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Schloss Meseberg, wo das Bundeskabinett vor einigen Wochen zur Klausur zusammenkam, ist von Oppositionsführer Friedrich Merz gerade als „Therapieanstalt“ bezeichnet worden.

© dpa/Michael Kappeler

Regieren in der Realität : Die Ampel spaltet das Land, statt die Menschen zu einen

Nach der Bundestagswahl vor zwei Jahren haben die neuen Regierungsparteien Aufbruch, Fortschritt und Zusammenhalt versprochen. Das Gegenteil ist passiert. Höchste Zeit, umzusteuern.

Ein Kommentar von Christopher Ziedler

Mindestens in der Theorie kann eine Ampelregierung eine wunderbare Sache sein: Verständigen sich nämlich drei programmatisch so verschiedene Parteien auf etwas, kann ihr Kompromiss stellvertretend eine ganze Gesellschaft befrieden.

Beim Klimaschutz dürften sich Grüne freuen, dass bald ökologischer geheizt wird, Liberale, dass der Markt die beste Technik bestimmt, die Staatshilfe bei der Umrüstung müsste Sozialdemokraten gefallen.

Auch die ideellen Zutaten für einen Migrationskonsens wären vorhanden: Die Grünen hielten den Flüchtlingsschutz hoch, die FDP die Durchsetzung des Rechts bei abgelehnten Asylanträgen, die SPD wäre zuständig, dass einkommensschwächere Menschen nicht neidisch auf die Schutzsuchenden blicken müssten.

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Die Praxis sieht anders aus: Zwei Jahre nach der Wahl vom 26. September 2021 kann von Befriedung keine Rede sein, im Gegenteil: Deutschland ist polarisiert.

Das ist nicht allein die Schuld der Ampel. Die Rahmenbedingungen, unter denen sie Politik machen muss, haben sich mit Russlands Krieg gegen die Ukraine und seinen Folgen massiv verschlechtert. Die ideelle Spaltung, von inneren und äußeren Gegnern noch gezielt angeheizt, ist auch keine deutsche Spezialität. Hausgemacht ist die Dauerregierungskrise in weiten Teilen dennoch.

Tempo ist die Ausnahme

Unmittelbar nach Kriegsbeginn hat SPD-Kanzler Olaf Scholz schnell die „Zeitenwende“ ausgerufen. In der Not wurde die Verteidigungspolitik über Nacht ebenso neu aufgestellt wie der Energiesektor, als ohne russisches Gas im „neuen Deutschland-Tempo“ LNG-Terminals an den Küsten entstanden. Wäre es auch anderswo so entschlossen vorangegangen, hätte sich die Ampel ein gutes Zwischenzeugnis verdient.

Zupackend agiert sie aber nur, wenn es nicht mehr anders geht. Sonst dauern die Aushandlungsprozesse schlicht zu lang – von der Gasumlage hin zu den Energiepreisbremsen oder dieses Jahr beim Heizungsgesetz. Aktuell zeigt sich bei der Reaktion auf die ansteigenden Migrations- und absteigenden Wirtschaftszahlen, wie schleppend die Regierung mit Ereignissen umgeht, die beim Verfassen ihres Koalitionsvertrags noch nicht absehbar waren.

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Von den ersten schlechten Konjunkturdaten bis zum Wachstumschancengesetz oder des Kanzlers Deutschland-Pakt-Angebot vergingen Monate. Schon im Mai sagte Scholz den Ländern Grenzkontrollen gegen irreguläre Zuwanderung zu – erst jetzt greift dies seine Innenministerin auf, wird ernsthaft eine lagerübergreifende Lösung der Migrationsprobleme diskutiert. In den langen Phasen zwischen Wort und Tat bekommt die Republik schlechte Laune.

Versteckte Erfolge

Das hat auch damit zu tun, dass das Abarbeiten der Projekte aus dem bald zwei Jahre alten Koalitionsvertrag noch zu großen Raum einnimmt. Es wäre eine Führungsaufgabe, ihn an die heutige Zeit anzupassen. Stattdessen gibt es zu viel Dienst nach Vorschrift entlang des Gründungsdokuments.

Wenn wenigstens der geräuschlos über die Bühne ginge! Die Ampel aber ist Meisterin darin, ihre durchaus vorhandenen Erfolge wie den erhöhten Mindestlohn, das Fachkräftezuwanderungsgesetz oder die entschlackten Vorschriften für erneuerbare Energien zu verstecken. Kaum einer erfährt, dass die Regierung laut einer kürzlich vorgestellten Bertelsmann-Studie immerhin schon 174 ihrer 453 abgegebenen Versprechen voll oder teilweise erfüllt hat.

Als Königin dieser Disziplin entpuppte sich die grüne Familienministerin Lisa Paus. Sie lenkte im August die öffentliche Aufmerksamkeit von rund einem Dutzend Kabinettsbeschlüsse auf den Streit um die Kindergrundsicherung – eine Art Rache für ein ähnliches FDP-Manöver beim Heizgesetz.

Die Ampel muss nicht nur solche Eskapaden verhindern, sondern sich von ihren Anfängen lösen. Nur wenn sie jenseits des alten Koalitionsvertrags zu besserem Krisenmanagement kommt, hat sie am Ende noch eine Chance auf die von Scholz erhoffte Wiederwahl. Sie schwindet täglich.

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