zum Hauptinhalt
Ein Feuerwehrmann holt Equipment aus einem Einsatzfahrzeug.

© dpa/Rolf Vennenbernd

Update

Alle 26 Sekunden ein Notruf in Berlin: Lage der Feuerwehr trotz Mangel bei Rettungskräften leicht entspannt 

Unter den Rettungskräften der Berliner Feuerwehr herrschte auch im vergangenen Jahr akuter Personalmangel. Dennoch hat sich die Situation für die Einsatzkräfte in einigen Bereichen etwas beruhigt.

| Update:

Alle 26 Sekunden ein Notruf, alle 61 Sekunden ein Einsatz, 1350 Rettungswagen-Alarme am Tag und zwei Brandmeldungen pro Stunde: Erneut hatte die Berliner Feuerwehr 2023 mehr als eine halbe Million Einsätze zu bewältigen. Im Vergleich zu 2022 ist die Zahl nur leicht gesunken.

Von knapp 515.000 Einsätzen betrafen 2023 allein 465.000 die Notfallrettung und den Notfalltransport. Die restlichen zehn Prozent waren technische Hilfeleistungen wie bei Verkehrsunfällen oder Feuer. Auch die Zahl der Notrufe blieb nur knapp unter dem Rekordniveau von 2022. Die Leitstelle nahm 1,2 Millionen Notrufe entgegen.

Leichte Entspannung beim Rettungsdienst

Beim Rettungsdienst hat sich die Lage nur leicht entspannt. Die Feuerwehr stellte in ihrer Jahresbilanz fest: „Die Belastung lag gegenüber dem Vorjahr mit einem leichten Minus von rund zwei Prozent auf ähnlich hohem Niveau.“

Die Situation mit ständigem Ausnahmezustand und fehlenden Rettungswagen wie 2022 hat sich nicht wiederholt. Zwar gibt es immer noch Ausnahmezustände, doch die waren 2023 weniger desaströs. Einige Anpassungen bei der Feuerwehr und reformierte Gesetzesregeln zeigen offenbar Wirkung.

So müssen nicht mehr bei jedem Rettungswagen und Einsatz Notfallsanitäter dabei sein, die das bestqualifizierte medizinische Personal nach den Notärzten sind. Bei einfachen Fällen sind nun auch Rettungssanitäter mit Zusatzschulung erlaubt.

Wir arbeiten an einer großen Reform, die in diesem Jahr verabschiedet wird.

Iris Spranger (SPD), Innensenatorin

Zunächst war dies seit April 2023 über eine Verordnung geregelt worden – auch als Reaktion auf die Ausnahmezustände im Jahr 2022. Seit Kurzem ist dies nun auch gesetzlich geregelt.

Innensenatorin Iris Spranger (SPD) kündigte weitere Anpassungen an. „Wir arbeiten an einer großen Reform, die in diesem Jahr verabschiedet wird“, sagte sie. Der entsprechende Entwurf liege bereits bei der Feuerwehr und werde demnächst im Abgeordnetenhaus behandelt.

Mit der Reform sollen die Aufgaben der Feuerwehr allgemein geschärft werden. Man wolle die „Schnittstellen zwischen Rettungsdienst, der kassenärztlichen Vereinigung (KV) und den Krankenhäusern verbessern“, um auch den Rettungsdienst zu entlasten. Auch die verschiedenen Hilfsorganisationen sollen mehr in die Arbeit der Feuerwehr eingebunden werden, sodass ehrenamtliche Kräfte etwa im Katastrophenschutz oder bei Großveranstaltungen vermehrt zum Einsatz kommen können.

„Bedarfsgerechte Steuerung“

Landesbranddirektor Karsten Homrighausen sprach rückblickend von einem Jahr relevanter Richtungsentscheidungen. „Wir haben uns davon verabschiedet, auf jeden Notruf den bestqualifizierten Rettungswagen als Standard zu schicken“, sagte Homrighausen. Es gehe nicht um ein Absenken der Standards. „Wir machen jetzt eine bedarfsgerechte Steuerung.“

Die Anpassungen beim Rettungsdienst hätten dazu geführt, dass mehr Rettungswagen verfügbar und schneller am Einsatzort waren. 2022 waren im Durchschnitt 9,1 Rettungswagen pro Tag ausgefallen, seit April 2023 waren es mit der neuen Verordnung nur noch 2,3 Rettungswagen pro Tag.

8,54 
Minuten betrug die durchschnittliche Eintreffzeit von Notfallmedizinern, wenn sie zu einer Reanimation alarmiert wurden.

