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Ein junger Arzt mit Stethoskop und Tablet.

© imago/McPHOTO

„Wenn Sie schon mal da sind“: Dem Arzt das Judentum erklären

Eigentlich sollte es um medizinische Fragen gehen, doch erstmal will der Arzt von unserer Kolumnistin etwas über „ihre Leute“ wissen. Leider kein Einzelfall.

Eine Kolumne von Debora Antmann

Ich sitze in einer Unfallpraxis, weil ich auf dem Zebrastreifen von einem Fahrrad über den Haufen gefahren wurde. Der Arzt fragt nach meinem Beruf. Keine ungewöhnliche Frage. Ich antworte trotzdem knapp: „Ich bin wissenschaftliche Mitarbeiterin“. Der Arzt fragt interessiert weiter: „Wo denn?“ „In einem Museum.“

Vielleicht lässt er es an dieser Stelle auf sich beruhen? Natürlich nicht. „Wie spannend. In welchem denn?“ „Im jüdischen“. Ich bin nicht grundlos so schmallippig. Das letzte Mal, als ich in der Orthopädie saß, war das im Wirbelsäulenzentrum der Berliner Charité. Nach der Frage „In welchem Museum?“ und meiner Antwort „im Jüdischen Museum“, war das Gespräch leider nicht beendet.

Der Oberarzt hatte weitere Fragen: „Sind Sie denn einer? Also Jude?“ Der Raum wird beengend: „Ja.“ Jetzt war er richtig interessiert: „Wenn Sie schonmal da sind …“, und schon bin ich plötzlich Vertreterin des Weltjudentums, statt Patientin der Charité. „Wenn Sie schon mal da sind: Ich war neulich auf ,My Heritage’ und da gab es ne extra Kategorie für Juden. Warum brauchen Ihre Leute denn ne extra Kategorie?“ „Ich weiß es nicht. Ich war noch nie auf ,My Heritage’“.

„Ist das nur wieder so eine Extrawurst oder gibt es dafür einen Grund?“ „Ich weiß es nicht.“ Natürlich hätte ich darauf eine Antwort gehabt, aber ich glaubte nicht, dass der Oberarzt wirklich an einer interessiert war. Gleichzeitig wollte ich nicht sein Jude-vom-Dienst sein, sondern Patientin (nicht unbedingt seine, wenn es sich vermeiden ließe, eher so allgemein).

Der Vorfall in der Charité ist nicht der erste dieser Art, aber der letzte, seit ich jetzt beim Unfallarzt gelandet bin. Mein Misstrauen gegenüber dem neuen Arzt und meine verhaltenen Antworten auf seine Fragen sind also nicht unbegründet. Dieser Arzt antwortet jedoch mit einem strahlenden „Ah cool“ und macht direkt mit medizinischen Fragen weiter.

Erst jetzt merke ich, meine verkrampften Hände, den angespannten Kiefer und lasse meine Schultern langsam nach unten sinken. Die Praxis ist jetzt meine neue orthopädische Praxis. Es kann so einfach sein, mich zu begeistern.

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