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Franziska Giffey (SPD), Regierende Bürgermeisterin von Berlin, kommt mit dem RE1 auf dem Bahnhof Potsdam-Sanssouci an.

© Foto: picture alliance/dpa/Soeren Stache

Streit um Nachfolge fürs 9-Euro-Ticket: „Berlin setzt wegen eines Wahlkampfmanövers den Verkehrsverbund aufs Spiel“

Franziska Giffey will eine Übergangslösung für den 9-Euro-Fahrschein – und zwar bald. Das Nachbarland Brandenburg übt weiter scharfe Kritik an den Plänen.

Energisches Handeln unter Beweis stellen, Berlinerinnen und Berliner in der Krise sichtbar entlasten, noch dazu mehr Tatkraft als der Bund beweisen: All das dürfte wohl die Verheißung eines Berliner Nachfolgers für das beliebte Neun-Euro-Ticket sein, zumindest aus Sicht der Regierenden Franziska Giffey (SPD) und ihrer Partei. Giffey hat ihr Ziel selbst hoch gehängt.

Am Anfang dieser Woche müsse die Berliner Lösung für die Nachfolge des Neun-Euro-Tickets stehen, hatte sie angekündigt. Die BVG brauche schließlich noch Zeit, sich auf die Einführung eines neuen Tickets einzustellen. Die Regierende hat damit die Erwartungen an sich selbst geschürt.

Berlin braucht den Nachbar

Doch das Ringen um eine Lösung mit dem Nachbarbundesland Brandenburg zieht sich. Dabei wird es ohne den Partner nicht gehen. Brandenburg muss im gemeinsamen Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) dem Ticket zustimmen – egal, ob es durch den Tarifbereich C direkt beteiligt ist oder nicht. Durch ein alleiniges Vorgehen Berlins könnte der VBB geschwächt sein.

Die Frage ist: Ist es klug, einen Sonderweg zu gehen, wenn man in Berlin-Brandenburg einen gemeinsamen Verkehrsverbund hat?

Brandenburgs Verkehrsminister Guido Beermann (CDU)

In Brandenburg stoßen die Berliner Pläne, vor einer bundesweiten Lösung für Oktober bis Jahresende ein reines 29-Euro-Ticket nur für Berlin einzuführen, weiter auf Unverständnis. Brandenburgs Verkehrsminister Guido Beermann (CDU) dämpfte am Wochenende die Hoffnungen, dass die Bemühungen auf eine gemeinschaftliche Lösung doch noch fruchten.

„Für zwei Länder, die so eng miteinander verbunden sind wie Berlin und Brandenburg, sollten solche Vorschläge wie der aus Berlin nicht über die Medien kundgetan werden“, sagte Beermann. Er sieht in der Finanzierung eines gemeinsamen Nachfolgetickets ohnehin eine große Hürde. „Die Frage ist: Ist es klug, einen Sonderweg zu gehen, wenn man in Berlin-Brandenburg einen gemeinsamen Verkehrsverbund hat?“

Berliner Sonderweg scheint wahrscheinlich

Für den CDU-Politiker steht zunächst im Vordergrund, das Angebot der Verkehrsunternehmen trotz drastisch steigender Energiepreise zu erhalten. „Wir bewegen uns in einem Spannungsfeld: eine große Stadt, die weltweit für ihren öffentlichen Personennahverkehr beneidet wird, und das fünftgrößte Flächenland in Deutschland, das stark durch den ländlichen Raum geprägt ist – das stellt eine große Herausforderung im Tarifgefüge dar.“

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Ein Sonderweg Berlin scheint allerdings immer wahrscheinlicher. Verwehrt sich Brandenburg weiterhin einem gemeinsamen Ticket, könnte Berlin von Oktober bis Dezember ein eigenes Angebot nur für den Tarifbereich AB machen. Nach Tagesspiegel-Informationen sehen Vertreter aller Berliner Regierungsparteien dies derzeit als eine wahrscheinliche Möglichkeit an. 29 Euro könnte ein solches Ticket kosten.

Berlins Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) sagte am Wochenende, es gebe einen engen Austausch mit der brandenburgischen Landesregierung. Sie sei immer noch „guter Dinge, dass wir das gemeinsam hinkriegen mit Brandenburg, zumindest mit Duldung“, sagte sie dem RBB.

