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Das Berliner Zentrum im Februar 2024.

© IMAGO/Dirk Sattler

Luftwurzeln der Diaspora: Berlin als Hauptstadt von Nirgendwoland

Überall ein bisschen und nirgendwo ganz zu sein, gehört zur jüdischen Erfahrung. Wie sich das in Berlin anfühlt, beschreibt unsere Kolumnistin in der neuen Folge von „Schlamasseltov“.

Eine Kolumne von Debora Antmann

Lag die Welt jemals nicht in Trümmern? Wohl kaum! Das hält sie aber nicht davon ab, unaufhaltsam weiter zu bröckeln. Erst denke ich „Einfach über Berlin schreiben, was für eine Erholung!“

Dann merke ich „Einfach über Berlin schreiben“ ist fast unmöglich, wenn mein Hintern zwar hier ist, mein Kopf aber quasi überall anders auf der Welt. „Einfach über Berlin schreiben“ ist als Jüdin eigentlich immer eine Herausforderung. Ist es doch ein großer Teil unserer Existenz, überall ein bisschen und nirgendwo ganz zu sein – die Diaspora ist dem Judentum in vielerlei Hinsicht inhärent.

Berlin ist, wo ich meine jüdischen Luftwurzeln schlafen lege und stattdessen in voller Sorge wachliege. Berlin ist, wo meine Tränen den Boden versalzen und meine Seufzer als kalter Zug durch gentrifizierte Altbaufenster ziehen. Berlin ist, wo die tiefen Furchen meines gebrochenen Herzens im Asphalt klaffen. Berlin ist die Stadt, in der mein Kummer um meine Familie Bäume stürzen lässt und Angst um und vor der Welt lichterloh brennt.

Berlin ist der Ort, an dem ich Anrufe tätige, Nachrichten schreibe über Wüsten und Meere hinweg und nichts weiter tun kann. Berlin ist der Ort, an dem wir Newsfeeds aktualisieren, während ich Deine Hand halte. Unsere Luftwurzeln eng umeinandergeschlungen. Berlin ist der Ort, an dem ich seit Monaten falle. Tiefer und tiefer. Die Stadt ist eigentlich bekannt für ihren harten Aufprall. Unendlich zu fallen, kommt mir noch viel grausamer vor.

Berlin ist gut gefüllte Einsamkeit. Vor allem für Jüd*innen. Während ich das tippe, kann ich schon all die Proteste gurgeln hören, die erklären wollen, warum das irgendwie für alle gilt. Ich bleibe dabei: vor allem für Jüd*innen.

Es ist eine Kolumne über Berlin. Es ist ein Text über Überall und Nirgendwo. Ist es eine Kolumne über Heimat? Über Zuhause? Ist Berlin Zuhause? Ist Deutschland Zuhause? Wäre bei meiner Familie in Israel Zuhause? Nirgendwo ist Zuhause. Berlin ist nur die Hauptstadt von Nirgendwoland.

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