zum Hauptinhalt
Drill macht den Meister. Die letzten zwangsverpflichteten Rekruten in der Julius-Leber-Kaserne in Tegel, die letzten von 15 000 Pflichtsoldaten seit 1994 an sechs Berliner Bundeswehrstandorten. In Zukunft werden es die Ausbilder mit Freiwilligen zu tun haben. Ist dies das Ende der Auslese?

© Imago

Bundeswehr: Antreten zum Abtreten

Sie sind die Letzten, die fast alles noch vor sich haben: 525 Rekruten sind in die Julius-Leber-Kaserne eingezogen – die letzten Wehrpflichtigen. Truppenbesuch zum Ende einer Epoche.

Auf jeden Fall sei er stolz, zu den letzten Wehrpflichtigen zu gehören, sagt Marcel Garsinka und nickt mit Nachdruck. Sein Kamerad Marvin Boitschenko widerspricht: „Stolz bin ich erst, wenn die sechs Monate um sind und ich mich bewiesen habe.“ Eines haben die beiden jungen Männer, 20 Jahre der eine, knappe 19 der andere, gemeinsam: Sie haben sich, obschon zwei der letzten „Zwangsverpflichteten“, bewusst für den Dienst an der Waffe entschieden. Verweigern oder gar die eigene Ausmusterung vorantreiben, war für beide, die da nebeneinander in einem kleinen Aufenthaltsraum in der Julius-Leber-Kaserne am Flughafen Tegel sitzen, nie ein Thema. Ihn hätten vor allem die Aufstiegsmöglichkeiten bei der Bundeswehr gereizt, sagt der gelernte Fliesenleger Garsinka im breitesten Sächsisch. Nach nur zwei Tagen beim Barras plant er, seinen Dienst freiwillig zu verlängern, danach vielleicht Zeitsoldat zu werden. Traumberuf: Scharfschütze. Briefzusteller Boitschenko möchte eigentlich in seinen alten Beruf zurück. Disziplin möchte er lernen. „Mein Vater war Zeitsoldat. Der hat immer gesagt, die Bundeswehr macht einen Mann aus dir.“

Garsinka und Boitschenko gehören zu den letzten 525 Rekruten, die beim Berliner Wachbataillon diese Erfahrungen machen. Am Montag eingerückt sind sie die Letzten, die nach knapp 55 Jahren Wehrpflicht die oft so apostrophierte „Schule der Nation“ am noch jungen Berliner Standort Julius-Leber-Kaserne durchlaufen. Die Letzten von seit 1994 rund 15 000 Dienstverpflichteten an den sechs Berliner Bundeswehrstandorten. Die Letzten, die an diesem eisigen Januarmittwoch fast alles noch vor sich haben: die ersten Ausbildungsschritte, das korrekte Antreten, Grüßen. Allein für das korrekte „Meldung machen“ haben sie eben bereits auf Stube gemeinsam geübt.

An diesem Tag geht es nach dem Mittagessen zur Kleiderkammer, jetzt, am Vormittag, sind die jungen Rekruten noch in Zivil, und das nicht nur äußerlich: Oberleutnant Viktor Wicher, zuständig für die Informationsarbeit bei den Berliner Kompanien des Wachbataillons, grüßen sie nicht militärisch mit der Hand am noch nicht vorhandenen Barrett, sondern schüchtern mit „Guten Tag“. Wicher lässt das durchgehen, obwohl gerade das Elite-Bataillon, dessen Rekruten zum größten Teil mit dem besonders hohen Tauglichkeitsgrad T1X1 gemustert sind, großen Wert auf die korrekte militärische Form legt. Erste Anzeichen von Laisser-faire beim letzten Rekruten-Jahrgang? Davon will Wicher nichts wissen: „Ihre Ausbilder werden ihnen das noch beibringen, das hat damit nichts zu tun.“ Überhaupt: Noch herrsche, sofern davon nach der Verkürzung der Wehrpflicht auf sechs Monate im Vorjahr noch die Rede sein könne, Normalbetrieb. „Das wird sich dann eher plötzlich ändern.“

