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Brandenburg: Brandenburger Schwede

„Billy“ und andere Ikea-Klassiker werden seit 30 Jahren in dem kleinen Prignitz-Städtchen Meyenburg hergestellt

„Billy“ und andere Ikea-Klassiker werden seit 30 Jahren in dem kleinen Prignitz-Städtchen Meyenburg hergestellt Von Matthias Schröter/dpa und Peter Tiede/pnn Meyenburg - Es gibt sie, die Oasen in den Industriewüsten in den Randregionen Brandenburgs. Im Nordwesten, in der Prignitz an der Autobahn A24, drei Kilometer vor Mecklenburg-Vorpommern und acht Kilometer vor der Mecklenburger Seenplatte liegt die Kleinstadt Meyenburg. Zusammen mit diversen eingemeindeten Dörfern hat sie kaum 3000 Einwohner. Der Stadt geht es verhältnismäßig gut, im Amtsbezirk Meyenburg herrscht kaum Mangel an Arbeitsplätzen. Ein Grund dafür ist die Meyenburger Möbel GmbH. Und die liefert das meistverkaufte Regal der Welt: „Billy“ von Ikea. Seit 1971 – in Deutschland gab es noch kein Ikea-Einrichtungshaus – arbeiten die Meyenburger schon mit dem schwedischen Möbelhaus zusammen. Zunächst als Produktionsgenossenschaft des Handwerks (PGH), später als Volkseigener Betrieb VEB Meyenburger Möbelwerk. Erst 1974 wurde das erste Ikea-Geschäft in Deutschland eröffnet. Seit Ende der 70er Jahre werden „Billy“ und andere Möbelprogramme von Ikea hier produziert. Zunächst auch die mit weißer Folie beklebten, jetzt nur noch die mit Holzfurnier beschichteten. Für diese Regale gibt es weltweit laut Ikea nur noch zwei oder drei weitere Produzenten. Die Regale mit dem glatten Folienüberzug liefern heute andere. Möbelfabrik-Geschäftsführer Dietmar Gornig beschreibt die Erfolgsgeschichte: Vor der Wende 450 Mitarbeiter im Zwei-Schicht-, danach 145, heute 375 Kollegen im Drei-Schicht-Betrieb. In der Produktion arbeiten heute mehr Leute, als vor der Wende, als noch Maurer, Maler, Schlosser und Fernfahrer angestellt waren. Im Land Brandenburg lag die Erwerbslosenquote im Monat Juni bei 17,8 Prozent. Gornig sagt: „In Meyenburg ist das Thema Arbeitslosigkeit unbedeutend.“ In der Hauptstraße sind Häuser frisch gestrichen, am Wilhelm-Platz ist das alte, vor dem Ersten Weltkrieg erbaute „Hotel Germania“ wieder aufgebaut worden. Seit es vor Jahren abgebrannt war, hatte es keine Übernachtungsmöglichkeiten mehr in dem Ort gegeben. Ordentlich essengehen konnten die Meyenburger auch nicht mehr. Gornig und das Möbelwerk haben es wieder aufgebaut. „Wenn wir die nicht hätten“, sähe es schlecht aus hier oben“, heißt es in der Amtsverwaltung. Das Möbelwerk sponsort Veranstaltungen und bietet Lehrstellen in einer Region, der die Jugend abwandert. Gymnasiasten, die sich verpflichten, nach dem Ingenieursstudium ins Werk zukommen, wird das Studium bezahlt. Ein wenig so, wie vor der Wende, als der Betrieb zum Studium „delegierte“, Rockkonzerte, Sportverein, Karneval und Festtage unterstützte. Am Ortsausgang Richtung Wittstock liegt der strahlend weiße, flache Bau des Möbelbauers. „Meyenburger ist einer der wichtigsten Ikea-Lieferanten in Deutschland“, sagt Sabine Nold, Ikea-Sprecherin. Sechs Prozent der weltweit angebotenen Ikea-Produkte würden in der Bundesrepublik hergestellt. Meyenburger stellt 150 Einzelartikel für den schwedischen Möbelgiganten her. In Meyenburg steht auch eine Anlage, mit der Leichtbau-Möbelplatten, die innen mit Papier aufgeschäumt werden, für Ikea-Möbel produziert werden Die Abhängigkeit von den Schweden stört Gornig nicht. „Ein hoher Anteil“ seiner Produktion ist für Ikea. „Es ist ein hartes Geschäft. Wir haben eine straffe Kostensituation.“ Aber er sagt mit Blick auf die Nachwendezeit: „Ikea hat uns fit gemacht.“ Und dbei galt das Meyenburger Möbelwerk schon in der DDR intern als Vorzeigebetrieb. Im Möbelkombinat Berlin waren die Meyenburger einer von zwei Betrieben, die Gewinne und noch dazu Devisen erwirtschaftet haben. Die Produktionsanlagen waren für DDR-Verhältnisse hochmodern. Die Anlagen kamen aus Italien und Skandinavien. Deutschland ist für Ikea weltweit der wichtigste Markt. Während die deutschen Möbelhersteller zuletzt ein leichtes Umsatzminus verbuchten, baute ihn Ikea Deutschland 2004 um 12 Prozent auf 2,49 Milliarden Euro aus. Gewinne werden nicht genannt. Meyenburger Möbel nennt keinen Umsatz. Die Produktionshallen und das Lager in Meyenburg sind 40 000 Quadratmeter groß. Dort, wo die Halle heute steht, war Anfang der 80er Jahre zum Teil noch eine Müllhalde, das Möbelwerk war damals noch mitten in der Stadt am Bahnhof. Dort liegt heute eine Brache, die alten mehrgeschossigen Hallen sind abgerissen. Damals prangte an der Autobahnbrücke vor der Abfahrt Meyenburg noch ein Schild „Meyenburger Möbel in alle Welt“. An der VEB-eigenen Lkw war eine Weltkarte: von Meyenburg führten rote Linien um den Globus; nach Japan, Australien, Kanada, ganz Westeuropa, Skandinavien. Irgendwann einmal wurden auch hochglanzpolierte Möbel in die arabische Welt verkauft. Nur der ganze Ostblock fehlte auf der Meyenburger Weltkarte. Touristen, die auf dem Weg zur Mecklenburger Seenplatte oder zur Ostsee waren staunten regelmäßig, wenn sie den betriebseigenen Möbelladen an der Hauptstraße passierten: helle, schwedische Schrankwände, dunkle britische Esszimmerschränke, TV- und Phonobänke und eben Bücherregale in allen Farben. In Meyenburg gab es die Möbel, die der Rest der Republik vergeblich suchte – zwar nur die zweite Wahl, aber die war besser als die erste Wahl im DDR-Möbelhandel. Heute tragen die Angestellten in der privatisierten Möbelfabrik rote Polo-Hemden. Einige fahren mit dem Fahrrad durch die Lager- und Produktionshallen. In drei rollenden Schichten wird in Meyenburg gearbeitet – auch am Wochenende steht die Produktion nicht. Allein für Ikea werden hier bis zu 100 000 Einzelteile gefertigt. An einem Tag werden in Meyenburg in 24 Stunden bis zu 20 Lastwagen-Container mit Ware beladen. Und dann geht „Billy“, der ein Prignitzer ist, auf die Reise in die blau-gelben Häuser Europas und manchmal auch wieder von Meyenburg aus nach Nordamerika oder Asien.

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