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 Beim Singen, Sprechen und schon beim Atmen entstehen feinste Partikel - Aerosole - in denen Viren überdauern und zum nächsten Menschen transportiert werden können. Wie weit sie kommen, hängt von Temperatur und Luftbewegung ab. 

© Christian Kähler/dpa/picture alliance

Aerosole in Coronavirus-Hotspots: Die Gefahr, die aus dem Nebel kommt

In Schlachthöfen und Büros fühlen sich Partikel wohl, die nur mit Laserlicht sichtbar sind – und superansteckend. So kann man sich schützen. Ein Gastbeitrag.

Der Autor ist Arzt und Professor für Mikrobiologie, Infektionsepidemiologie und Tropenmedizin und forscht und lehrt am Institut für Mikrobiologie und Infektionsimmunologie der Charité.

Wiesenhof, Tönnies, Geestland – immer wieder ist es in fleischverarbeitenden Betrieben zu Ausbrüchen von Sars-CoV-2 gekommen. Auch in Schlachthöfen anderer Länder werden Infektionen mit dem Virus gemeldet.

Die Frage, ob solche Betriebe Hotspots für Ausbrüche und die Mitarbeiter besonders gefährdet sind kann das Robert-Koch-Institut „noch nicht abschließend beantworten“. Zum einen sei „beengtes Wohnen“ und Arbeiten prinzipiell eine der Ansteckung förderliche Situation.

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Es gebe aber auch Hinweise, so RKI-Präsident Lothar Wieler, dass die Kühlung in diesen Betrieben ein „Faktor ist, den wir nicht gering einschätzen, da es dort zur Bildung von Aerosolen kommt“.

Noch wird untersucht, ob die Klimaanlagen in den Betrieben die Verbreitung der Viren fördern. Doch es zeichnet sich ab, dass auch hier die Schlussfolgerung gilt: Es sind nicht nur kleine, gerade noch sichtbare Tröpfchen vom Husten oder Niesen, sondern schon winzige Aerosole in der normalen Atemluft, mit denen die Viren übertragen werden können.

Die Hinweise und Belege dafür haben Forscherinnen und Forscher in den vergangenen Wochen und Monaten Puzzleteilchen für Puzzleteilchen gesammelt. Dazu gehört etwa das Mittagessen einer vierköpfigen Familie aus Wuhan in einem traditionellen chinesischen Restaurant in Guanghzou am 25. Januar.

Infografik: Können Schutzmasken das Ansteckungsrisiko verringern?
Infografik: Können Schutzmasken das Ansteckungsrisiko verringern?

© Tagesspiegel/ Rita Böttcher

Die Familie (A) saß an einem runden Tisch, mehrere Meter entfernt speisten zwei andere Familien (B und C). Am Abend bekam das erste Mitglied der Familie aus Wuhan Fieber und hustete stark. Im Krankenhaus wurde eine Infektion mit Sars-CoV-2 diagnostiziert. Innerhalb der nächsten sieben Tage erkrankten alle Mitglieder von Familie A, sowie drei Personen von Familie B und zwei von Familie C an Covid-19.

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Die Ansteckungen in der Familie A lassen sich durch Tröpfchen erklären, die von dem erkrankten Familienmitglied durch Niesen oder Husten in die Luft gelangten und sich über den Tisch ausbreiteten. Die Familien B und C saßen allerdings zu weit entfernt, als dass virusbeladene Wassertröpfchen zu ihnen hätten gelangen können, denn nach etwa eineinhalb bis zwei Metern sinken sie zu Boden.

Außerdem hatten die Familienmitglieder von Tisch B und C der infizierten Person an Tisch A den Rücken zugekehrt. Dieser erste Hinweis, dass Sars-CoV-2 in geschlossenen Räumen durch die Luft übertragen werden kann, ging im Chaos der sich im Wuhan rapide ausbreitenden Epidemie jedoch noch unter.

Ein Blick in ein Labor zum Testen auf das Coronavirus
Ein Blick in ein Labor zum Testen auf das Coronavirus

© Cooper Neill / REUTERS

Das änderte sich mit der Untersuchung des Ausbruchs im Bundesstaat Washington, der von einem Chor ausging. Wie jeden Dienstag hatten sich die Hobby-Sängerinnen und -Sänger des Landkreises Skagit am 10. März zur Probe im Gemeindehaus getroffen. Obwohl nur die Hälfte der 122 Chormitglieder erwartet wurde, blieb die Bestuhlung des Saals wie sie immer war.

Mit der Folge, dass befreundete Sänger gewohnheitsgemäß dicht nebeneinander saßen, zwischen anderen dagegen ein Abstand von zwei Metern und mehr bestand. Die insgesamt zweieinhalbstündige Probe wurde durch eine 15-minütige Pause unterbrochen, in der Kekse und Getränke gereicht wurden.

