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Brandenburg: Abhängig vom Ehemann

Im Prozess gegen die Mutter der neun toten Babys erinnern sich Ermittler an deren Aussagen kurz nach der Entdeckung der Kinderleichen

Von Sandra Dassler

Frankfurt (Oder) – Zweimal stritt Sabine H. alles ab. Sie habe, beteuerte sie bei ihrer ersten Vernehmung am 31. Juli des vergangenen Jahres, nichts mit den neun Babyleichen zu tun, die wenige Stunden zuvor auf dem Grundstück ihrer Eltern in Brieskow-Finkenheerd gefunden worden waren. Erst als der Kriminalist Frank K., der die heute 40-jährige Frau damals vernahm, ihr sagte, man werde durch Gen- Tests feststellen, wer die Eltern der Kinder seien, gab sie auf. „Sie haben Recht. Es ist so. Ich habe die neun Kinder getötet“, sagte sie laut Vernehmungsprotokoll.

Frank K. erinnerte sich gestern sehr genau an diese Worte. Das Landgericht Frankfurt (Oder) muss auf seine Aussage und das Protokoll zurückgreifen, da sich die Angeklagte selbst im Prozess bisher nicht geäußert hat. Ihr wird vorgeworfen, zwischen 1992 und 1998 acht ihrer Neugeborenen getötet zu haben. Der Tod eines weiteren Kindes aus dem Jahr 1988 ist verjährt. Möglicherweise war aber diese Tat eine Art Auslöser für die folgenden. In ihrer Vernehmung hatte Sabine H. zu erklären versucht, wie es dazu kam: Sie lernte ihren späteren Ehemann Oliver H. sehr jung kennen und liebte ihn sehr. 1985 wurde ihre Tochter geboren – da war sie gerade 18 Jahre alt – 1987 und 1988 folgten die Söhne Dan und Ivo.

Ihr Ehemann habe schon auf die Nachricht von der dritten Schwangerschaft nicht erfreut reagiert. Drei Kinder seien ihm zu viel gewesen, sagte Sabine H. in der Vernehmung. Oliver H. war zu dieser Zeit hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter und soll gesagt haben, alle seine Kollegen hätten maximal zwei Kinder, ein drittes schade seinem Ruf. Deshalb habe er „getobt“, als er von der Schwangerschaft erfuhr. Warum sich das Paar nach der Geburt von Ivo nicht auf Verhütung einigte, ist bislang nicht geklärt.

Jedenfalls wurde Sabine H. wieder schwanger, bemerkte dies allerdings angeblich erst im siebten Monat. Sie habe einerseits große Angst gehabt, ihrem Mann etwas von der Schwangerschaft zu erzählen, andererseits aber gehofft, er werde es von selbst bemerken und dann vielleicht doch akzeptieren: „Jeder Mann hätte sehen können, dass ich schwanger war“, sagte sie bei der Vernehmung.

Obwohl die Angeklagte damals nichts Negatives über ihren Ex-Ehemann verlauten ließ, wurde inzwischen durch Aussagen von Zeugen deutlich, wie abhängig die junge Frau von ihm war. „Der Oliver hat das Geld verdient und der bestimmte, wo es lang geht“, sagten viele Zeugen. Sabine H. befürchtete, dass sich ihr Mann von ihr trennen würde, wenn sie noch ein Kind bekam. Vor allem fürchtete sie, dass er dann die drei Kinder zugesprochen bekäme.

Ihr viertes Kind, ein Mädchen, brachte Sabine H. dann in einer Nacht im Badezimmer zur Welt. Es fiel – möglicherweise war es eine Sturzgeburt – in die Toilettenschüssel. Sabine H. will das Bewusstsein verloren haben. Als sie erwachte, sei das Baby tot gewesen. Sie habe es in ein Handtuch gewickelt, eine Flasche Schnaps getrunken und das Kind später auf dem Balkon in einem Blumengefäß vergraben. Ihr Ehemann habe geschlafen, er und die Kinder hätten nichts bemerkt.

Das nächste Kind brachte Sabine H. im Mai 1992 während eines Lehrgangs in Goslar zur Welt. Sie blieb morgens mit der Begründung, sie habe starke Monatsschmerzen, im Bett. Kurz nachdem ein kleiner Junge geboren war, kam eine Kollegin zurück. Weil das Kind wimmerte, warf Sabine H. eine Decke darüber. Am nächsten Morgen sei es leblos gewesen, sie habe es in einen Sommermantel gehüllt und später ebenfalls auf ihrem Balkon in Frankfurt (Oder) vergraben.

An die Geburten der anderen sieben Kinder kann sich die Angeklagte angeblich nicht erinnern. Sie habe sie aber nicht aktiv getötet, sondern nur unversorgt gelassen. Wenn die Wehen einsetzten, habe sie sehr viel Alkohol getrunken, wenn sie aus dem Rausch erwachte, seien die Kinder begraben gewesen.

Prozessbeobachtern stellte sich gestern die Frage, ob unversorgte Neugeborene binnen weniger Stunden sterben – vor allem aber, welche Rolle der Ehemann spielte. Niemand kann sich vorstellen, dass er von allem nichts bemerkt hat. Oliver H. verweigert im Prozess die Aussage.

Ihren lebenden Kindern war Sabine H. eine liebende Mutter. Ihre toten Kinder lagerten in den Blumenkästen. Sabine H. hat die Balkonpflanzen sorgfältig gepflegt. „Wenn ich draußen saß und eine rauchte, war ich froh, dass ich die toten Kinder nicht weggeworfen, sondern um mich herum hatte“, sagte sie in der Vernehmung damals.

Gestern wieder schwieg sie nur.

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