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Vom Tisch. Die umstrittene neue Finanzierung für Freie Schulen gerät vor dem Verfassungsgericht zu Farce. Der zeitnahe Verhandlungstermin ist verschoben und damit auch die für April geplante Urteilsverkündung.

© Ralf Hirschberger/dpa

Befangenheitsantrag im Fall Freie Schulen: Abgelehnt

Warum der Befangenheitsantrag der Landtagsopposition gegen Brandenburgs Obersten Richter Jes Möller in der aktuellen politischen Gemengelage einmalig ist

Potsdam - Es war typisch für Potsdamer Verhältnisse: In der Landesregierung und bei der regierenden SPD wurde schon frohlockt, bevor das Urteil überhaupt gefallen war. Als sei alles klar bei der Normenkontrollklage der Landtagsopposition gegen die seit 2012 geltende neue Finanzierung der Freien Schulen. Nun aber muss Jes Möller, der Präsident des Landesverfassungsgerichts – einer Institution, der Bürger die höchste Glaubwürdigkeit entgegenbringen –, mit einem Befangenheitsantrag der Oppositionsfraktionen kämpfen.

Ganz nebenbei geht es auch darum, ob die von Bildungsministerin Martina Münch (SPD) verantwortete Reform der Finanzierungsgrundlage der Freien Schulen handwerklich sauber war. Und weil die Entscheidung des Landesverfassungsgerichts wegen des Befangenheits antrags verschoben wurde, rückt diese nun für SPD und Münch in gefährliche Nähe zur Landtagswahl im September. Der für morgigen Freitag vorgesehene Verhandlungstermin musste verschoben und die Ladung abgeblasen werden, die für April geplante Urteilsverkündung ist vorerst vom Tisch.

Münch gibt sich nach außen gelassen. Sie kann die Aufregung nicht verstehen. Konkret geht es darum, dass Möller im Jahrespressegespräch Ende Februar die Umstellung der Finanzierung für Freie Schulen als Systemwechsel einstufte und die von den Freien Schule für den Vorgang benutzte Bezeichnung „Kürzung“ als „unglücklich“ bezeichnete. Die PNN berichteten darüber – der entsprechende Beitrag war Grundlage für die Entscheidung der Oppositionsfraktionen, gegen Möller einen Befangenheitsantrag zu stellen. „Die Äußerungen des Präsidenten des Landesverfassungsgerichts zu den Kürzungen bei den freien Schulen durch die rot-rote Landesregierung und seine Einordnung als ,Systemwechsel‘ sind Grundlage unseres Befangenheitsantrags“, teilten die bildungspolitischen Sprecher von CDU, FDP und Grünen am Donnerstag in einer gemeinsamen Erklärung mit.

Die Fraktionen glauben, Möller habe bereits eine Vorfestlegung getroffen und mit dem Begriff Systemwechsel die Position der Landesregierung in dem Normenkontrollverfahren nachträglich gestärkt. Öffentlich hatte Münch häufig von Systemwechsel gesprochen, nur tauchte der Rechtsbegriff nie in den Unterlagen zum Gesetzgebungsverfahren auf. Dabei hätten SPD und Linke damit sogar einen größeren Gestaltungsrahmen für Kürzungen gehabt, die auch schwerer vor Gericht angreifbar gewesen wären.

Wäre mit dem Begriff Systemwechsel im Gesetz die neue Finanzierung der Freien Schulen begründet worden, Opposition und auch die Freien Schulen selbst hätten vermutlich nie geklagt. Die Rechtslage aufgrund der Urteile des Bundesverfassungsgerichts ist da recht eindeutig, der Fachbegriff ist Standard. Nur warum die Juristen im Bildungsministerium beim Verfassen des Gesetzesentwurfes darauf verzichtet haben, ist nicht klar.

