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Berlin: Party in Schwarz-Rot-Gold

Über 100 000 Menschen feierten am Reichstag und Brandenburger Tor den Tag der deutschen Einheit

Zwei Jahrzehnte jüngste deutsche Geschichte auf dem Platz der Republik: Über riesige Videoleinwände laufen Bilder, die zwischen 1989 und 1990 unser Land verändert haben. Von der Chronik des Mauerfalls bis zu jenem 2. Oktober 1990, als genau an dieser Stelle um Null Uhr mit dem Läuten der Freiheitsglocke und einem Feuerwerk ein neues Deutschland geboren wurde.

Zum 20. Jahrestag dieses Ereignisses waren am frühen Sonntagabend tausende Besucher auf die Wiese vor dem Reichstag gekommen, auf einer Tribüne trafen sich die politischen Akteure von damals. Mit dem größten Beifall wurde Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl begrüßt, sichtlich gerührt und mit zufriedenem Lächeln nahm der „Kanzler der Einheit“, in einem Rollstuhl sitzend, die Sympathiebekundungen entgegen. Sein Platz war, wie vor 20 Jahren, in der ersten Reihe. Dort sah man auch die Alt-Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und Walter Scheel, das derzeitige Staatsoberhaupt Christian Wulff, Bundeskanzlerin Angela Merkel und einige Politiker der letzten Regierung der DDR.

Während der Abendveranstaltung, die mit dem Volkslied „Die Gedanken sind frei“ begonnen hatte, fielen plötzlich sechs Fallschirmspringer aus einem Hubschrauber, mit ihnen schwebte eine schwarz-rot-goldene Fahne herab. Einer der Springer hatte auf seinem Helm eine Kamera, so dass die Gäste den Platz der Republik aus der Vogelperspektive betrachten konnten. Ausnahmsweise hatten jetzt die Besucher auf der Wiese bessere Plätze als die Politprominenz auf der Tribüne. Offene Münder, ein vielstimmiges „Oooh!“ und zahllose hochgereckte Handykameras waren die Folge. „So was gibt’s eben bei uns nicht“, schwärmte eine junge Besucherin aus Pritzwalk.

Auf einer Bühne vor dem Westportal des Reichstages lief derweil ein unkonventionelles Festprogramm mit der Strahlkraft junger Sänger und Musiker, einer der Höhepunkte war der Auftritt der Staatlichen Ballettschule Berlin. Ehe ein kurzes Feuerwerk die Feier beschloss, hatte der Präsident des Bundestages Norbert Lammert die Jugend aufgefordert, die Zukunft Deutschlands zu gestalten. „Wir haben alle miteinander Anlass zu stillem Stolz und lautem Dank“, sagte Lammert – mit „dankbarem Rückblick und der Zukunft zugewandt“.

Auffallend jung waren die Besucher im Durchschnitt, viele von ihnen hatten die Wiedervereinigung nicht bewusst miterlebt. Manch einen interessierte wohl auch mehr die aktuelle Feier als der Blick zurück. „Alles noch ein bisschen lahm“, befand eine junge Berlinerin angesichts der Videobilder von 1989/90 im Vorprogramm. So wie sie hatten sich viele noch bei Sonnenschein auf die Wiese gesetzt und genossen ein sonntägliches Bier. Zum Festakt drängten sich dann noch einmal weit mehr Menschen aufs Grün, zuletzt waren es nach Angaben der Polizei mehr als 100 000. Sie hatten an den Absperrgittern und den Sekt-Verkäufern vorbei auf den Platz der Republik gefunden – manche wohl auch, weil sie einfach unterhalten werden wollten. „Ich weiß eigentlich nicht, wer heute Abend kommt. Ich lasse mich überraschen“, sagte eine junge Frau, die offenkundig nicht wegen der prominenten Gäste da war. Andere waren aus konkreten politischen Motiven einige gekommen, viele waren es nicht: In vorderster Reihe vor der Bühne entfalteten Besucher ein Plakat gegen Stuttgart 21, ein anderer forderte auf einem Pappschild: „Die Tariflohnmauer muss weg – gleiche Löhne in Ost und West!“

Drei Tage lang war zuvor schon auf der Straße des 17. Juni gefeiert worden. Die Veranstalter des privat organisierten Festes schätzten, dass seit Freitag rund 250 000 Menschen gekommen waren. Besonders am Sonntag war der Andrang dort groß – dazu hatte bestimmt auch das schöne Sonnenwetter beigetragen. Vorfälle gab es laut Polizeiangaben keine.

Am Sonntagnachmittag drängten sich Zehntausende friedlich auf der Festmeile zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule, wo die Stände Kulinarisches und Souvenirs boten. Von der Bühne erklang Blasmusik. Besonders die vielen älteren Besucher schunkelten vergnügt mit. Wer von den Linden kam, musste den Engpass am Brandenburger Tor passieren, der durch die Absperrungen entstanden war. Dort kam man nur langsam vorwärts. Auf den drei Bühnen waren laut Veranstalter an dem Wochenende Künstler aus acht Bundesländern zu sehen. Am Samstagabend waren unter anderem Ulla Meinecke sowie Wolfgang Niedecken mit der Big Band des Westdeutschen Rundfunks aufgetreten. Manche Besucher äußerten sich aber auch enttäuscht. Zu rummelig, zu kommerziell fanden sie die Festmeile. Das Fest zur Einheit sei ja wie jedes beliebige Straßenfest, sagte ein Besucher aus Köpenick. Er bedaure sehr, dass der Senat die Veranstaltung ganz einem privaten Anbieter überlasse und sich nicht selber daran beteiligt habe. Gerade Berlin habe Grund, die Einheit richtig zu feiern.

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