Nach der Pause teilte sich der Chor in mehrere Gruppen auf, die für 40 Minuten in kleineren Räumen probten. Keiner der Sänger wusste, dass sich unter ihnen ein Chormitglied befand, das mit Sars-CoV-2 infiziert war.

Fast alle Chormitglieder infizierten sich, zwei starben

In den nächsten sieben Tagen erkrankten sechs Chormitglieder an Covid-19, zwei davon starben. Eine systematische Testung aller Sänger ergab, dass sich 53 der 61 Teilnehmer während der Probe angesteckt hatten.

Die Infektionsepidemiologen aus Washington, die den Ausbruch untersuchten, kamen zu der Schlussfolgerung, dass die Organisation der Chorprobe die Übertragung des Corona-Virus in mehrfacherweise begünstigt hatte: Über die Kekse und Getränke hatten sich einige vermutlich über Schmierinfektionen angesteckt – also daran haftende Viren gerieten über die Hand in Mund, Auge oder Nase.

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Dass enge Zusammensitzen hatte eine Übertragung durch Tröpfchen, die von dem infizierten Sänger ausgeniest oder ausgehustet worden waren, ermöglicht. Die Tatsache allerdings, dass sich 87 Prozent der Sänger innerhalb von zweieinhalb Stunden infizierten, ließ sich nur durch eine Übertragung über die Atemluft erklären: Beim Singen gelangen Viren in Aerosolen in großer Zahl in die Luft.

Der infektionstechnische Unterschied zwischen Tröpfchen und Aerosolen erschließt sich durch ihre physikalischen Merkmale. Tröpfchen entstehen beim Niesen, Husten und Schniefen. Sie haben einen Durchmesser zwischen fünf und 500 Tausendstel Millimeter.

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Die größeren Tröpfchen sind an der Grenze der Sichtbarkeit – wie jeder weiß, der einmal auf eine spiegelnde Oberfläche geniest hat. Sie sind schwerer als Luft und sinken in kurzer Zeit zu Boden oder landen auf Oberflächen und Gegenständen, mit denen die Hände in Berührung kommen. Je nach Größe können in einem einzigen Tröpfchen Tausend oder mehr Viren enthalten sein.

Nur mit Hilfe von Laserlicht sichtbar zu machen

Aerosole sind zwischen 0,01 Tausendstel und fünf Tausendstel Millimeter klein und nur mit Hilfe von Laserlicht sichtbar zu machen. Sie entstehen beim normalen Sprechen und erst recht beim Singen aus „vollem Hals“. Aerosole haben ein so geringes Gewicht, dass sie der Schwerkraft trotzen und nicht auf den Boden sinken.

Deshalb schweben Viruspartikel ähnlich wie feinster Staub in dem ultrafeinen Aerosolnebel und bleiben an Ort und Stelle, solange sie nicht durch Luftbewegung verwirbelt werden. Ein virushaltiges Aerosol kann also ansteckend sein, wenn die Person, die es produziert, schon lange nicht mehr da ist.

Tröpfchen und Aerosole haben auch völlig andere Infektionseigenschaften. Virusbeladene Tröpfchen gelangen in der Regel nur in den Nasen-Rachen-Raum, selten bis in die Luftröhre. Im günstigsten Fall werden sie sogar wieder ausgeatmet.

Haben sie sich auf der Schleimhaut der Luftröhre abgelagert, werden sie über die sogenannten Reinigungszilien auf der Oberfläche von Schleimhautzellen – einer Art mikroskopischer Rolltreppe – in Richtung Kehlkopf transportiert und heruntergeschluckt. Die Chancen sich mit dem neuartigen Coronavirus zu infizieren sind dementsprechend gering.

Die ultrafeinen Virusnebel dagegen gelangen beim Einatmen tief in die Lunge, je nach Atemtiefe sogar direkt bis in die Lungenbläschen. Dort findet das Coronavirus massenhaft Andockstellen, um eine Infektion in Gang zu setzen.

Laborexperimente bestätigen die epidemiologischen Beobachtungen

Die Beobachtungen in dem chinesischen Restaurant und bei der amerikanischen Gesangsprobe wurden in der Zwischenzeit durch experimentelle Studien belegt. In Wuhan filtrierten Wissenschaftler aus dem Modern Virology Research Center in zwei Krankenhäusern die Luft in Behandlungs- und Aufenthaltsräumen, bestimmten die Größe der Aerosole und quantifizierten die in dem submikroskopisch feinen Nebel enthaltene Menge von Sars-CoV-2-Erbmaterial.

