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Die Luftaufnahme vom Gleisdreieck Park mit Blick Richtung Tilla-Durieux-Park, Landwehrkanal und Potsdamer Platz zeigt, wie gigantisch die Fläche in Berlin-Mitte ist.

© IMAGO/Emmanuele Contini

Berlins Potsdamer Platz feiert 25. Geburtstag: Taumelnder Flitterplanet

Was war die Freude groß, als 1998 die Eröffnung des Potsdamer Platzes gefeiert wurde. Doch statt der neue Nabel Berlins zu sein, gleicht das Stadtviertel heute einer Burg – unnahbar und leblos.

Mehr Aufbruch war nie. „Die historische Mitte der Stadt wird neu gestaltet“, hieß es in den neunziger Jahren im hohen Ton. Das klang immer ein wenig wie die Neuerfindung des Nabels der Welt. Und als dann am 2. Oktober 1998 tatsächlich Eröffnung gefeiert wurde für die Bauten am neuen Potsdamer Platz, da schien es, als feiere sich Berlin auch den Frust von der Seele darüber, dass das alles so zäh vorangegangen war.

Denn die bejubelte Wende hatte statt zügig blühender Stadtlandschaften erst einmal Jahre voller Gutachten, Masterpläne, Planfeststellungsverfahren und Baupfusch mit sich gebracht, und zahllose geknechtete Bauarbeiter dazu. „There’s plenty Deutschmarks here to earn“, sang Mark Knopfler in „Why Aye Man“, seiner Hymne an die britischen Landsleute, die den Wiederaufbau der neuen Berliner Mitte allen voran stemmten – und die von den Milliarden wohl anteilig am allerwenigsten abbekommen haben.

Mit einem Feuerwerk wurde die Eröffnung vom Potsdamer Platzes abgeschlossen. Auf dem 68.000 Quadratmeter großen Areal sind 19 Gebäude entstanden.

© dpa/Bernd_Settnik

Bis zur Eröffnung war schon allerhand passiert. Der rote „City Cube“ wurde zum viel besuchten Schaufenster der Zukunft des weltberühmten Geländes. Gigantische Baugruben füllten sich nach und nach mit Beton, nirgendwo standen in Europa Mitte des Jahrzehnts mehr Baukräne auf einem Haufen.

Und als Daniel Barenboim 1996 zum Debis-Richtfest 19 dieser Kräne zu den Klängen von Beethovens „Ode an die Freude“ tanzen ließ, als anschließend 26 prächtig geschmückte Baufahrzeuge mit Hunderten von Bauarbeitern durchs Brandenburger Tor zogen, da wich die Skepsis langsam echter Vorfreude auf die kommenden Großbauten; auch das Sony-Center, der nördliche Zwilling der Debis-Bauten, war ja längst auf dem Weg bis zur Eröffnung im Jahr 2000.

Die Daimler-Benz-Tochter Debis, heute längst Geschichte, war Bauherr und siedelte ihre Leute auch zunächst im Hochhaus an, das den Komplex weithin sichtbar dominiert und oben am Turm das grüne Debis-Logo trägt – durch ihn holt diskret auch der Tiergartentunnel tief darunter Luft. Im Atrium rasselte die 12 Meter lange Maschinenskulptur „Meta-Maxi“ von Jean Tinguely, die Büros schienen aus allen Nähten zu platzen, die Großkinos blockbusterten und rösteten Berge von Popcorn. Und auch die „Potsdamer Platz Arkaden“, das Einkaufszentrum in der Mitte, funktionierten. Man schrieb das Jahr 1998, in dem die Kauflust zu Fuß weder durch den Internethandel noch durch unbekannte Seuchen getrübt wurde.

Vorwärts immer? Die architektonisch spektakulären Hochhaus-Zwillinge von Renzo Piano (Debis) und Helmut Jahn (Sony) lockten Menschen an, wenngleich der Anteil der Touristen im Verhältnis zu den Eingeborenen wohl höher lag, als mancher Planer sich erhofft hatte. Oft schien es, als sei neben Autos, Touristen und Insassen der unzähligen Büros überhaupt niemand unterwegs in der erwünschten neuen Stadtmitte. Das Ensemble konnte den hohen Anspruch eines Scharniers zwischen den beiden Stadthälften nicht so recht einlösen – eher wirkte es wie ein Flitterplanet, der sie distanziert umkreiste.