Das Bildungsministerium beharrt darauf, es habe stets von Systemswechsel gesprochen. Dass der Begriff nicht im  Gesetz stehe, sei kein Problem. Vielmehr sei der darin festgelegte Wechsel der Finanzierungsgrundlage nichts anderes als ein Systemwechsel. Nach dieser Lesart hat das Verfassungsgericht nichts anderes getan, als den Inhalt des Gesetzes übersetzt und auf den Begriff gebracht.

Tatsächlich führte Möller, selbst SPD-Mitglied, vor der Presse den Begriff nachträglich ein – eigentlich ein Widerspruch zur üblichen richterlichen Zurückhaltung und der Maxime, dass die Justiz kein Reparaturbetrieb für den Gesetzgeber sein sollte, höchstens ein Korrektiv. Die Opposition sieht sich daher getäuscht. „Dadurch gibt es mehr Spielraum für Kürzungen, als es der Gesetzgeber beabsichtigt hatte, es war immer von Kürzungen die Rede“, sagt der CDU-Bildungsexperte Gordon Hoffmann. „Wenn man nun eine Hintertür aufstößt, ist das ein Grund, uns Gedanken zu machen.“ Und die Grünen-Bildungsexpertin Marie Luise von Halem sagt: „Wenn es ein Systemwechsel wäre, dann hätte die Landesregierung viel weiter gehen können.“ Wenn Möller nun nachträglich diesen von Regierung im Gesetzgebungsverfahren nie benannten und benutzten Maßstab einführt, bedeutete das, „dass im Normenkontrollverfahren die Entscheidung schon gefallen ist“.

In der Union hält man allein schon den Eindruck für fatal, den Zustand für bedenklich, dass hinter den Kulissen taktiert worden sein könnte. Dass bereits Wochen vor der ersten Verhandlung am Landesverfassungsgericht verhaltener Jubel in Staatskanzlei zu vernehmen war über die Einschätzung Möllers – darüber, dass die Entscheidung schon getroffen sei.

Tatsächlich ist es nicht unüblich, dass Entscheidungen des obersten brandenburgischen Gerichts vorbereitet werden und den neun Verfassungsrichtern von wissenschaftlichen Mitarbeitern zugearbeitet wird. Denn dieses Richteramt ist nicht Hauptberuf der vom Landtag bestimmten Mitglieder des Landesverfassungsgerichts. Und trotz der nach parteipolitischem Proporz vergebenen Richterposten hatte das Landesverfassungsgericht mit seinen Entscheidungen bislang keinen Anlass dafür gegeben, dass es parteipolitisch oder nach der herrschenden politischen Farbenlehre im Land entschieden hat – häufig genug ganz im Gegenteil.

Möller selbst hätte diese Situation sogar vermeiden und auch nachträglich aus der Welt schaffen können mit einem rechtlichen Hinweis, wie das Gericht die Sachlage wertet. Offiziell gab es keinen Kommentar zu dem Vorgang, ein Sprecher des Gerichts sagte nur, Befangenheitsanträge gehörten zum Gerichtsalltag. In der Tat gibt es die, aber bislang nicht in dieser politischen Gemengelage gegen ein Präsidenten. Was da zwischen Opposition und Gericht vor sich geht, ist in Brandenburgs Landesgeschichte einmalig. Aber ganz nebenbei wäre es auch kein Beinbruch, wenn ein Verfassungsrichter wegen Befangenheit nicht an einem Verfahren teilnimmt. Das haben Richter am Bundesverfassungsgericht bereits vorgemacht.

Auch die neun freien Schulträger, die Verfassungsbeschwerde gegen die Kürzungen erhoben haben, die Arbeitsgemeinschaft Freier Schulen und der Landesverband Deutscher Privatschulen Berlin-Brandenburg halten Möller für befangen. Die Freien Schulen in Brandenburg bekommen seit 2012 weniger Zuschüsse. Gerade für kleine Einrichtungen geht es um die Existenz: Alle 170 Freien Schulen im Land, auf die zehn Prozent aller Schüler gehen, erhalten rund 17 Millionen Euro weniger aus der Landeskasse als nach dem alten Berechnungsschlüssel.

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