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Frau am Flughafen: Verloren im Niemandsland der Diplomatie

Seit Monaten beschäftigt die Finnin am Flughafen die Gemüter der Menschen. Die Frau lehnt weiter jede Hilfe ab. Jetzt soll sie noch einmal begutachtet werden – notfalls auch gegen ihren Willen.

Von Sandra Dassler

„Das ist unmenschlich“, sagt Kai Henttonen: „Diese Frau kann nicht richtig schlafen, sie ernährt sich nicht richtig – ich kann einfach nicht begreifen, dass die Berliner Behörden ihr nicht helfen.“

Kai Henttonen ist der Pfarrer der finnischen Gemeinde in Berlin und die finnische Frau, von der er spricht, beschäftigt seit Monaten die Gemüter der Menschen. Denn viele haben sie schon gesehen: auf dem Flughafen Tegel oder Schönefeld, im Nachtbus oder in der S-Bahn. Seit Dezember vergangenen Jahres lebt sie auf den Flughäfen. Sie ist psychisch krank, aber – wie deutsche Ärzte ihr Anfang März bescheinigten – nicht so gravierend, dass sie eine Gefahr für sich oder andere darstellt oder sich ihr Zustand durch medikamentöse Behandlung im Krankenhaus bessern könnte. Deshalb sehen die deutschen Behörden keinen Grund, die Frau gegen ihren Willen in eine Klinik einzuweisen oder sie in ihr Heimatland zu bringen.

Pfarrer Henttonen, einer der wenigen Menschen, mit der die Finnin redet, hält dies für eine dramatische Fehleinschätzung. „Ihr psychischer Zustand verschlechtert sich von Tag zu Tag“, sagt er, „sie hat nun schon seit Monaten nicht mehr ihre Tabletten genommen – für mich ist dieses Nichtstun der Behörden unterlassene Hilfeleistung.“

Berlins Gerichtssprecherin Katrin- Elena Schönberg weist diesen Vorwurf entschieden zurück: „Wir haben bisher alles getan, was möglich ist, eine Betreuerin bestellt und jetzt sogar ein neues Gutachten in Auftrag gegeben. Sollte der damit beauftragte Arzt darin zu einem anderen Ergebnis kommen als seine Kollegen im März, könnte der Fall durch das Gericht neu bewertet werden.“

Das wäre wohl die einzige Chance, der Finnin auch gegen ihren eigenen Willen zu helfen. Bisher hat die Frau, die angeblich in der vergangenen Woche auf dem Flughafen Tegel ihren 41. Geburtstag beging, jegliche Hilfe abgelehnt. Und immer wieder betont, dass sie eines auf keinen Fall will: zurück nach Finnland.

Dort wurde bereits vor vier Wochen ein Vormund für sie bestellt, der sie auch gegen ihren Willen zur Behandlung in die Heimat zurückbringen soll. Doch die deutschen Behörden sehen aufgrund der gegebenen Rechtslage keinen Grund, dabei mitzuwirken. Selbst eine diplomatische Note des finnischen Außenministeriums mit der Bitte um Hilfe bewirkte wenig.

Das Auswärtige Amt, an das die Note gerichtet war, verkündete zwar Anfang April, es werde sich um den Fall kümmern, aber bewirkt hat das nicht viel. „Wir haben das Bundesjustizministerium um eine umfassende Analyse der Rechtslage gebeten“, sagt ein Sprecher des Auswärtigen Amts, „und in unserer Antwort klargemacht, dass bei uns der Grundsatz der persönlichen Entscheidungsfreiheit offenbar einen größeren Stellenwert hat als in Finnland.“ Außerdem habe man versucht, so der Sprecher, zwischen den Finnen und den Berliner Behörden zu vermitteln und auch die Senatsjustizverwaltung um eine Stellungnahme gebeten.

Von dort kam die Antwort schnell. Hier gehe es um rein bundesrechtlich geregelte Fragen, nämlich das Verhältnis des finnischen zum deutschen Betreuungsrecht sowie die Vollstreckung finnischer Gerichtsentscheidungen in Deutschland, hieß es. Dafür sei das Bundesjustizministerium zuständig.

Und um ganz sicher zu gehen, nichts mit der Sache zu tun zu haben, wies die Justizverwaltung darauf hin, „dass sich die finnische Staatsbürgerin nach hiesiger Kenntnis zurzeit überwiegend auf dem Flughafen Schönefeld, also im Bundesland Brandenburg aufhält. Für eine etwaige zwangsweise Durchsetzung finnischer betreuungsrechtlicher Entscheidungen dürften deshalb die Stellen des Landes Brandenburg zuständig sein.“

Total makaber sei dieses Schwarze-Peter-Spiel, sagt Pfarrer Henttonen und ist von dem diplomatischen Hickhack enttäuscht. Aus der finnischen Botschaft kommen zwar verständnisvolle Worte für die deutsche Position, eine gewisse Resignation ist aber deutlich zu spüren.

Bleibt die Hoffnung auf das neue Gutachten und die Frage: Was passiert, wenn sich die Frau vom Flughafen nicht begutachten lassen will? „Das könnte man per Gerichtsbeschluss auch zwangsweise durchsetzen“, sagt Gerichtssprecherin Schönberg. Und wirbt um Verständnis: „Das Betreuungsrecht ist nunmal eine sehr komplizierte Materie. Wir machen uns die Entscheidungen wirklich nicht leicht.“ Sandra Dassler

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