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Entwicklungsministerin Svenja Schulze in einem mauretanischen Fischerdorf. Wo soll Deutschland weiter helfen und wo nicht?

© photothek.net/LEON KUEGELER

Kein Geld für Gaza, weniger für Mali: „Wir brauchen eine Zeitenwende in der Entwicklungspolitik“

Der FDP-Politiker Christoph Hoffmann leitet den Bundestagsausschuss zur Entwicklungspolitik. Der Liberale will diese neu ausrichten – erst recht nach dem 7. Oktober in Israel.

Herr Hoffmann, die Entwicklungspolitik steht in der Kritik, nicht zuletzt jene für Gaza, die von der Hamas missbraucht wurde. Was lehrt uns das?
Formal wurde vieles richtig gemacht. Ich habe mir vor Ort angeschaut, wie mit unserer Hilfe etwa ein Klärwerk entstand. Da wurde von deutscher wie israelischer Seite kontrolliert, ob die Masse an Zement mit den Bauplänen übereinstimmt – damit die Hamas nichts für den Bau unterirdischer Tunnel abzweigt.

Es wurde geprüft, dass Rohre für Wasserleitungen auch wirklich verbuddelt wurden. Wenn die Hamas dann Wasserrohre wieder ausgräbt und Raketen für ihren Krieg gegen Israel daraus baut, ist das erst einmal ein krimineller Betrug an der eigenen Bevölkerung. Es zeigt aber auch, dass selbst gute Vorsichtsmaßnahmen am Ende kaum etwas nutzen.

Was also tun? Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat die Hilfe bisher nur ausgesetzt.
Das Terrorregime der Hamas wird unsere gutgemeinte und auch bestmöglich kontrollierte Hilfe immer missbrauchen können. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit im Gazastreifen muss beendet werden, solange die Hamas dort das Sagen hat. Das ist aber schwierig umzusetzen in der Praxis.

Warum?
Es ist nicht so leicht, die Entwicklungszusammenarbeit gegen die humanitäre Nothilfe abzugrenzen, die in der aktuellen Lage natürlich geboten ist und vom Auswärtigen Amt geleistet wird. Im Entwicklungsministerium existiert in Bezug auf die Palästinensergebiete leider keine unterschiedliche Buchführung für den Gazastreifen und das Westjordanland. Das sind - wie wir jetzt mehr als schmerzlich erfahren haben - zwei sehr unterschiedliche Regime, die wir nicht gleich behandeln dürfen.

Die Zahl problematischer Partner der Entwicklungszusammenarbeit nimmt zu. Nach dem Abzug der Bundeswehr aus Mali soll das Engagement im Land eigentlich ausgebaut werden. Kürzlich wurde auch im Nachbarland Niger geputscht. Wie muss Entwicklungspolitik darauf reagieren?
Das ist eine schwierige Abwägung: Die einen argumentieren, dass sich die Lage der Menschen vor Ort verschlimmert und sie dann erst recht Richtung Europa fliehen, wenn wir keine Entwicklungshilfe mehr leisten. Die anderen entgegnen, dass wir mit unserer Hilfe autokratische Regierungen von ihrer eigentlichen Aufgabe entlasten und sie damit länger an der Macht bleiben, weil der Leidensdruck in der Bevölkerung nicht so groß ist. Zwischen diesen Polen muss man sich entscheiden.

Wir sollten uns lieber stärker dort engagieren, wo Regierungen das Wohl der eigenen Bevölkerung im Blick haben.

FDP-Entwicklungspolitiker Christoph Hoffmann

Wie entscheidet sich die Ampelkoalition?
Als FDP sind wir der Ansicht: Nach Mali, wo die Regierung mit den mordenden Wagner-Söldnern aus Russland kooperiert, sollte deutlich weniger deutsche Entwicklungshilfe fließen als bisher – nicht mehr. Wir sollten uns lieber stärker dort engagieren, wo Regierungen das Wohl der eigenen Bevölkerung im Blick haben. Wir brauchen eine Zeitenwende in der Entwicklungspolitik. Das wäre ein klares Signal für eine wertebasierte Außenpolitik, wie ich sie mir vorstelle.

