof Torgau und in das Arbeitslager Rüdersdorf wird grundsätzlich als rechtsstaatswidrig eingestuft, weil es reine Disziplinierungsanstalten waren, die Bedingungen gegen Menschenrechte verstießen. Dass auch die Haftzeit von Norda Krauel in Bad Freienwalde wegen der Bedingungen dort rechtsstaatswidrig war, soweit wollte das OLG dann nicht gehen – obwohl ein Blick auf die Haftbedingungen ausreichen würde, wie alle Experten immer wieder betonen.

Verein: Von echter Rehabilitierung sei man in Brandenburg meilenweit entfernt

Roland Herrmann, Vorsitzender des Vereins „DDR-Kindergefängnis Bad Freienwalde“ sagt, von einer echten Rehabilitierung sei man in Brandenburg meilenweit entfernt. Der Bund müsse Bad Freienwalde mit Torgau gleichstellen. Dann hätten frühere Insassen einen grundsätzlichen Anspruch auf Rehabilitation und Entschädigung – „ohne die demütigende Tortur durch die Justiz“. Es gehe um die Anerkennung, „dass uns Unrecht widerfahren ist“.

Norda Krauel kann nun eine Opferrente beantragen. Zunächst aber muss sie sich überprüfen lassen auf Mitarbeit bei der Staatssicherheit. Jener Apparat, dessen Mitarbeiter sie im Mai 1980 aufgegriffen hatten, sie einen Tag und eine Nacht in den Stasi-Knast brachten und verhörten. Gefesselt an einen Metallstuhl.

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Seit mehr als zwei Jahrzehnten kämpfen frühere DDR-Heimkinder vergebens für ihre Rehabilitierung. Nun könnte in Bad Freienwalde ein Denkmal entstehen – für die Betroffenen ein Durchbruch.

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