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Beten statt rasen. Vor der Sanierung stand die Zeestower Kirche jahrelang leer und verfiel. Als Autobahnkirche kam sie zu neuem Glanz. Im Juni 2014 wurde sie eingeweiht.

© Mike Wolff

Auseinandersetzung um neue Kirche: Beten am Berliner Ring

Die erste Autobahnkirche am Berliner Ring wurde eröffnet. Das 1,2 Millionen-Euro-Budget hätte mancher lieber für anderes ausgegeben.

Die Zeestower Kirche stand 40 Jahre leer, weil die Gläubigen fehlten. Sie sah jämmerlich aus, der Putz war abgefallen, das Dach undicht. Am heutigen Sonntag wird sie mit einem Festgottesdienst zu neuem Leben erweckt – als Autobahnkirche. Sie ist die erste am Berliner Ring und die 43. ihrer Art in Deutschland.

Gotteshäuser speziell für Reisende, die mit dem Auto unterwegs sind, gibt es vor allem in Deutschland. Sie kommen gut an, wie Pfarrerin Rajah Scheepers herausgefunden hat. Vor fünf Jahren hatte der Kirchenkreis Falkensee beschlossen: Das wollen wir auch. Scheepers schrieb das Nutzungskonzept. Autobahnkirchen sind attraktiv, weil die Besucher einkehren können und Ruhe finden, ohne sich an Gottesdienstzeiten halten zu müssen oder zum Mitbeten aufgefordert zu werden. Die Zeestower Kirche bietet sich dafür an, sie liegt nur 800 Meter vom Berliner Ring entfernt. Und so wurde der marode Bau für 1,2 Millionen Euro saniert, bekam ein neues Dach, einen neuen Turm, neue Bänke.

Wie es innen aussieht, spielt bei Autobahnkirchen sonst keine große Rolle. In Zeestow schon: Zeitgenössische Bilder sollen einen zusätzlichen Anreiz zum Stopp bieten, Kunst vom Feinsten musste her. Die Initiatoren Rajah Scheepers und Pfarrer Bernhard Schmidt gewannen in Zusammenarbeit mit dem Kunstbeauftragten der Landeskirche und Kunstmäzen Peter Raue den Maler Volker Stelzmann für ihre Pläne. Der langjährige frühere Professor an der Berliner Universität der Künste stellt der Kirche für 120 000 Euro seinen Bilderzyklus „Die Berufenen“ zur Verfügung: zwölf großformatige Tafeln mit Porträts von Obdachlosen aus heutiger Zeit. Diese repräsentieren je einen der Jünger Jesu. Über QR-Codes an den Bildern können die Besucher Audiodateien aufrufen, die ihnen die Geschichten von Matthäus, Judas und ihren zehn biblischen Kollegen erzählen – aus der imaginierten Perspektive eines Obdachlosen.

Das Konzept fand viele Freunde. Aus einem EU-Fördertopf flossen über 400 000 Euro, 150 000 Euro steuerten Bund und Land bei, die Landeskirche 220 000 Euro. Der Kirchenkreis Falkensee und die Zeestower Kirchengemeinde gaben 280 000 Euro. Landesbischof Markus Dröge wird zur Eröffnung predigen und schwärmt von der „wunderbaren Atmosphäre“ des Kirchenraums. Ihn begeistert, dass ein leer stehendes Gotteshaus zu neuem Leben erwacht, dass hier rastlose Menschen zu Ruhe, Stille und Gebet eingeladen werden, und er ist fasziniert von Stelzmanns Bildern, die daran erinnerten, „dass Jesus immer die um sich geschart hat, die Hilfe brauchten“.

Die Initiatoren der neuen Autobahnkirche in Zeestow. Pfarrer Bernhard Schmidt und Pfarrerin Rajah Scheepers.
Die Initiatoren der neuen Autobahnkirche in Zeestow. Pfarrer Bernhard Schmidt und Pfarrerin Rajah Scheepers.

© Mike Wolff

Es gibt aber auch Kritiker und Zweifler. Sie sind in den Gemeinden im Kirchenkreis zu Hause, hätten das Geld lieber für andere Projekte ausgegeben. Für Leute, die hier wohnen, statt für Fremde, die kurz halten und weiterfahren. Denn die Unzufriedenheit ist groß in Zeestow. Bei der Europawahl hat die Alternative für Deutschland hier 20 Prozent bekommen, so viel wie nirgendwo sonst im Havelland. Vor lauter Sparen gebe es nicht mal einen Spielplatz, schimpfen Anwohner. „Statt eines Spielplatzes werden nun Parkplätze vor der Kirche gebaut“, sagt Pfarrerin Gisela Dittmer aus Falkensee. Sie habe nichts gegen Autobahnkirchen, aber es sei nicht gelungen, die Zeestower zu begeistern. Der Erfolg eines solchen Projekts hänge aber davon ab, ob die Leute vor Ort die Sache mittragen. Die aber hätten andere Bedürfnisse als eine Autobahnkirche. So bräuchte es mehr Geld und Räume für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. In den vergangenen Jahren sind viele Familien in den Berliner Speckgürtel gezogen. Gemeindemitglieder im benachbarten Brieselang fragen sich, warum das Kunstprojekt nicht ausgeschrieben wurde, so dass sich Künstler im Ort hätten bewerben können. Bei der Tagung des Kirchenparlaments im April flogen die Fetzen.

Bei der Auseinandersetzung geht es auch darum, welche Rolle die Kirche in der Öffentlichkeit spielen soll. Die einen setzen auf „Leuchttürme“, die weit in die Region hinaus strahlen sollen. Die anderen haben die konkrete Arbeit an einem bestimmten Ort im Blick und halten Großprojekte nur dann für sinnvoll, wenn dadurch vor Ort ein neues „Wir-Gefühl“ entsteht. Weil die Pläne für die Autobahnkirche schon so weit gediehen waren und weil man ja auch in den Jahren zuvor grünes Licht gegeben hatte, stimmte die Mehrheit im Kirchenparlament dann doch zu.

Das meiste Geld für die Kirche stamme aus zweckgebundenen Fördertöpfen, sagt Pfarrerin Scheepers. Das hätte man gar nicht für andere Projekte nutzen können. Kirchenkreis und Zeestow hätten nur einen kleinen Teil beigetragen. Was die Kunst angehe, erforderten die Richtlinien nicht in allen Fällen eine Ausschreibung. Man habe sich gegen eine Ausschreibung entschieden, „weil wir nichts Provinzielles wollten, sondern etwas richtig Gutes“. Ob sich Volker Stelzmann an einer Ausschreibung für eine Autobahnkirche beteiligt hätte, ist fraglich.

Vielleicht gehen die Leuchtturm-Hoffnungen in Erfüllung, vielleicht springt im Nachhinein ein Funke auch auf die Zeestower über. Erste Anmeldungen für Taufen und Hochzeiten in der Kirche gibt es jedenfalls schon.

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