Der rote City Cube war damals das Schaufenster zur größten Baustelle Deutschlands.

© dpa/Karl Mittenzwei

Die Gastronomie blieb in Bodennähe. Das Weinhaus Huth, als einziger Rest des historischen Viertels akkurat erhalten, konnte seinen Ruf unter wechselnden Betreibern nicht erneuern, und der mit gewaltigem logistischen Aufwand über die Straße ins Sony-Center gezogene Kaisersaal des einstigen Hotels Esplanade blieb ganz und gar untot – für ihn wurde in mehr als 20 Jahren überhaupt kein Verwendungszweck gefunden. In den Arkaden blühten Speiseeis und Essen zum Mitnehmen, das Shopping-Angebot reüssierte in der bürgerlichen Mitte, und richtig belebt wurde es vor allem dann, wenn einmal im Jahr für ein paar Tage die Kassenschalter der Berlinale geöffnet waren.

Die architektonisch spektakulären Zwillinge von Renzo Piano (Debis) und Helmut Jahn (Sony) lockten die Menschen an – allerdings eher die Touristen als die erhofften Berliner.

© dpa/Bernd_Settnik

Die größte Lücke zwischen Plan und Realität klaffte vermutlich dort, wo am Marlene-Dietrich-Platz, dem West-Ende des Areals, Glanz und Glamour fokussiert werden sollten im Gedenken an die wilden Zwanziger und die Weltgeltung Berlins als Entertainment-Metropole. Doch Spielbank, Nachtclub und Musicaltheater zogen nicht das erhoffte Publikum gehobener Provenienz an. Und auch der Versuch eines Erotik-Theaters unter dem Dach der Spielbank scheiterte 2006/2007 an der unerotischen Piefigkeit der Realisierung. Niemand fand sich, der den leichtgeschürzten Kellnerinnen den Kaviar löffelweise abgekauft hätte.

Der Potsdamer Platz ist zu einer festen Burg geworden, unnahbar und ohne Innenleben.

Bernhard Plattner, ehemaliger Leiter des Daimler-Projekts

Immer deutlicher wurde: Die vitale, brutale Sündigkeit der goldenen Zwanziger würde sich hier nicht reanimieren lassen, nicht mal als familiengerechter Abklatsch. Andererseits überdeckte der mit dem WM-„Sommermärchen“ 2006 einsetzende Tourismus-Boom über Jahre viele Schwächen, die Reisebusse standen meist in dichter Reihe. Das Areal wirkte fast immer gut besucht – und wurde mit eigenartigen Aktionen wie der Rodelbahn im Advent mit angeschlossenem Weihnachtsmarkt offensiv bespielt.

Edzard Reuter, der als Daimler-Chef das Mega-Projekt von Anfang an begleitet und gesteuert hatte, nannte zum Zehnjährigen 2008, längst Privatier, den Marlene-Dietrich-Platz das größte Manko einer für ihn grundsätzlich gelungenen architektonischen Weltanstrengung. „Es war ja gerade unsere Absicht, Scharouns Bauten und sein Kulturforum mit dem Potsdamer Platz zu verbinden“, sagte er im Gespräch mit dem Tagesspiegel, „das sollte auch inszeniert sein und wirklich ein Forum werden, aber es hat nicht funktioniert.“

Es wirkt wie ein Schildbürgerstreich: Der schiefe Tilla-Durieux-Park mit sinnfrei vor sich hin gammelnden Wippen lädt kaum zum Verweilen ein.

© dpa/Markus Heine

Den Arkaden stand Reuter distanziert gegenüber, akzeptierte aber ihre wirtschaftliche Notwendigkeit, anders als der Architekt selbst. „Der Piano ist damals schier verrückt geworden“, erinnerte sich Reuter, „als er die Geschäfte aus finanziellen Gründen einbauen musste.“ Auch den künstlichen See nach Süden sah der einstige Bauherr kritisch, weil der durch die angrenzende Hauptverkehrsstraße praktisch zum Landwehrkanal abgeriegelt sei.

