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Berlin: Fast wie in Sevilla

SONNTAGS UM ZEHN Ein warmer Maiabend am Ludwig Kirchplatz in Wilmersdorf, die Kinder toben auf dem Spielplatz, das Volk tummelt sich in Restaurants und um den Springbrunnen, spielt Tischtennis und trinkt Kaffee. Eine Nonne kommt zügig auf dem Fahrrad herbeigefahren, zupft noch mal das schwarz weiße Ordenskleid zurecht.

SONNTAGS UM ZEHN

Ein warmer Maiabend am Ludwig Kirchplatz in Wilmersdorf, die Kinder toben auf dem Spielplatz, das Volk tummelt sich in Restaurants und um den Springbrunnen, spielt Tischtennis und trinkt Kaffee. Eine Nonne kommt zügig auf dem Fahrrad herbeigefahren, zupft noch mal das schwarz weiße Ordenskleid zurecht.

18 Uhr 30, es ist bereits der sechste Gottesdienst zu Sankt Ludwig an diesem Sonntag. Und die Kirche ist voll. Das gottlose Berlin, in Wilmersdorf ist es weit weg, als wäre hier Sevilla. Die Sonne lächelt und die Menschen, weit mehr als 100, zieht es in den kühlen Innenraum zu Kerzen, Weihrauch und goldenem Altarkreuz.

Es ist ein schöner Tag, auch religiös gesehen: ein Sonntag in der Osterzeit und der Tag der Woche, in der der erste ökumenische Kirchentag beginnt, von Kennern liebevoll „Ökate“ (OEKT) genannt. Eine Solosängerin gibt mit schmelzendem Sopran das „Erbarme dich“ vor, die Gemeinde schmettert’s gefühlvoll nach. Die ökumenische Party wird verkündet, der Veranstaltungsmarathon der nächsten Woche in Aussicht genommen, und das Thema der Predigt ist die Freundschaft. Die Gottesdienstbesucher ein buntes Völkchen: Damen mit Strohhüten und Blumenkleidern, ein junger Mann mit blauer Sonnenbrille und in Radlerhosen. Selbst das Kirchenpersonal, Pater Urban und die weiblichen Messdiener, erscheinen heute im freundlich hellen Beige.

„Schwestern und Brüder, wir wollen einander lieben“ steht bei Johannes und so soll es zugehen, diese Woche in Berlin, wenn zum ersten Mal Katholiken und Protestanten einen gemeinsamen Kirchentag feiern. Seit dem 16. Jahrhundert ist die Christenheit gespalten, in Deutschland fing der reformatorische Unfrieden bekanntlich an. Diese Woche läuten am Mittwoch um 17 Uhr 50 die Glocken aller Kirchen Berlins, katholischer und protestantischer. Ein Zeichen der Einheit, der Freundschaft, sagt Pater Urban, danach ein großes Fest der Begegnung, die Christen der Welt schauen nach Berlin, da kann unser Herz doch nicht kalt bleiben.

Selbst wenn manche Glocken nicht ganz so harmonisch miteinander klingen, auf das Symbol, das Zeichen komme es an. „Ich freue mich auf den ökumenischen Kirchentag“ sagt Pater Urban mit rollendem R, „vor drei Jahren sah das noch anders aus, aber kurz vorher geht bei Kirchentagen immer das Fieber los.“ Er nimmt den Kelch und spricht „nehmet und trinket alle daraus“. Nun, alle ja bekanntlich nicht, und schon gar nicht gemeinsam, sondern immer noch schön getrennt. Doch wer will bei so viel Wohlklang nach dem Haar in der Suppe suchen?

Kirsten Wenzel

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