Während die Konzentration von Virus-Erbgut in der Luft der Isolierstationen und in belüfteten Patientenzimmern sehr gering war, fanden die Forscher in den Toiletten der Patientenzimmer und im Wartebereich, in dem neuankommende Patienten stundenlang dicht gedrängt saßen, besonders viel Virus-Erbgut.

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Auch in Aufenthaltsräumen von medizinischem Personal war die Konzentration in der Luft besorgniserregend, sank aber auf einen nicht nachweisbaren Wert, nachdem adäquate Hygienemaßnahmen durchgeführt worden waren.

In den Räumen von einzeln liegenden Patienten mit Covid-19 ließ sich Virus-Erbgut in der Luft nachweisen – auch noch deutlich weiter als zwei Meter vom Bett des Patienten entfernt.

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Und das, obwohl die Zimmerluft zwölf Mal pro Stunde komplett ausgetauscht wurde. Eine Studie in einem Krankenhaus in Nebraska zeigte überdies, dass auf einer Quarantäne-Station mit milden Covid-19-Fällen Virus-Erbgut in der Luft vorhanden war. Insgesamt wurde in zwei Dritteln aller Luftproben Sars-CoV-2-Erbsubstanz in Aerosolen nachgewiesen.

Tausende Viruspartikel gelangen beim Sprechen in die Luft

Eine Gruppe von Infektionsmedizinern unter der Leitung von Neeltje von Doremalen vom National Institute of Allergy and Infectious Diseases in Hamilton, Massachussetts, hat die Untersuchungen von Raumluft experimentell überprüft. Zu diesem Zweck stellten die Forscher im Labor aus Wasser, das mit Sars-CoV-2 durchsetzt war, Aerosol-Nebel mit definierten Tröpfchengrößen her.

Noch drei Stunden nach der Freisetzung des Virusnebels ließen sich immer noch Tausende Viruspartikel in einem Liter Luft nachweisen. Und die Viren blieben hochinfektiös, wie an Zellkulturen gezeigt werden konnte.

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Bleibt die Frage, ob Sars-CoV-2 durch einfaches Sprechen in die Luft gelangen kann. Das beweist eine kürzlich im Fachblatt „PNAS“ veröffentlichte Studie. Die Wissenschaftler baten Menschen, Sätze mehrfach zu wiederholen.

Basierend auf Erfahrungswerten über die Zahl von Viruspartikeln, die von Covid-19-Patienten über die Atemwege ausgeschieden werden, schätzten die Forscher, dass eine einzige Minute lauten Sprechens mindestens 1000 – möglicherweise aber auch mehr als 100.000 – virushaltige Lufttröpfchen erzeugt.

Selbst die Art des Sprechens hatte einen Effekt auf die Viruskonzentration in der Luft. Wissenschaftler des National Institute of Allergy and Infectious Diseases in Bethesda, Maryland, sollten die Probanden „stay healthy“ (bleib gesund!) laut aussprechen, was zwangsläufig eine eher feuchte Aussprache nach sich zieht. Selbst bei leiser Aussprache des „th“ gelangten massenhaft Viren aus dem Mund.

Kein Zweifel mehr an Sars-CoV-2-Übertragung durch Aerosole

Der finale, experimentelle Nachweis für eine Übertragung von Sars-CoV-2 durch die Atemluft fehlt zwar. Dazu müssten Probanden einen virushaltigen Aerosolnebels einatmen. Aber ein solches Experiment wäre unethisch und daher nicht durchführbar.

Dennoch besteht für Fachleute kein Zweifel mehr, dass Sars-CoV-2-haltige Aerosole in geschlossenen Räumen ein potenzielles Infektionsrisiko darstellt. Christian Drosten etwa, der Leiter der Virologischen Abteilung der Charité in Berlin, hält die „Rolle, die Aerosole im Infektionsgeschehen von Covid-19 spielen, für genauso groß wie die von Tröpfchen“.

Und das Robert-Koch-Institut schreibt mittlerweile, „dass Sars-CoV-2-Viren über Aerosole auch in gesellschaftlichem Umgang in besonderen Situationen übertragen werden können“.

Warme, bewegte Luft verteilt die Aerosole und trocknet sie aus

Dass Wissen um die Bedeutung der Aerosole ist zwar eine schlechte Nachricht für das Leben in Innenräumen – seien es nun Wohnblocks oder Schlachthöfe. Eine gute Nachricht ist es jedoch für das Leben an frischer Luft.

Denn die Virusnebel sind nur solange stabil, wie sich die Luft nicht bewegt. Jeder Luftzug verwirbelt sie und verdünnt die Konzentration von Virus pro Liter Luft. Außerdem trocknen die Aerosole bei Luftbewegung aus – insbesondere in warmer Luft. Innenräume konsequent zu lüften, minimiert also das Infektionsrisiko.

Hermann Feldmeier

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