Bernhard Plattner, Projektleiter des Baus, war später noch radikaler: „Der Potsdamer Platz ist zu einer festen Burg geworden, unnahbar und ohne Innenleben.“ Irgendwie symptomatisch war das Schicksal der fünf 21 Meter langen Wippen zwischen den schiefen Grünflächen des Tilla-Durieux-Parks, die aus statischen Gründen 2010 amtlich festgeschraubt wurden und seither sinnfrei vor sich hin gammeln – ein Schildbürgerstreich.

Nicht funktioniert hatte auch das vermeintlich revolutionäre Imax-360-Grad-Kino, eine der wichtigsten, schon im Rohbau faszinierenden Attraktionen des Debis-Areals. Offenbar war der Mangel an passenden Filmen auf Dauer nicht zu überbrücken, und 2007 wandelte sich das Kino zur Spielstätte der „Blue Man Group“, deren rasante Show zu einer der wenigen Konstanten am Potsdamer Platz wurde und auch Corona und Grundsanierung überlebte.

Der Boulevard der Stars auf dem Mittelstreifen zwischen Daimler und Sony ist die deutsche Version des Walk of Fame – und kläglich gescheitert.

© dpa/Jens Kalaene

In dieses Jahr fiel auch der Verkauf des kompletten Areals: Daimler-Benz verabschiedete sich weltweit von der fixen Idee des „integrierten Technologiekonzerns“, wollte nur noch Autos bauen und stieß die Immobilie an die schwedische SEB-Gruppe ab, deren Fonds später ins Rutschen gerieten – 2015 übernahm Brookfield Properties aus Kanada die insgesamt 18 Gebäude.

Eine entscheidende Zäsur folgte 2016, als der reguläre Spielbetrieb im Musical-Theater mit der letzten Vorstellung der Udo-Lindenberg-Show „Hinterm Horizont“ beendet wurde. Möglicherweise schafft die „Kömodie am Kurfürstendamm“, die hier gegenwärtig ein provisorisches Quartier gefunden hat, einen Umschwung, zumal deren Neubau in Charlottenburg weiter in der Luft hängt.

Generell aber, so schien es, klafften globaler Anspruch und lokale Realität berlintypisch himmelweit auseinander, so auch bei dem kläglich gescheiterten Versuch, auf dem umlärmten Mittelstreifen zwischen Daimler und Sony einen „Boulevard der Stars“ nach dem Vorbild des „Walk of Fame“ in Hollywood einzurichten.

Im Grunde befanden sich beide Teile des Potsdamer Platzes in einer ähnlichen Krise – die neuen Immobilienbesitzer sahen das offensichtlich und gingen entschlossen ans Werk, um die Probleme zu identifizieren und in ihre Lösung zu investieren. Zuerst kamen die „Potsdamer Platz Arkaden“ an die Reihe, denen die Eröffnung der „Mall of Berlin“ am Leipziger Platz 2014 die Kunden abspenstig gemacht und das Geschäftsmodell final geknickt hatte.

Die neue Mall nebenan war größer, im Angebot differenzierter, und sie surfte mit ihrem noch vergleichsweise bescheidenen „Food Court“ schon auf einer Welle, die 1998 noch nicht einmal im Ansatz zu erkennen war: Schnelles, internationales, vorzugsweise asiatisches Essen, neudeutsch „Street Food“, zu überschaubaren Preisen serviert aus einzelnen Ständen mit einer gemeinsamen Verzehrzone. Das ist längst keine Beigabe im Kellergeschoss mehr, sondern gilt längst als Wundermittel zur Belebung von Einkaufszentren schlechthin.

Die Foodmeile „Manifesto Market“ im „The Playce“, das früher „Potsdamer Platz Akarden“ hieß.