Wie genau das geschehen wird, das weiß hier noch keiner. „Wir haben unsere Informationen auch nur aus der Presse“, ist immer wieder zu hören, auch von höheren Dienstgraden. Das Berliner Wachbataillon, dessen Aufgabe vor allem darin besteht, bei Staatsempfängen protokollgemäß zu repräsentieren, treffen die Neuregelungen besonders hart, besteht es doch fast ausschließlich aus frisch eingezogenen Rekruten mit Gardemaß, ohne Bauch und Brille. Ob sich diese „Auslese“ aus Zeitsoldaten oder freiwillig Dienstverpflichteten treffen lässt, stellen auch die vor Ort Verantwortlichen infrage – hinter vorgehaltener Hand. Im Bundesministerium der Verteidigung versucht man indes nach eigener Aussage alles, den Übergang zur Freiwilligenarmee so glatt wie möglich zu gestalten: Nachdem am 30. Juni die letzten Zwangsverpflichteten ihren Dienst beendet haben, werden am 1. Juli Finanzierungsregelungen für einen neuen Freiwilligendienst in Kraft treten, mit einem von derzeit 282 Euro pro Soldat auf 770 Euro erhöhten Wehrsold, mit Angeboten zur Aus- und Weiterbildung. Offensives Recruitment will man laut Sprecher Kai-Siegfried Schlolaut noch nicht betreiben: „Wir werden über die Kreiswehrersatzämter an alle potenziellen Anwärter einen Infobrief verschicken, außerdem sind wir auf Messen und im Internet vertreten. Viel mehr wird es vorerst nicht geben.“

Die Verantwortlichen in der Julius-Leber-Kaserne bedauern das Ende der Wehrpflicht. „Wir haben dadurch Menschen erreicht, die wir nun vielleicht nicht mehr erreichen werden“, sagt Viktor Wicher. Ehemalige Wehrpflichtige machten in den vergangenen Jahren immerhin zwischen 20 und 30 Prozent der Zeitsoldaten aus, diese Ressource wird es bald nicht mehr geben, dessen ist man sich in der Julius-Leber-Kaserne wohlbewusst. Dass die Wehrpflicht den Rekruten selbst gut tut, daran besteht hier sowieso kein Zweifel. „Wir sprechen hier von der Generation Playstation, da sind teilweise Leute dabei, die von zu Hause aus kaum sportliche Fähigkeiten mitgebracht haben“, sagt Hauptfeldwebel Kai Stobbe, Spieß der achten Kompanie im Wachbataillon beim Bundesministerium der Verteidigung. Das zu ändern ist hier das große Ziel: Aus Couch-Potatoes wollen die Ausbilder Leistungsträger machen, aus Langschläfern Frühaufsteher. Laut Viktor Wicher geht es auch viel um politische Bildung, darum, die Regierungsverantwortlichen zu kennen. In den Fluren der Kaserne hängen Bilder ehemaliger Bundeskanzler und Verteidigungsminister. Die Rekruten selbst sehen eher den pragmatischen Nutzen der Ausbildung.

„Ich muss ordentlicher und fleißiger werden, das kann ich hier lernen“, glaubt Marvin Boitschenko. Fähigkeiten, die er dann in seinem zivilen Beruf nutzen möchte. Nach dem Mittagessen tritt Boitschenkos Kamerad Marcel Garsinka mit seinem Trupp auf vereistem Boden vor der Kleiderkammer an, der Ausbilder übt mit den Rekruten das „Stillgestanden“. Immer wieder müssen die jungen Männer die Hacken aneinanderschlagen, Haltung annehmen. Immer wieder gelingt es einem von ihnen nicht, immer wieder wird das Kommando wiederholt. Immer wieder, bis es irgendwann reicht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false