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Räumlichkeiten Handsiebdruckerei HSD Editionen GmbH, Paul-Lincke-Ufer 44, Foto: 16.12.2022 Hannes Wiedemann

© Hannes Wiedemann / Hannes Wiedemann

Berlin vertreibt die Kunst: Schönen Dank, auf Wiedersehen

Immer mehr Kreative verlieren aufgrund von Mietenteignungen ihre Räume. Autor Bernhard Schulz befürchtet das Ende dessen, was Berlin als Kulturhauptstadt ausmacht.

Jede Meldung für sich ist klein und mag in der Flut täglicher Wichtigkeiten untergehen. Abgesehen davon, dass sie für diejenigen, nicht klein ist, sondern existenzbedrohend, macht sie in der Summe gleichlautender Meldungen eine große und erschreckende Nachricht.

Hier wird ein Künstleratelier aufgegeben, da eine Kreativwerkstatt, dort ein Kleinverlag, ein Musikstudio, ein Buchladen. Unlängst kam so die Adresse Paul-Lincke-Ufer 44a in die Meldungsspalte; eine gute, eine gesuchte Adresse, direkt an einem der Gewässer, die Berlin durchziehen.

Vorne schauen die Fenster nobel auf Bäume und Kanal; aber es gibt auch Hinter- und Gewerbehöfe, die typische Berliner Mischung, wie in den meisten Altbau-Quartieren. Es gibt dort, man wagt es inzwischen kaum noch auszusprechen: bezahlbare Räume. Denn zunehmend muss in der Vergangenheitsform gesprochen werden.

Bezahlbare Räume werden rar

Es gab diese Räume; und dass es sie gab, ist nicht der geringste Grund dafür, dass Berlin zu einem weltweit bekannten Ort für Kunst, Kultur und Kreativität geworden ist, für Künstler:innen aus aller Welt.

Aber das funktioniert nur, weil und solange es eine eigenständige Berliner Szene gibt, die überhaupt erst jene Atmosphäre schafft, von der sich Auswärtige angezogen fühlen. Und bislang jedenfalls feststellen konnten, dass man an der Spree ein Leben führen kann, ohne jeden Tag mit dem Absturz rechnen zu müssen, zuallererst demjenigen aus Wohnung und Atelier.

Harte Zeiten für die Kultur

Die Zeiten sind härter geworden, für die meisten Menschen, und Künstler :innen bilden keine Ausnahme. Was sie schaffen, ist in seiner Gesamtheit schwer zu fassen, es geht über das jeweilige „Produkt“, über ein Kunstwerk, ein Musikstück oder eine Dienstleistung weit hinaus.

Es ist die Atmosphäre, das sich gegenseitig Anregende und Befruchtende. Und es hat ein ganz handfestes Fundament: das des eigenen, selbst genutzten Ortes. Der Kultursenator und seine Behörde sind aufgerufen gegenzusteuern, und nicht erst, wenn die Vertreibung aus der Stadt und ihren Quartieren alsbald spürbar geworden sein wird. Berlin als Kulturstadt: Das sagt sich leicht, aber es braucht viel, es zu werden – und zu bleiben.

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