© dpa/Jens Kalaene

Und dieses Mittel ist nun auch dazu ausersehen, die beiden Konkurrenten westlich des Leipziger Platzes zu tragen.
Die Corona-Zeit wurde genutzt, um zunächst die „Potsdamer Platz Arkaden“ grundsätzlich umzukrempeln und unter dem neuen Namen „The Playce“ auf ihren neuen kulinarischen Mittelpunkt auszurichten: „Manifesto“, ein in Prag erfolgreiches Konzept, soll zum Magneten werden und jene Rolle einnehmen, die früher Ankermietern wie Technikmärkten oder großen Bekleidungsgeschäften zukam.

Gleich zwei Etagen mitten im Gebäude wurden dafür freigeschlagen, und das sorgfältig kuratierte Speisenangebot versammelt nicht die üblichen internationalen Verdächtigen, sondern repräsentiert die ganze Breite dessen, was in der Berliner Mitte an schnellem Essen erfolgreich verkauft wird. Das gesamte Gebäude ist nun weniger kleinteilig gestaltet, bietet internationalen Mietern größere Flächen. Große Erwartungen werden in den Spielzeugkonzern Mattel und sein „Family Entertainment Center“ gesetzt, der hier im Herbst mit dem Rückenwind des neuen Barbie-Booms landen soll.

Der erste deutsche NBA-Store arbeitet bereits seit der Eröffnung 2022 daran, die amerikanische Begeisterung für Basketball auch in Berlin zu entfachen. „Caffé e Gelato“, seit 1998 erfolgreich mit sehr gutem, durchaus kostspieligem Eis, konnte sich im neuen Rahmen nicht nur behaupten, sondern hat seine Fläche sogar erheblich vergrößert.

Ganzheitlich angesetzter Placemaking-Ansatz.

Berliner Entwickler Kinzo zur Zukunft des früheren Sony-Centers

Und auch die Filiale von „The Alchemist“ aus London mit ihren spektakulär kuriosen Cocktails, angesiedelt draußen zu den Grünflächen hin, scheint ihre Liebhaber zu finden. Technik und Kleidung spielen nur noch eine Nebenrolle. P&C beispielsweise, in der nahen „Mall of Berlin“ prominent vertreten, macht sich hier mit einem kleineren, auf Nachhaltigkeit ausgerichteten „Conscious Fashion Store“ selbst ein bisschen Konkurrenz.

Parallelen: Auch das Sony-Center wurde erst 2010 und dann 2017 ein weiteres Mal verkauft, es gehört aktuell zu gleichen Teilen der kanadischen Oxford Properties Group und dem norwegischen Staatsfonds NBIM. Sie löschten 2023 den eingebürgerten Namen nach Ablauf der Namensrechte – das Ganze heißt nun provisorisch „Das Center am Potsdamer Platz“. Immerhin hat man dort mit dem Restaurant „Fredericks“ rasch eine Nutzung für den notleidenden Kaisersaal gefunden, schon bevor die eigentliche Sanierung überhaupt begonnen hatte.

Der Berliner Entwickler Kinzo, tätig im Oxford-Auftrag, verspricht modisch verschwurbelt, durch einen „ganzheitlich angesetzten Placemaking-Ansatz“ solle das Gelände am Potsdamer Platz „wieder sein volles Potenzial ausschöpfen“. Was immer das bedeuten mag: Auch hier hat man sich die Dienste eines „Gastro-Inkubators“ gesichert, in diesem Fall ist es Kerb aus London. Der soll in den Räumen des anderen ehemaligen Imax-Kinos, dem von Cinestar, auf zwei Etagen, ja, eine „Food Hall“ einrichten.

Hier wirbt man gegenwärtig um Beteiligung der „unabhängigen Berliner Gastro-Szene“, aus der ab 2024 zwölf Vertreter die Vielfalt der städtischen Kulinarik zeigen sollen. Wir sehen also: Für die Zukunft des Potsdamer Platzes nach 25 Jahren spielt der Appetit der Besucher eine zentrale Rolle, er sollte am besten riesig sein. Das war 1998 zur Eröffnung noch nicht einmal zu ahnen.

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