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Leuchtendes Band. 15 Kilometer weit zieht die Lichtergrenze mit den leuchtenden Ballons sich durch die Stadt.

© Doris S.-Klaas

25 Jahre Mauerfall: Unter den Ballonen, vor dem großen Tor

Die leuchtende Mauer lockte Menschen aus aller Welt an. Fantasie war gefragt, wollte man sich angesichts der zarten Lichtkugeln die schwere graue Betonmasse vorstellen, die hier vor 25 Jahren stand.

Das Ereignis lockt Leute aus aller Welt nach Berlin, und die meisten laufen zuerst zum Brandenburger Tor. Hier ist man richtig, das Tor ist eine deutsche Welt- und eine Berliner Wertmarke, es war, wie alles in der Stadt, 28 Jahre lang eingesperrt. Am Sonnabend wurde noch auf den Bühnen gehämmert, heute hämmern hier die Bässe. Und um 12 Uhr probt Maestro Barenboim für den Abend, wenn gegen 19 Uhr Beethovens „Neunte“ den Aufstieg der Ballons in die Freiheit der Berliner Luft, Luft, Luft einleitet und dann begleitet.

Ungezählte Gäste der Stadt und viele Berliner stehen am Sonnabend fasziniert vor der Leinwand schräg gegenüber der US-Botschaft. Den ganzen Tag über und die halbe Nacht laufen hier in Endlosschleifen die Filme zum Tage, eben noch fühlte Stefan Heym die Demokratie herannahen, da blättert Günter Schabowski in seinen Papieren: „Das gilt nach meiner Kenntnis sofort, unverzüglich“. Tausendmal gehört, immer wieder schön, auch noch nach 25 Jahren. Man muss sich eigentlich nur umschauen, was sich seither in dieser Gegend verändert hat. Die einstige Brache der Ministergärten ist zum Holocaust-Mahnmal geworden. Auf einem leeren Fleck, über den am 22. Dezember 1989 hinter Helmut Kohl und Hans Modrow die Massen gen Osten strömten, dahin, wo die Siegesgöttin ihre Pferde lenkt, spitzt jetzt die US-Botschaft ihre großen Ohren auf dem Dach, auch das „Adlon“ ist neu geworden, am Eingang steht übrigens ein Mauersegment mit dem Porträt von Michail Gorbatschow.

Daneben weckt die Akademie der Künste Assoziationen zum wundersamen und überflüssigen Streit über die gläserne Fassade, inzwischen beschweren sich wohl nur noch die Fensterputzer über diese Glasfront. Auf dem Pariser Platz steht quasi die geistige Nahrung zum Jubiläum bereit zum Mitnehmen: Hefte, Broschüren, Bücher und Magazine über die blühenden Landschaften und ihre Vergangenheit. Die Bundesstiftung Aufarbeitung fragt in einem Kreuzworträtsel, wie gut man die DDR kennt. Wie hieß noch mal das Brathähnchen? Welcher Politiker hatte gar nicht die Absicht, eine Mauer zu bauen? Woraus ist die DDR laut ihrer Nationalhymne auferstanden? Na, solche Sachen.

Den Halbkreis des Mauerverlaufs direkt am Tor markieren in den Boden gefügte Pflastersteine, hier steht ein junger Mann und erklärt seinem dreijährigen Sprössling, wie das war, damals. „Weißt du“, sagt er, „hier war mal eine hohe Mauer, und wenn die nicht gefallen wäre, gäbe es dich überhaupt nicht, weil sich Vati und Mutti nie kennengelernt hätten.“ Der 37-jährige Mann heißt Jan, der Sohn Teo, die kleine Tochter im Kinderwagen Lara und die spanische Ehefrau Sonia. Durch den Mauerfall kam Jan nach Italien zum Theologiestudium, dort lernte er Sonia kennen, und nun feiern sie in ihrer Heimat Berlin jene Freiheit, die am 9. November 1989 ihren Anfang nahm.

Auf der Straße des 17. Juni herrscht reger Verkehr, Hunger und Durst der Feiernden scheinen groß zu werden, man hat sich darauf eingerichtet. Auch auf andere Sachen: An einer Toilette weist das offizielle runde Signet mit der Zauberzahl „25“ auf die stillen Örtchen, aber „WC use“ gibt es nicht umsonst, sondern für 50 Cent. Hier wird heute ein herbstmärchenreifer Andrang erwartet, die Bratwurst kostet zweifuffzig. Ein bisschen mehr muss auf den Tisch eines fahrbaren Souvenirverkaufs des Veranstalters Kulturprojekte Berlin gelegt werden, wenn man ein aktuelles T-Shirt mit der Lichtgrenze, dem Foto vom Mauerspringer oder Thierry Noirs Figur samt ihren wulstigen Lippen erwirbt.

Erst am Abend entfalten die Ballons ihren eigenwilligen Charme, wenn der Wind mit ihnen spielt: Tausende Fotografen haben entlang der Grenze gefahrlos ihre Stative aufgebaut, Berlin leuchtet auf seltsame Art. Fantasie ist gefragt, will man sich angesichts der zarten Ballons die schwere Mauermasse vorstellen. Hier läuft man durch den Zaun hindurch und hält sich am Stiel fest. Das soll Mauer sein? Heute fliegt sie in die Luft.

Die Leute in den roten Jacken am Rande des Geschehens sind Zeitzeugen, die gern ihre Erlebnisse von damals zum Besten geben. Wie Gabriele Hartmann, die extra aus Freiburg gekommen ist. Am 9. November, als sie in Kreuzberg wohnte, raste sie mit dem Fahrrad zur Oberbaumbrücke und sah eine juchzende Frau, „die riss immer wieder ihren Wintermantel auf, unter dem sie nur ein rosa Nachthemd trug, und rief: ,So, Leute, bin ick los, ick musste einfach jleich kieken jehn, ob det stimmt! Mannomann, et stimmt wirklich!‘“

Seither ist Gabriele Hartmann, die Ur-Berlinerin, auch in Freiburg Botschafterin für Berlin. „Früher sind wir West-Berliner erst 200 Kilometer gefahren, dann fing der Urlaub an. Nach 1989 setzte ich mich aufs Fahrrad oder ins Auto, und schon bin ich im Urlaubsland ringsum. Ist das nicht schön? Jeder hat doch seine Liste von Vorzügen, die ihn von 1989 bis heute froh und glücklich machen!“

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