Unterschiedliche Interessen in Hauptstadt und Flächenland

„Zumindest mit Duldung“ – das klingt alles andere als nach einer Lösung, mit der alle Beteiligten zufrieden sind. Die Duldung eines kleinen Berliner Tickets nur für den Tarifbereich AB könnte die Stimmung im VBB verschlechtern. Dort streiten sich Brandenburg und Berlin auch sonst regelmäßig über die Tarife.

Berlin setzt wegen eines Wahlkampfmanövers den VBB aufs Spiel.

Jan Redmann, CDU-Fraktionschef im Landtag Brandenburg

Während Brandenburg gern die Preise anziehen wollte, hält nun Berlin dagegen. Das hat auch mit den unterschiedlichen Interessen zu tun, die die Bundeshauptstadt und die ländliche Mark haben. Mit einem nur für Berlin geltenden kostengünstigen Ticket könnte sich das Tarifgefälle zwischen beiden Bundesländern vergrößern – und der Druck auf Brandenburg wachsen.

Die Landesregierung in Potsdam ringt derzeit noch gemeinsam mit anderen Bundesländern mit dem Bund um die Details einer deutschlandweiten Ticketlösung ab 2023. Bis die kommt, will Berlin das Übergangsticket für drei Monate bis Ende Dezember.

Jan Redmann, CDU-Fraktionschef im Landtag Brandenburg, sieht den gemeinsamen Verkehrsverbund durch das Vorgehen des Berliner Senats in Gefahr: „Berlin setzt wegen eines Wahlkampfmanövers den VBB aufs Spiel“, sagte er dem Tagesspiegel. Damit spielt er auch auf mögliche Neuwahlen in Berlin an. „Von der Ermäßigung profitieren ländliche Regionen mangels ÖPNV-Angebot kaum. Berlin muss verstehen, dass Brandenburg zunächst bessere Verbindungen finanzieren muss statt Rabatte für Großstädter“, sagte Redmann weiter.

Insellösungen sind überhaupt nicht gut.

Stefan Loge (SPD), Vizechef des VBB-Aufsichtsrates

Auch im Verkehrsverbund selbst gibt es Kritik. „Ich weiß nicht, wie das funktionieren soll. Ich kann mir das nicht vorstellen“, sagte Dahme-Spreewald-Landrat Stefan Loge (SPD), der Vizechef des VBB-Aufsichtsrates ist, am Sonntag. „Insellösungen sind überhaupt nicht gut.“ Es gebe Pendler-Strecken zwischen Berlin und Brandenburg mit einer 50-Prozent-Relation von Ein- und Auspendlern. „50 Prozent fahren rein, 50 Prozent raus“, sagte Loge. „Wie soll das funktionieren?“

Bei der ganzen Debatte gerate zudem in den Hintergrund, was das für die Auslastung der Züge und damit die Qualität für Pendler bedeute, die doch ein Hauptziel eines solchen Tickets sein sollen. Man sei gar nicht mehr in der Lage, bisherige Beförderungsstandards aufrechtzuerhalten, sagte Loge.

Konsequenzen für das Berliner Sozialticket?

Ein 29-Euro-Ticket nur für den Berliner Tarifbereich AB könnte auch Konsequenzen etwa für das Berliner Sozialticket haben, das Empfänger von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe erwerben können. Das kostet derzeit 27,50 Euro – also nur geringfügig weniger als ein mögliches 29-Euro-Ticket. Es könnte also notwendig sein, die Kosten dafür ebenfalls deutlich abzusenken – um damit die Differenz zu einem Ticket, was sich dann jeder kaufen kann, zu erhöhen.

Eine weitere Alternative wäre, statt eines neuen Tickets einfach das Berliner Sozialticket allein zu reformieren – und die Berechtigung auf einen größeren Kreis von Menschen auszuweiten. Das hatte die Berliner Grünen-Fraktion vorgeschlagen.

Das Projekt gänzlich fallen zu lassen dürfte für Bürgermeisterin Giffey keine Option sein. Findet sie keine Übergangslösung, dürfte das nach ihren wiederholten Ankündigungen als politische Niederlage gewertet werden. Möglich ist, dass von der erhofften Verheißung nur eine Verlegenheitslösung bleibt.

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