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Immer mehr Frauen lassen ihre Verletzungen bei der Gewaltschutzambulanz der Charité dokumentieren.

© Getty Images/Tetra Images - Jamie Grill

Gewalt gegen Frauen: Berliner Gewaltschutzambulanz dokumentiert immer mehr Fälle – Leiterin hört auf

Immer mehr Frauen lassen ihre Verletzungen bei der Gewaltschutzambulanz der Charité dokumentieren. Deren Leiterin Saskia Etzold zieht jetzt weiter.

Vor knapp zehn Jahren hat die Rechtsmedizinerin Saskia Etzold die Gewaltschutzambulanz der Berliner Charité mit aufgebaut – nun gibt sie ihre Leitungsposition auf, wie sie am Donnerstag bei einem Hintergrundgespräch auf dem Universitätscampus bekannt gab.

Der Grund dafür sei rein persönlich. „Ich und mein Mann werden nach Bremen ziehen“, sagte sie. Zum einen, weil sie Norddeutschland und die Küste vermissten, aber auch, weil sie das Angebot bekommen habe, in der Hansestadt eine Gewaltschutzambulanz nach dem Berliner Vorbild aufzubauen.

Zahlen steigen kontinuierlich

Seit 2014 können sich Opfer von häuslicher oder sexueller Gewalt bei der Ambulanz der Charité rechtsmedizinisch untersuchen lassen. Die Zahlen seien kontinuierlich gestiegen, sagte Etzold. „In den ersten Jahren gab es etwa 300 Fälle pro Jahr, 2022 waren es 1500 Fälle.“ 300 davon seien Fälle von sexualisierter Gewalt. Etwa 70 Prozent der Opfer insgesamt seien weiblich, knapp 30 Prozent männlich. Dabei sei zu beachten, dass das Dunkelfeld weit größer sei.

Viele Betroffene könnten sich aus unterschiedlichen Gründen keine Hilfe holen, etwa weil sie von ihren Partnern oder Partnerinnen kontrolliert würden. „Wenn eine Frau etwa in Spandau wohnt, ist der Weg in die Stadtmitte mitunter zu lang“, sagte Etzold. Gemessen an der Einwohnerzahl müsste es der Rechtsmedizinerin zufolge in Berlin mindestens vier Gewaltschutzambulanzen über die Stadt verteilt geben – statt nur einer in Moabit. Alleine schon, um die Auflagen der Istanbul-Konvention zu erfüllen. 2017 hat Deutschland das völkerrechtlich bindende Abkommen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen ratifiziert. Demnach ist auch das Land Berlin dazu verpflichtet, sein Hilfesystem auszubauen.

In der Polizeilichen Kriminalstatistik für 2022 ist die Anzahl der Vergewaltigungen, sexuellen Nötigungen und sexuellen Übergriffe im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent gestiegen. Was laut Bundeskriminalamt auch an einer erhöhten Anzeigebereitschaft liegt. Die Gewaltschutzambulanz bietet den Betroffenen ein niedrigschwelliges Angebot, weil Opfer ihre Verletzungen hier zunächst nur dokumentieren lassen können – und sich erst später für eine Anzeige bei der Polizei entscheiden dürfen. Die Behandlung für die Opfer ist kostenfrei.

Saskia Etzold hatte die Gewaltschutzambulanz der Berliner Charité vor gut zehn Jahren mit aufgebaut. Nun will sie ihre Arbeit in Bremen fortsetzen.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Unter Saskia Etzold, die in den Medien sehr präsent war, hat sich die Gewaltschutzambulanz einen guten Ruf erarbeitet. Ende dieser Woche veranstaltet die Charité ein Symposium, in dem Ärzt:innen aus anderen Regionen sowie Mitarbeiter der Strafermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden ihr Fachwissen untereinander austauschen können. Themen sind unter anderem eine bessere Spurensicherung sowie die medizinische Versorgung nach sexueller Gewalt.

Das Hellfeld wird größer

Finanziert wird die Gewaltschutzambulanz von der Senatsjustizverwaltung. Ein Grund, weshalb es noch keine weiteren Ambulanzen gebe, sei mitunter, dass es nicht genug Rechtsmediziner:innen gebe. Die Charité bilde zwar aus, doch das Berufsfeld sei so speziell, dass sich viele Studierende für eine andere Laufbahn entscheiden würden.

Dass die Fälle von partnerschaftlicher Gewalt in Berlin in den vergangenen Jahren so zugenommen haben, liegt laut Etzold daran, dass viele Taten „aus dem Dunkelfeld in das Hellfeld“ gewandert seien, da sich mehr Frauen zu einer Anzeige entscheiden würden. „Etwa 25 Prozent der Betroffenen, die zu uns kommen, haben vorher Gewalt gegen den Hals erlebt“, sagt die Rechtsmedizinerin. Die meisten hätten davor schon häusliche Gewalt erfahren, holten sich aber erst Hilfe, wenn „sie massive Todesangst“ spürten.

Dass sich mehr Betroffene trauten, habe aber auch mit der Berichterstattung in den Medien zu tun. Opfer würden weniger als früher stigmatisiert. „Heute fragt niemand mehr danach, ob das Opfer einer Vergewaltigung vielleicht einen zu kurzen Rock getragen habe“, sagt Etzold.

Ab dem 16. Oktober wird Lars Oesterhelweg, stellvertretender Direktor des Instituts für Rechtsmedizin, die kommissarische Leitung der Abteilung übernehmen.

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