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Ein Lokführer sitzt am Berliner Hauptbahnhof in seinem Führerstand.

© dpa/Christoph Soeder

Ärger bei der Bahn: Gewerkschaft fordert zwölf Prozent

Mit der Forderung der EVG beginnt der diesjährige Tarifkonflikt. Warnstreiks sind bereits angekündigt. Die Lokführergewerkschaft GDL folgt im Herbst.

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Bahnfahrer sind Unannehmlichkeiten gewohnt, doch in diesem Jahr drohen komplette Ausfälle. Im Frühjahr wird die Eisenbahnergewerkschaft EVG mit Warnstreiks die Tarifverhandlungen flankieren, und im Spätherbst folgen die Lokführer der GDL. Die Gewerkschaft der Lokomotivführer mit dem Einheizer Claus Weselsky an der Spitze hatte im Sommer 2021 mehrmals den Bahnverkehr gestoppt. Erst unter der Vermittlung der Ministerpräsidenten Stephan Weill (SPD) und Daniel Günther (CDU) konnte der Konflikt beigelegt und ein Tarifvertrag bis Oktober 2023 geschlossen werden. Im November beginnt das Spiel von vorn, und der 64-jährige Weselsky zieht dann in seinen letzten Arbeitskampf.

Deutlich geschmeidiger als mit den Lokführern gestalten sich für Bahn-Personalvorstand Martin Seiler erfahrungsgemäß die Tarifkonflikte mit der EVG. Diese Gewerkschaft ist mit 187.000 Mitgliedern fast fünfmal so groß wie die GDL. Am Dienstag hat die EVG ihre Tarifforderung für die Bahn und rund 50 weitere Unternehmen, die hierzulande auf der Schiene oder mit Bussen unterwegs sind, vorgelegt: Zwölf Prozent oder mindestens 650 Euro pro Kopf und Monat.

Martin Seiler, Personalvorstand der Deutschen Bahn, hat anstrengende Monate vor sich.

© dpa / dpa/Michael Kappeler

Seilers Maßhalteappelle an den Tarifpartner sind ins Leere gegangen. „Wir müssen sehen, was in dieser Wandelzeit möglich ist“, sagt der Personalchef. Der Investitionsbedarf sei hoch, und „die Zukunftsorientierung des Unternehmens“ möge die Gewerkschaft doch bitte nicht aus den Augen verlieren.

Aus mehreren Gründen verfangen die Worte von Seiler nicht. Die Preissteigerungen haben auch die Erwartungen der Beschäftigten nach oben befördert. Und es gibt Nachholbedarf: Mitten in der Pandemie hatte sich die EVG 2020 auf einen Spartarifvertrag eingelassen, mit einer mickrigen Einkommenserhöhung um 1,5 Prozent erst Anfang 2022, um die Personalkosten in der Krise stabil zu halten.

Die Bahnbeschäftigten haben also 2021 und 2022 deutliche höhere Reallohnverluste erlitten als die meisten nach Tarif bezahlten Arbeitnehmer in Deutschland. Zwölf Prozent sind eine historisch hohe Forderung, über die am 28. Februar erstmals mit der Bahn verhandelt wird.

Verdi gibt die Richtung vor

Nachdem im vergangenen Herbst die Industriegewerkschaften neue Tarifverträge vereinbart haben und dabei auch die steuer- und abgabenfreie Inflationsprämie von 3000 Euro integriert hatten, gibt in diesem Jahr Verdi die Richtung vor: Für rund 2,5 Millionen Beschäftigte der Kommunen und beim Bund will die Dienstleistungsgewerkschaft 10,5 Prozent durchsetzen sowie eine Mindesterhöhung um 500 Euro pro Kopf/Monat. Sogar 15 Prozent fordert Verdi für 160.000 Tarifbeschäftigte der Post, die in den Pandemiejahren Rekordgewinne erwirtschaftete. Nach einem halben Dutzend Warnstreiks werden die Verhandlungen bei der Post am kommenden Mittwoch fortgesetzt.

Streiks im öffentlichen Dienst

Die zweite Gesprächsrunde im öffentlichen Dienst steht erst Ende Februar an. Bis dahin wird es Warnstreiks geben, wie beispielsweise in Berlin am Freitag bei Vivantes und der Charité, der Stadtreinigung, den Wasserbetriebe und der Hochschule für Technik und Wirtschaft. Auch die Gewerkschafter der EVG bereiten sich auf Warnstreiks vor, die nicht nur die Bahn, sondern auch die Konkurrenten der Bahn mit zehntausenden Beschäftigten betreffen. Einen Pilot-Tarifabschluss, der auf alle Unternehmen der Branche übertragen wird, strebt die EVG bei der Bahn an. Ganz ohne Streiks werde man die Lohnforderung nicht durchsetzen können, heißt es bei der EVG, die sich auf einen zähen Tarifkonflikt bis zum Sommer einstellt. Ein vorläufig letzter Verhandlungstermin ist mit der Bahn Ende Mai verabredet.

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Bis die Gewerkschaft eine Verhandlungsrunde bei allen betroffenen Unternehmen gedreht hat, vergehen rund vier Wochen; deshalb steht der zweite Termin mit der Bahn erst Anfang April an. Warnstreiks in der Osterzeit sind möglich. Die EVG wird auch versuchen, einen Mindestbetrag durchzusetzen, von dem untere Einkommensgruppen besonders profitieren. 500 Euro pro Kopf und Monat seien bei Mitgliederumfragen häufig genannt worden, heißt es in der Eisenbahnergewerkschaft, die dafür auch die Situation auf dem Arbeitsmarkt insgesamt anführt: Immer mehr Mitarbeitende würden die Bahn verlassen, weil die Arbeitsbedingungen nicht attraktiv seien und es Alternativen außerhalb der Branche gebe. Eher schlecht bezahlte Bereiche wie Instandhaltung, Sicherheit oder der Grünschnitt entlang der Trassen seien besonders betroffen.

Bahn will 25.000 einstellen

In der Einschätzung des Arbeitskräftemangels sind sich die Tarifpartner einig. Um die avisierten 25.000 neuen Leute in diesem Jahr einstellen zu können, bedarf es attraktiver Arbeitsbedingungen. Derzeit hat die Bahn gut 220.000 Mitarbeitende hierzulande, die 2022 mehr als sieben Millionen Überstunden leisteten. Personal fehlt an allen Ecken und Enden. Eine zweistellige Tariferhöhung wird die EVG aber kaum erreichen – es sei denn, der neue Vertrag hat eine lange Laufzeit und die Gehaltsaufschläge erfolgen in Stufen. Doch darauf möchte sich die Gewerkschaft nach den Erfahrungen mit dem 24 Monate gültigen Pandemievertrag von 2020 und den folgenden Reallohneinbußen nicht schon wieder einlassen.

Bahn-Manager Seiler wiederum wird versuchen, einen Kompromiss mithilfe der Inflationsprämie zu erreichen. Auch das ist schwierig, weil die EVG ebenso wie Verdi die auf den ersten Blick attraktive Einmalzahlung als nicht nachhaltig ablehnt. Kurzum: Bis zu den Sommerferien gibt es zähe Verhandlungen und vermutlich mehrere Streiks.

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