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Ulrike Gote (Grüne), Berliner Gesundheitsenatorin.

© dpa/Britta Pedersen

„Fünf Patienten teilen sich ein Zweibettzimmer“: Beschäftigte des Maßregelvollzugs kritisieren Berlins Senat

Zu wenig Personal kümmert sich im Krankenhaus des überfüllten Maßregelvollzugs um zu viele Insassen. Man therapiere nicht, sondern „verwahre“, heißt es in einem Brief an Senatorin Gote.

Überbelegte Zimmer, schlecht versorgte Insassen und zu wenig Personal – die Lage im Krankenhaus des Berliner Maßregelvollzugs spitzt sich zu. Dem Tagesspiegel liegt ein Schreiben des dortigen Personalrats vor, das am Wochenende sowohl die Senatskanzlei als auch die Gesundheitsverwaltung erreichte.

Die Beschäftigtenvertretung bezeichnet ihren Brief explizit als „Hilferuf“. Der Maßregelvollzug leide unter überfüllten Stationen und steigender Aggression: Zuletzt hätten Übergriffe – und dabei schwere Verletzungen – zugenommen.

Mitunter müssten sich Insassen „zu fünft ein Zweibettzimmer teilen“, heißt es in dem Schreiben, drei Bewohner pro Zweibettzimmer seien „alltäglich“, wegen fehlender Betten schliefen Insassen zuweilen auf Matratzen auf dem Boden. Die „vorgesehenen 24 Isolierräume sind dauerhaft vollständig belegt“, sodass nicht alle Patienten, bei denen das psychiatrisch geboten wäre, isoliert werden könnten. Auch das mache die Arbeitsbedingungen „zunehmend gefährlich“, viele der Insassen würden im Maßregelvollzug nicht – wie vorgesehen – therapiert, sondern nur „verwahrt“.

Haft bei Schuld, Heilung bei Krankheit

Im Krankenhaus des Maßregelvollzugs sitzen Verurteilte ein, wenn ein Gericht sie wegen psychischer Leiden für schuldunfähig erklärt hat. Auf reguläre Haft wird oft auch dann verzichtet, wenn ein Gericht einem Straftäter einen „Hang“ zur Sucht attestiert hat. Auf diese Praxis – Haft bei Schuld, Heilung bei Krankheit – haben Verurteilte vereinfacht formuliert einen Anspruch. Die Insassen sind damit fachlich gesehen Patienten.

Zahlreiche Ärzte und Pflegekräfte des Maßregelvollzugs hatten in den letzten Jahren gekündigt – auch, weil die Anstalt immer voller und die Stimmung gefährlicher wurde. Inzwischen soll sich der Personalschlüssel noch weiter verschlechtert haben. Dem zitierten Schreiben nach kümmern sich 500 Mitarbeiter im Schichtsystem um 600 Patienten, wobei formal nur 541 Plätze für den Berliner Maßregelvollzug genehmigt worden sind. Zudem, schreibt der Personalrat, seien 84 der Planstellen unbesetzt.

Politisch zuständig ist Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne). Deren Verwaltung beantwortete Tagesspiegel-Anfragen dazu am Wochenende allerdings nicht.

571
Insassen gab es im April 2022 im Berliner Maßregelvollzug – bei 541 genehmigten Betten

Erst im Juni dieses Jahres berichtete der Tagesspiegel, dass die Anzahl der Insassen des Maßregelvollzugs gefährlich gestiegen war: 571 Männer und Frauen waren im April 2022 dort stationär untergebracht, obwohl auch damals behördlich nur 541 Betten genehmigt waren.

Die Anahl der zu regulärer Haft verurteilten Täter sank in den vergangenen Jahren, die der zu Maßregelvollzug verurteilten aber stieg. Es gebe unter Richtern eine Tendenz, sagte ein Topjurist schon im vergangenen Jahr, „drogenaffine“ Verurteilte statt in reguläre Haft in den Maßregelvollzug zu schicken. Juristen und Psychiater fordern seit Jahren eine Reform des Zugangs zu den Therapien im Maßregelvollzug.

Der Maßregelvollzug finde, geht aus dem Personalratsschreiben hervor, kaum noch Bewerber. Überall im Gesundheitswesen wird Personal gesucht, insbesondere die großen Kliniken brauchen dringend Pflegekräfte und Ärzte, weil die Zahl der Behandlungen in der alternden Bevölkerung steigt. Auch in der Justiz sind viele Stellen ausgeschrieben.

Nach schweren Angriffen auf Bedienstete hatten Mitarbeiter des Maßregelvollzugs schon 2020 einen Brandbrief an die damalige Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) geschrieben. Auch darin bezeichneten sie „akuten Personalmangel“ und „dauerhafte Überbelegung“ als für die Gewalt ursächlich: Internen Zahlen zufolge hatte es 2019 circa 180 Angriffe auf Mitarbeiter – bis zu versuchtem Totschlag – gegeben; 2020 gab es mehr als 300 Übergriffe. Wegen der Personalnot fänden nur knappe Kontrollen statt, auf der Suchtstation gebe es eingeschmuggelte Drogen.

Nach Tagesspiegel-Informationen gilt senatsintern seit spätestens 2016 die Einschätzung, ein neues Gebäude errichten zu müssen, schon um überbelegte Zimmer zu vermeiden. Das Krankenhaus des Maßregelvollzugs hat 17 Stationen am Hauptstandort in Reinickendorf, dazu drei Stationen in Buch.

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