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Der Berliner Künstler Jim Avignon vor einem Wandbild seiner aktuellen Ausstellung „Here Comes The Bad News“.

© Kai-Uwe Heinrich

Kunst in Friedrichshain: Jim Avignon eröffnet neue Ausstellung auf RAW-Gelände

Dank ihm werden Berlins Wände bunter: Nun zeigt Jim Avignon neue Werke in der Urban Spree Gallery.

Als der Regen kam, stand Jim Avignon gerade auf einem fünf Meter hohen Gerüst und zog mit schwarzer Acrylfarbe Linien über die poröse Hauswand. Für die Ausstellungseröffnung in vier Tagen auf dem RAW-Gelände sollte ein riesiges Mauergemälde die ganze Hauswand bedecken. Jetzt liefen dort, wo die Farbe noch nicht getrocknet war, schwarze Schlieren die Wand hinunter. Für einen kurzen Moment sah es so aus, als würde sich der Titel der Ausstellung „Here Comes The Bad News“ verselbständigen.

Dass er es am Ende doch nicht tat, liegt an Avignons Improvisationstalent. Statt in Panik zu verfallen, legte er eine Nachtschicht ein. Einen Tag später war das Mauerbild fertig. Von der Warschauer Brücke aus ist es zu sehen. Mehrere Meter hoch, blitzt es hinter einem alten Bauzaun hervor. Die abgebildete Szene erinnert an einen wilden Salonabend der 20er Jahre. Eng umschlungene Frauen und Männer, rauchend und lachend, der Alkohol fließt. Doch statt fröhlicher Unbeschwertheit hat die Szenerie etwas Unbehagliches. Der Eskapismus wirkt rissig. Und damit passt Jim Avignons Gemälde gut in die Umgebung rund um die Revaler Straße, wo Billighostels neben veganen Supermärkten koexistieren, Bierbikes an besetzten Häusern vorbeifahren und sich Kapitalismus und Kapitalismuskritik zu einer merkwürdigen Hyperrealität aufladen.

„Es war lange nicht klar, ob wir die Ausstellung überhaupt machen können, weil nicht klar war, wie lange es die Galerie noch geben wird“, erzählt Avignon. Auch durch Friedrichshain geht ein Riss, und zwar genau da entlang, wo jetzt das große Mauergemälde steht. Bald werden hier die Bauarbeiten beginnen, das Areal soll umgestaltet werden und ein Hochhaus entstehen.

Es waren die Vorboten dieser Entwicklungen, die Avignon Anfang der 2000er dazu gebracht haben, die Stadt zu verlassen. Avignon, der mittlerweile in seinen 50ern ist, ist ein Kind der Berliner Kunst- und Technoszene der Nachwendejahre. Er malte in Technoclubs, stellte seine Bilder aus Prinzip in Cafés und nicht in Galerien aus, veranstalte Performances irgendwo an der Schwelle zwischen Kunst und Chaos. 1992 malte er während der Documenta jeden Tag ein Bild, um es danach direkt wieder zu zerstören. Egal was Avignon tat, er versperrte sich den Mechanismen des Kunstmarktes und dessen Wertschöpfungsparadigma.

Der schnellste Künstler

Es gibt ein nicht tot zu kriegendes Attribut, das mit Avignon verknüpft ist: Schnelligkeit. Irgendwann hatte er sich aus Quatsch selbst zugeschrieben, der schnellste Künstler der Welt zu sein. Seitdem haftet es ihm an. „Es kommt wahrscheinlich daher, dass ich in den 90ern in Clubs gemalt habe, und das waren oft temporäre Läden, also lag es in der Natur der Sache, dass man schnell sein musste“, sagt Avignon. Eigentlich habe Schnelligkeit aber nichts in der Kunst verloren. Sein Schaffensprozess lasse sich nicht in Zeit messen. Bei Avignon ist es ist die Denkarbeit, bevor er zum Pinsel greift, das Beobachten, das Verstehen von Mechanismen und das Übersetzen in eine einfache, klare Bildsprache, die Zeit braucht. „Der kreative Akt ist dann abgeschlossen, wenn ich weiß, was ich malen will“, sagt er. Als Anfang der 2000er die schicken Galerien nach Mitte kamen und mit ihnen die Leute mit Geld, ging er nach New York. „Ich hatte die Nase voll.“ Es war eine neue Ära, und Avignon fühlte sich nicht mehr als Teil davon: „Ich hatte das Gefühl, ich kann hier nicht mehr landen, für meine Position interessiert sich keiner.“

Seine Positionen setzen sich schon immer mit Gegenwart auseinander, waren schon immer gesellschaftskritisch. Statt reduzierter Konzeptkunst sind seine Arbeiten ein loses Sammelsurium. Fast entschuldigend erklärt er: „Ich bin nicht sehr fokussiert, ich arbeite eher wir ein Musiker – die Platte hat einen Titel, aber die Lieder haben alle ein Eigenleben.“ So ist es auch bei „Here Comes The Bad News“: Klimawandel, Datenklau, Einsamkeit und die Migrationskrise. All das sind Themen, die der Künstler in der Ausstellung verarbeitet.

Sein Vorbild ist kein Künstler

Seinem Stil blieb er dabei immer treu: Eine Mischung aus Pop Art und Expressionismus, ein bisschen Keith Haring, ein bisschen George Grosz. Wird er nach Vorbildern gefragt, nennt er keine anderen Künstlerinnen oder Künstler, sondern Charlie Chaplin. Avignons Talent liegt im leichten Umgang mit der Schwere des Lebens. Eines seiner Bilder zeigt einen Mann vor seinem Computer. Er hat das Bild „Melancholic workaholic“ genannt. Unangestrengter kann man die große Selbstlüge der „Generation Freelance“ kaum offenlegen.

Vor sieben Jahren ist Avignon mit einem Paukenschlag nach Berlin zurückgekehrt. 2013 übermalte er sein historisches Mauergemälde einfach neu und brachte so den Denkmalschutz-Status der East Side Gallery kurz ins Wanken. Avignon hat gelernt, die Freiheiten, die Berlin hat, neu zu entdecken und herauszufordern, „das ist die Stärke dieser Stadt, und zwar nicht erst seit den 90er Jahren“.

Dass diese Freiheit in Bedrängnis geraten ist, dessen ist sich Avignon bewusst. Trotz all der „bad news“, bleibt er hoffnungsvoll, dass freie Radikale wie er hier einen Platz haben. Noch ist es so.

Jim Avignon, „Here Comes The Bad News“, Urban Spree Galerie, Revaler Straße 99, Friedrichshain, Eröffnung heute, (9. August), 19 Uhr, dann bis 8. Oktober, Internetadressse: urbanspree.com

Antonia Märzhäuser

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