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Seit einer Woche sind drei Straßen rund um die Gerhart-Hauptmann-Schule abgesperrt. Die Kritik daran wird immer lauter.

© dpa

Besetzte Schule in Berlin-Kreuzberg: Bezirk werten das Ultimatum der Polizei als Erpressungsversuch

Der Innenausschuss diskutierte am Montag über die Lage an der Gerhart-Hauptmann-Schule. Die Polizei hat derweil wegen Vorwürfen gegen Beamte interne Ermittlungen eingeleitet - und dem Bezirk ein Ultimatum gestellt.

Der Polizei reicht es. Polizeipräsident Klaus Kandt hat Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) und dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ein Ultimatum gestellt: "Sollte bis morgen früh kein schriftliches Vollzugshilfeersuchen für die – auch zwangsweise durchsetzbare – Räumung der Gerhart-Hauptmann-Schule vorliegen, wird die Polizei die operativen Maßnahmen an dem Objekt ab diesem Zeitpunkt sukzessive zurückfahren", heißt es in einer Pressemitteilung der Polizei am Montagabend. Ein vollständiger Abbau sämtlicher Einsatzmittel und ein kompletter Verzicht von Einsatzkräften vor Ort sei in diesem Fall im Laufe des Dienstages zu erwarten.

Kandt habe Herrmann in einem Brief sein Bedauern mitgeteilt, dass es weder einen für Montag angekündigten Einsatz einer Baufirma gegeben habe, noch "die Polizei überhaupt Aktivitäten erkennen können, die einer Bauabsicherung dienen könnten; die Aufstellung von mobilen Duschen genügten dem nicht."

Bezirk will sich Ultimatum "nicht beugen"

Auch sei der Polizei entgegen der Zusage der Bezirksbürgermeisterin bis zum frühen Montagabend keine Entscheidung zum weiteren Vorgehen zugegangen. Die ausbleibende Entscheidung des Bezirksamtes zwinge die Polizei aufgrund des hohen personellen Aufwandes zu einer Reaktion, heißt es in der Mittelung.

Linken-Bezirksverordneter Lothar Jösting-Schüßler fand klare Worte: "Wir werten das Ultimatum als Erpressungsversuch und werden uns dem nicht beugen", sagt er nach einer Sitzung mit den Regierungsfraktionen der Grünen, Linken, SPD und Piraten am Montag. Der Bezirk wolle zwar einen Rückzug der Polizei, die solle aber weiterhin Sicherungsaufgaben bei der Schule selbst wahrnehmen. Der Einsatz eines privaten Sicherungsdienstes sei ebenfalls möglich.

Auf Twitter kursieren derweil Bilder, die zeigen, dass Demonstranten und Anwohner am frühen Montagabend die Absperrung durchbrochen haben. Etwa 100 Personen tanzen an der Ecke Reichenberger/ Ohlauer Straße.

Kandt fordert Herrmann zu Handeln auf

Schon im Innenausschuss wurde Kandt ungewöhlich deutlicht. Der Polizeipräsident hat am Montag die grüne Bezirksbürgermeisterin von Kreuzberg mehrfach zum Handeln aufgefordert. Für die immer noch von 40 Flüchtlingen besetzte Gerhart-Hauptmann-Schule müsse schnell eine Lösung gefunden werden. „Ich hoffe auf eine baldige Entscheidung“, sagte Kandt im Abgeordnetenhaus. Seit einer Woche sind mehrere hundert Polizisten rund um die Uhr im Berliner Bezirk Kreuzberg im Einsatz, mehrere Straßen sind seitdem gesperrt. Anwohner kommen nur mit Kontrollen herein, Händler beklagen Umsatzverluste. Am Montag musste Kandt zahlreiche kritische Fragen zu dem seit Dienstag vergangener Woche andauernden Einsatz an der Schule an der Ohlauer Straße beantworten. Innensenator Frank Henkel (CDU) fehlte bei der Tagungspunkt im Innenausschusses, weil parallel zum Innenausschuss fand auch die BER-Aufsichtsratssitzung statt.

Anwesend bei der Tagung des Innenausschusses waren auch 40 bis 50 Sympathisanten der Flüchtlinge. Als der Linken-Abgeordnete Udo Wolf im Bernhart-Letterhaus-Saal zu Beginn der Sitzung kritisierte, dass Henkel es nicht schaffe, zum Innenausschuss zu kommen, da ihm der BER wichtiger sei, ertönt Beifall. Nachdem erst einmal über die Kriminalstatistik gesprochen wird, war ab 12.15 Uhr die Schule Thema. Es wird lauter im Saal, erste Zwischenrufe. Unterstützer halten Plakate hoch, auf denen groß der Paragraph 23 zu sehen ist. Der Vorsitzende des Innenausschusses, Peter Trapp, droht mit der Räumung des Saals. Eine Unterstützerin, die kurz zuvor lauthals protestierte, wird herausgeführt. Die Sitzung wird vorerst unterbrochen. Nachdem fünf bis sechs Personen den Saal verlassen mussten, geht es weiter. Trapp stellt dennoch Bedingungen: keine Plakate und kein Filmen.

