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Brandenburg: Brandenburgs Zukunfts-Kommission

Die Enquete-Kommission des Parlaments für die Landregionen stand selten im Rampenlicht Doch plötzlich bekommt das Gremium eine Schlüsselrolle. Der Grund ist die Absage der Kreisreform

Potsdam - Innerlich bebte Ina Muhß, als sie am Freitag in der Sitzung der Enquete-Kommission des Landtages zur „Zukunft der ländlichen Regionen“ das Wort ergriff. Man sah es ihr an. Ja, die SPD-Abgeordnete aus der Prignitz konnte kaum an sich halten, klang etwas verzweifelt: „Ich habe schon ein bisschen geschluckt. Was bleibt uns denn noch? Ich hätte mir schon gewünscht, dass Sie wenigstens ein paar Tipps für uns hätten, was wir noch tun können!“, sagte sie. „Aber alles, was Sie empfehlen, das haben wir doch schon gemacht.“ Wittstock sei eine top-sanierte Stadt, liege ideal an Autobahnen, habe eine schlagkräftige Wohnungsbaugesellschaft, die barrierefrei baue. Und trotzdem habe die Stadt wie die Region weiterhin mit sinkenden Einwohnerzahlen zu kämpfen. Und dann sagte Muhß nachdenklich folgende Sätze: „Vielleicht müssen wir es einfach akzeptieren, dass sich Lebenswelten verändern, dass die Stadt nicht mehr 18 000 Einwohner haben wird, sondern eben nur noch 8000 wie vor 100 Jahren. Und dass man dort trotzdem gut leben kann.“ Wenn man das so sehe, dürfe das nicht mit Resignation gleichgesetzt werden. Es war eine Schlüsselszene.

Ja, genauso sehe er das auch, pflichtete der Wissenschaftler Tim Leibert vom Leipziger Leibniz-Institut für Länderkunde bei, der in der Enquete gerade sein Gutachten zur Bevölkerungsentwicklung im Land vorgestellt und damit die Reaktion der SPD-Abgeordneten provoziert hatte. Es war nach dem Stopp der Kreisgebietsreform die erste Sitzung des aus Abgeordneten und Experten zusammengesetzten Gremiums, das bisher eher selten im Rampenlicht stand. Die Fraktionen hatten eher Vertreter der zweiten Reihe dorthin entsandt, wie die SPD den Abgeordneten Wolfgang Roick aus der Lausitz, der den Vorsitz hat. Er war in der SPD vor der Absage immer einer der Kritiker der Reform. Und nun plötzlich, nachdem sie abgeblasen ist, bekommt die Land-Enquete zwangsläufig wachsendes politisches Gewicht im Parlament.

Denn die demografischen Umwälzungen und ihre Folgen für die Landregionen, mit denen auch die Kreisreform begründet war, bleiben. Und sie verlangen neue Instrumente und Strategien, was sich in der Sitzung am Freitag auch im Vortrag des Experten Leibert eindrücklich zeigte.

Danach gibt es in Brandenburg, so der Trend des letzten Jahrzehnts, „inzwischen drei Entwicklungsringe um Berlin“. Da sei das engere Umland mit einem dynamischen Bevölkerungswachstum, allerdings auch einem höheren Seniorenanteil als im Bundesschnitt, wie Leibert betonte. Es schließe sich ein zweiter Ring um die Metropole mit abgeschwächten Schrumpfungstendenzen. Und dann gibt es ganz außen, an den Landesgrenzen, den dritten Ring. „Von der Prignitz bis Elbe-Elster, der sich deutlich schlechter entwickelt.“ Und dabei, so der Experte, überlagern sich gleich mehrere, kaum beeinflussbare Trends, die sich auf die künftige Bevölkerungspyramide auswirken. Er hat für sein Gutachten die Bevölkerungsentwicklung von 2005 bis 2015 auch kleinteilig, also „gemeindescharf“ unter die Lupe genommen. Und danach gehören 47 Prozent der Gemeinden in Brandenburg auf einer Sechs-Stufen-Skala zu „Typ 6, mit der ungünstigen Entwicklung“, sagte Leibert. „Ein Großteil ist unterjüngt und überaltert.“ Zwar endete seine Untersuchung mit den Einwohnerzahlen von 2015, weil es neuere nicht gibt. Und es hat sich in den letzten zwei Jahren, was Lebert nicht bestritt, das Problem etwas entschärft – durch höhere Geburten als erwartet und Zuzüge nach Brandenburg insbesondere aus Berlin. Doch auch das reiche nicht, um die Bevölkerungspyramide substanziell zu verändern, den Trend zu brechen, so der Wissenschaftler. „Das Reproduktionspotenzial ist unterhöhlt: Potenzielle Mütter fehlen.“

Und trotz der ernüchternden Befunde gibt es, das zeigt das Leibert-Gutachten wie die gesamte bisherige Arbeit der Kommission, für Fatalismus keinen Anlass. „Man muss Schrumpfung und Alterung als gegeben hinnehmen“, sagte Leibert zwar. Aber das sei nicht mit Untätigkeit, mit mangelnden Möglichkeiten zu verwechseln. Ausdrücklich sprach sich der Wissenschaftler zum Beispiel dafür aus, die ländlichen Räume durch eine finanzielle Stärkung der Gemeinde zu stabilisieren. „Die Wiedereinführung von Grundzentren im Landesentwicklungsplan ist absolut zu empfehlen.“

Diese Grundzentren waren 2009 unter dem damaligen Regierungschef Matthias Platzeck und der SPD-CDU-Regierung abgeschafft worden, Brandenburg ist das einzige Bundesland ohne diese Ebene. Im gerade von der rot-roten Landesregierung von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) vorgelegten Entwurf für den neuen Landesentwicklungsplan für die Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg sind sie bislang aber noch nicht wieder enthalten – obwohl die Enquete-Kommission bereits im Mai in einem Positionspapier ausdrücklich darauf gepocht hatte.

Nun wächst der Druck. Die Enquete-Kommission forderte am Freitag – das wurde erneut einstimmig beschlossen – die Wiedereinführung dieser Grundzentren in Brandenburg. Und zwar so, dass diese dann über die Kommunalfinanzierung des Finanzausgleichsgesetzes dann auch besser gestellt werden, also „veredelt“ werden, wie Ausschusschef Roick den PNN sagte. „Es muss mehr Geld fließen.“ Und ebenso große Einigkeit besteht auch darin, so formulierte es der CDU-Abgeordnete Henryk Wichmann, dass „die Hardware in den ländlichen Regionen verbessert werden muss, die Infrastruktur, besonders die Anbindung an Berlin“. Noch mache Brandenburg viel zu wenig aus seinem Trumpf, die wichtigste, dynamischste Stadt Europas in der Mitte zu haben.

Auch Ina Muhß, die SPD-Abgeordnete aus Wittstock, sieht das so: „Wir sollten uns viel mehr um Berlin kümmern.“ Bis zum 8. Dezember soll der erste Zwischenbericht der Enquete-Kommission fertig sein, mit konkreten Empfehlungen.

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