Zudem sind die Retter schneller bei den Patienten gewesen, zumal bei lebensgefährlichen Notfällen jede Sekunde zählt. In der Notfallmedizin sank die sogenannte Eintreffzeit nach der Alarmierung zu einer Reanimation von 8,8 auf 8,54 Minuten. Auch bei Brandeinsätzen und technischen Hilfeleistungen verbesserten sich die Eintreffzeiten leicht. Ohnehin mussten seltener Löschfahrzeuge hinausfahren, weil Rettungswagen fehlten.

20.300 Fälle waren Fehleinsätze

Zudem wurden die Einsatzcodes weiter überprüft. Diese Codes entstehen anhand der Detailabfragen bei Notrufen und entscheiden darüber, welche Kräfte zum Einsatz geschickt werden. Damit soll vermieden werden, dass Notfallsanitäter zu Patienten fahren müssen, die einfach nur transportiert werden müssen oder in die Arztpraxis gehen könnten. Durch die Überarbeitung der Einsatzcodes konnten mehr Patienten an die Kassenärztliche Vereinigung (KV) abgegeben werden.

„Doch die Bagatellfälle bleiben konstant hoch“, sagte Spranger. „Die Notfallrettung wird immer noch für Situationen in Anspruch genommen, die alles andere als Notfälle sind.“ 20.300 Fälle waren im Rettungsdienst Fehleinsätze., 9000 weniger als im Jahr zuvor.

Mehrere Hundert Stellen nicht besetzt

Nachdem die KV Anfang 2023 die Zusammenarbeit mit der Feuerwehr bei der Steuerung von Krankentransporten gekündigt hatte, wuchs die Belastung für die Retter zunächst. Doch seit Anfang dieses Jahres ging eine neue, vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) betriebene Leitstelle in Betrieb, die nun die Krankentransporte koordiniert.

Trotz der leichten Entspannung bleibt die Lage schwierig. Die Feuerwehr hat mit massivem Personalmangel zu kämpfen. Rund 600 Stellen waren im vergangenen Jahr nicht besetzt, wobei die Hälfte für den Nachwuchs freigehalten wird. Auch in diesem Jahr werden von 6200 Stellen mindestens 300 nicht besetzt sein.

Der Personalmangel wird weiter weggelächelt und stattdessen auf Symptombehandlung gesetzt.

Vasili Franco, Innenexperte der Grüne-Fraktion im Abgeordnetenhaus

Zudem suchen junge Mitarbeiter nach Ausbildung und wenigen Jahren im Dienst immer öfter das Weite: Sie wechseln in andere Bundesländer oder suchen sich neue Jobs. Der häufigste Grund nach internen Angaben: die Überlastung und die Zustände in Berlin. Innensenatorin Spranger sagte, die Bewerberzahl sei gut, doch ein großes Problem sei die Wohnungsnot. Deshalb würden nun vermehrt Dienstwohnungen geschaffen.

Die Umgestaltung des Rettungsdienstes sei ein Erfolg, erklärte die Deutsche Feuerwehr-Gewerkschaft (DFeuG). „Doch es gibt auch Red Flags, es fehlt an Personal“, sagte DFeuG-Landesvize Manuel Barth. 40 Prozent des Nachwuchses seien angehende Notfallsanitäter, doch für sie gibt es im Dienst kaum Entwicklungsperspektiven. Nötig seien auch zusätzliche Rettungswagen, eine Zusammenarbeit mit Akutpflegediensten und eine Strategie für Anrufer, die einfach nur einen Rat wollten. 

Oliver Mertens vom Landesvorstand der Gewerkschaft der Polizei (GdP) warnte die schwarz-rote Koalition davor, angesichts der Sparnöte bei der Feuerwehr den Rotstift anzusetzen. „Wer angesichts dieser Zahlen ernsthaft darüber nachdenkt, hier noch im Haushalt irgendetwas wegsparen zu können, hat den Gong nicht gehört“, sagte Mertens. „Wir brauchen massive Investitionen in das Personal und unseren Fuhrpark, um den Anforderungen der Hauptstadt gerecht zu werden. CDU und SPD müssen Wort halten.“

Vasili Franco, Innenexperte der Grüne-Fraktion im Abgeordnetenhaus, erklärte, die Jahresbilanz der Feuerwehr sei kein Grund zur Entwarnung. „Der Personalmangel wird weiter weggelächelt und stattdessen auf Symptombehandlung gesetzt“, sagte er. Die Ausbildungsoffensive existiere nur auf dem Papier, „die Zielzahlen werden wieder einmal verfehlt, während der Personalmangel immer größer wird“. Die Feuerwehr „fährt weiter auf Substanz, während die strukturellen Herausforderungen ignoriert werden“, sagte Franco. Das werde auf Dauer die Notfallversorgung in der ganzen Stadt gefährden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false