Kandt: Der Bezirk ist verantwortlich

Kandt verwies im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses mehrfach auf den Bezirk Kreuzberg als Verantwortlichen, die Polizei handele nur in Amtshilfe. „Wenn der Bezirk sagt, die 40 Flüchtlinge dürfen bleiben, fahren wir in die Unterkunft zurück“, sagte Kandt, „mir ist das wurst“. So lange die Situation aber unklar sei, müssen die Sperren bleiben. Innenstaatssekretär Bernd Krömer (CDU) sagte, dass die Polizei derzeit eine Wiederbesetzung der Schule verhindere. Die Sperren seien „so klein wie möglich und so groß wie nötig“. Die Oppositionsparteien Linke und Piraten forderten einen Abzug der Polizei. „Die Einschränkungen sind nicht mehr hinzunehmen“, sagte zum Beispiel Udo Wolf von der Linkspartei. Fabio Reinhardt von den Piraten sagte: „Das Gebäude ist völlig wertlos. Der Einsatz muss sofort abgebrochen werden.“ Der grüne Abgeordnete Dirk Behrendt forderte zumindest eine Freigabe der Lausitzer und der Reichenberger Straße.

Christopher Lauer griff Monika Herrmann massiv an

Christopher Lauer von den Piraten griff die Grüne Monika Herrmann massiv an: „Ihre Bezirksbürgermeisterin ist eine Schande für die Stadt“. Benedikt Lux von den Grünen warf den Piraten daraufhin „blinden Grünen-Hass“ vor. Ähnlich wie Lauer formulierte es der Kreuzberger CDU-Abgeordnete Kurt Wansner. Er empfahl Herrmann und ihrem Vorgänger Franz Schulz „sich mal zu überlegen, was sie den Menschen in der Schule angetan haben“. Die Situation darin sei „entsetzlich“. Die Rede Wansners wurde von den etwa 60 linken Aktivisten auf den Zuschauerplätzen durch Schreien und Pfeifen gestört. Zuvor hatte der Ausschussvorsitzende Peter Trapp (CDU) nach massiven Störungen die Sitzung für 20 Minuten unterbrochen. Die Polizei führte fünf Störer ab, ihre Personalien wurden aufgenommen. Zudem verbot Trapp den Aktivisten das Filmen der Sitzung, da Kameras von den Zuschauerbänken dauerhaft mitliefen. Dass die Polizei das Abführen der Randalierer filmte, wurde von diesen lautstark kritisiert.

Am Nachmittag luden die Besetzer über Twitter Journalisten zu einer Pressekonferenz in der Schule ein, angeblich habe der Bezirk dem zugestimmt. Doch das stimmte nicht. Journalisten durften die Schule wie bisher nicht betreten. Im Innenausschuss sagte Polizeipräsident Kandt, dass nur der Bezirk als Inhaber des Hausrechts entscheiden könne, ob Journalisten in die Schule dürfen. Die Polizei könne dies nicht.

Polizisten sollen mit Handschellen und Bananen gewunken haben

Am Rande der Absperrungen beklagten Unterstützer der Besetzer am Montag, dass Polizisten sich angeblich lustig gemacht hätten über die Flüchtlinge. In der Nacht vom 27. auf den 28. Juni hätten Beamte vom Dach eines anderen Gebäude aus mit Handschellen und Bananen gewunken. Fotos davon soll es nicht geben. Polizeisprecher Stefan Redlich kündigte an, dass die Vorwürfe geprüft und die zu dieser Zeit eingesetzten Beamten befragt würden.

Zudem erhoben Unterstützer den Vorwurf, dass Lebensmittellieferungen in die Schule nicht durchgelassen würden.

Der Bezirk will nach wie vor eine Räumung verhindern und will sich auch zu aktuellen Gesprächen zwischen Stadträten und Fraktionen nicht äußern. Der Bezirksverordnete Lothar Jösting-Schüssler von der Linkenpartei berichtete von einem Treffen der Stadträte, Vertretern von Grünen, Linken und der SPD um 15 Uhr, bei dem mit der Polizei über den Grad der Absperrungen verhandelt werden solle. Laut Jösting-Schüssler hatte der Bezirk um ein Zurückfahren der Absperrungen und einen Abzug der Bereitschaftspolizei aus anderen Bundesländern gebeten. Polizeisprecher Stefan Redlich sagte dagegen: „Wenn wir das Gebiet schützen wollen, müssen wir das schon so weiträumig machen.“ Im Ernstfalle müssten Einsatz- und Rettungswagen schnell zur Stelle sein.

Polizeigewerkschaft fordert Räumung, Bezirk will nicht

Der Vorsitzende des Landesverbandes der Deutschen Polizeigewerkschaft, Bodo Pfalzgraf, findet den Zustand in der Ohlauer Straße nicht haltbar. "Aus meiner Sicht muss die Schule sofort geräumt werden", sagte er dem Tagesspiegel. Schon jetzt sei der Unterstützungseinsatz der Polizei der teuerste für einen Berliner Bezirk. Genaue Zahlen seien zwar noch nicht bekannt, doch da jeden Tag mehrere hundert Polizisten im Einsatz sind, verursache der Bezirk unhaltbare Kosten. Außerdem seien die täglichen Angriffe gegen die Beamten und die Einschränkungen für die Anwohner nicht mehr zu rechtfertigen. "Aus dieser Situation darf kein Dauerzustand werden. Denn der wäre nicht mehr erklärbar", fügt Pfalzgraf hinzu.

Lesen Sie hier auch das Stück eines betroffenen Anwohners "Ein Kiez lebt unter ständiger Polizeikontrolle".

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