Christoph Hoffmann vergangenes Jahr während einer Rede im Bundestag
Christoph Hoffmann vergangenes Jahr während einer Rede im Bundestag

© imago images/Future Image/Sebastian Gabsch

Wertebasiert heißt weniger helfen?
In Afghanistan stehen wir vor demselben Dilemma. Einerseits gibt es nach einem zwei Jahrzehnte dauernden Militäreinsatz eine gewisse deutsche Verantwortung für die Lage der Menschen. Andererseits sollten wir nicht die Macht der Taliban festigen, in dem wir die Lage des Landes strukturell verbessern - so bitter das auch ist. Natürlich müssen wir weiter die UN-Organisationen wie das Welternährungsprogramm dabei unterstützen, Nothilfe zu leisten. Ich halte es aber für falsch, wenn unsere Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) dort jetzt wieder Mitarbeiter beschäftigt.

Zur Zeitenwende gehört, dass laut China-Strategie der Regierung die Volksrepublik als wirtschaftlicher Wettbewerber und Systemrivale nicht mehr als Entwicklungsland behandelt wird. Indien wiederum gilt als die größte Demokratie der Welt, die hindunationalistische Regierung ist aber ein schwieriger Partner, der aus der Abhängigkeit von Russland herausgelöst werden soll – mit Militärhilfe und Entwicklungsprojekten. Wie stehen Sie dazu?
Die Entscheidung zu China war überfällig. Die Zusammenarbeit mit Indien halte ich für richtig – ich will Entwicklungshilfe stärker geostrategisch im Sinne unserer eigenen Werte eingesetzt sehen. Fachlich ist sie ohnehin gerechtfertigt: Trotz der High-Tech-Zentren wie Bangalore gibt es im bevölkerungsreichsten Land der Erde immer noch wahnsinnig viel Armut. Und im Umweltbereich muss es unser größtes Interesse sein, dass der wirtschaftliche Aufschwung des Landes möglichst klimaschonend gelingt – und der Energiebedarf eben nicht vorrangig durch Kohlekraft gedeckt wird.

Der Etat des Entwicklungsministeriums beträgt dieses Jahr 12,1 Milliarden Euro. Wieviel davon ist in Ihren Augen gut ausgegebenes Geld?
Bestimmt sind 80 bis 90 Prozent der Projekte und Vorhaben, die mit dem Geld gefördert werden, sinnvoll und effizient gesteuert. Als Parlamentarier müssen wir auf 100 Prozent hinarbeiten.

Ihr Parteichef, Finanzminister Christian Lindner, scheint Kürzungspotenzial zu sehen. Der BMZ-Etat sinkt nächstes Jahr um etwa 600 Millionen Euro.
Im Haushalt 2024 muss gespart werden, davon ist auch unser globales Engagement betroffen. Aber: Deutschland wird als eines der wenigen Länder weltweit auch dann noch die internationale Zusage einhalten, über alle staatlichen Ebenen hinweg 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung in die Entwicklungshilfe zu stecken.

Und was richten wir damit aus?
Deutschland allein kann die Welt nicht retten. Gemessen an den weltweiten Bedürfnissen sind elf oder zwölf Milliarden Euro ein relativ geringer Betrag. Umso wichtiger ist, dass wir damit ein Vielfaches an privaten Investitionen etwa in eine bessere Infrastruktur auslösen.

Welthandel und Globalisierung sind es, die bei allen negativen Entwicklungen, die es auch gibt, den Fortschritt bringen: In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist die Lebenserwartung in den Ländern des globalen Südens um zehn Jahre gestiegen, weil Einkommen, Ernährung und Gesundheitsversorgung besser geworden sind.

Genau dieser Fokus der Entwicklungszusammenarbeit sollte mit dem "Compact with Africa", beim Hamburger G20-Gipfel 2017 von der damaligen Kanzlerin Angela Merkel aus der Taufe gehoben, in die Tat umgesetzt werden. Noch diesen Monat wird ihr Nachfolger Olaf Scholz bei einer Investitionskonferenz in Berlin auftreten. Was ist das Problem?
Der Ansatz bleibt richtig, ich finde auch gut, dass Kanzler Scholz die Sache weiterverfolgt. Er betont oft genug, wie wichtig eine Zusammenarbeit mit Afrika auf Augenhöhe ist, und war gerade wieder dort. Merkels damalige Hoffnung, dass alle ihrer Initiative folgen, hat sich bisher nicht erfüllt – weder auf Seite der G20-Staaten noch auf der afrikanischen. Nicht nur in Mali und Niger ist das Verständnis, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit die besten Voraussetzungen für eine gute wirtschaftliche Entwicklung sind, unterentwickelt.

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