zum Hauptinhalt
Béla Réthy

© ZDF und Torsten Silz

Béla Réthy über seine letzte WM: „Man muss als Reporter diesmal ein bisschen mehr aufpassen“

Béla Réthy kommentiert am Sonntag das Eröffnungsspiel der Fußball-WM. Im Interview spricht er über seinen letzten Reporter-Job, Kritik an Katar und seinen Weltmeister-Tipp.

Herr Réthy, auf einer Skala von 1 bis 10: Wie gerne fahren Sie als Reporter zur Fußball-WM nach Katar?
Je näher es rückt, desto höher rutscht es in der Skala. Ein heterogenes Gefühl. Da schaut die ganze Welt hin, aus diversen Gründen, aber auch wegen Fußball. Ich würde es bedauern, da nicht dabei zu sein, auch wenn es kein Vergleich ist zu einer WM in Brasilien oder Italien, wo der Puls ausschlägt.

Die Skala..
Nehmen wir mal eine 6,5.

Waren Sie schon mal dort?
Einmal, 2009. Da hatte ich aus Katar ein Länderspiel kommentiert. Ich hatte keine bleibenden Eindrücke.

Gibt es touristische Neugierde?
Mehr eine inhaltlich-politische. Ich bin Augenzeuge vor Ort, werde nicht alles zu sehen bekommen, dafür wird man sorgen. Wir hatten zuletzt in der Redaktion einen Austausch mit Vertretern von Amnesty International und Human Rights Watch. Dabei kam auch heraus, dass man die Situation vor Ort vielleicht ein bisschen differenzierter sehen muss, ohne sie zu relativieren. Unsere Aufgabe ist es, nicht nur schwarz und weiß zu malen, sondern die Grauzonen auszuleuchten.

Dennoch, in diesen Tagen ist weniger von Fußball die Rede als von Kritik am WM-Gastgeber. Thema Menschenrechte, Korruption etc. Viele sprechen von einer „WM der Lügen“. Nervt Sie das?
Das gehört dazu. Interessanterweise wird die Kritik sehr stark bei uns in Deutschland geäußert, auch zu Recht. Die Sponsoren haben sich von dieser WM nicht zurückgezogen, in vielen anderen Ländern steht das Thema Menschenrechte nicht so weit oben auf der Agenda.

Eine schwierige Gemengelage, in die Sie gleich bei der Eröffnungsfeier und dem Eröffnungsspiel am Sonntag Katar gegen Ecuador hineinkommentieren.
Wohl wahr. Da kann man nicht erzählen: Alles so schön bunt hier. Ich muss in wenigen Minuten die richtigen Worte finden, eine Bewertung dessen, was ich sehe. Den richtigen, möglichst objektiven Ton treffen. Ich arbeite seit Wochen daran, was ich sonst nie getan habe.

Bei der Euro 2008 im Einsatz: Reporter Béla Réthy. 

© dpa / ZDF dpa

Normalerweise sprechen Sie über Sport, das geht lockerer.
Wenn der Ball später im Turnier im K.o.-Spiel durch den Strafraum segelt, kann ich nicht mit Menschenrechten anfangen. Wir decken dieses Feld im ZDF auch mit zahlreichen Dokus ab. Jeder hat da seine Aufgaben.

Sie schreiben sich vor Ihren Live-Einsätzen sonst nichts auf?
Ich notiere mir nur Fakten und reagiere im Stadion auf die Bilder. Präsente Prosa. In Katar reicht das nicht. Da werde ich mir weitere Stichworte zurechtlegen.

Das klingt nach Lampenfieber, Nervosität.
Ich bin kein nervöser Typ. Man muss als Reporter diesmal ein bisschen mehr aufpassen. Viel gewinnen kannst du da nicht. Irgendwer wird sich immer mokieren. Das ist dünnes Eis, das macht unseren Beruf aber auch so spannend.

Können Sie verstehen, wenn zum Zuschauer-WM-Boykott aufgerufen wird?
Ich finde es absolut legitim, wenn jemand sagt, eine WM, die mit so viel Blutgeld bezahlt wurde, schaue ich mir nicht an. Ich glaube allerdings, dass die Einschaltquoten nicht massiv einbrechen werden. Der Fußball ist so emotional, weckt so viele Gefühle, wenn das Turnier dann läuft.

Man muss diese Apps aber nicht zwingend downloaden.

Béla Réthy

Sie, das ZDF müssen als übertragender Sender den Spagat bringen: Sportreportagen, Unterhaltung und gleichzeitig journalistisch-kritisch über das Land berichten. Man hört von Auflagen seitens der Gastgeber, was Drehs und Genehmigungen betrifft. Fühlen Sie sich nicht gegängelt?
Ich bin als Live-Reporter nicht für Dreharbeiten unterwegs. Meine Kollegen haben da schon Auflagen erlebt. Jochen Breyer hat das zuletzt in seiner Dokumentation „Geheimsache Katar“ sehr transparent gemacht, zum Beispiel auch, wie das Interview mit dem katarischen WM-Botschafter Khalid Salman abgebrochen wurde.

Man wird schon versuchen, uns die Arbeit zu erschweren. Ich habe aber auch davon gehört, dass die Gastgeber die Journalisten mit Samthandschuhen anfassen wollen, um nicht weiteren Imageschaden zu nehmen. Ich fliege dahin und lasse mich überraschen.

Es soll Überwachungs-Apps geben..
….die jeden Schritt von uns überwachen, ja. Man muss diese Apps aber nicht zwingend downloaden, so hieß es zuletzt. Die Auflage wurde wohl aufgeweicht.

Erwarten Sie vom DFB-Team, von Spielern und Trainern mehr Statements zur Lage in Katar, wie neulich Nico Schlotterbeck im „Sportstudio“?
Mit solchen politischen Statements überfordert man möglicherweise manche Spieler. Für sie gehen zudem Lebensträume in Erfüllung, wenn bei der WM gekickt wird. Vom neuen DFB-Präsidenten Bernd Neuendorf sind da eher Statements zur Lage in Katar zu erwarten. Das passiert ja auch schon.

Von ihm wird einiges erwartet: DFB-Präsident Bernd Neuendorf.

© AFP / Arne Dedert / POOL / AFP)

Nun lässt sich Ihre Karriere nicht auf die WM in Katar reduzieren. Fußball-Reporter stehen unter besonderer Medien- und Zuschauerkritik, Sie auch. Einige können mit Béla Réthy nichts anfangen, fragen, wann hört der auf? Die SZ schrieb: „Réthy ist kein Talk- und Showmaster, sondern tatsächlich ein Fußballkritiker, der sich nicht so schnell besoffen machen lässt.“
Das trifft eine Ader, der ich bis zur Flussmündung folge: Das Ereignis ist wichtiger als wir. Ich möchte diesem Trend widerstehen, dass man bedeutender ist als das, worüber man redet. Okay, der Reporter gibt vielleicht das Dressing drauf. Man kann dessen Leistung mit der eines Schiedsrichters vergleichen. Wenn darüber kein Wort verloren wird, war es gut.

Lesen Sie die Kritiken?
Als das in Sozialen Medien losging, habe ich nicht verstanden, was die wollen: Keine inhaltliche Kritik, die weiterhilft. Nur Reduktion aufs unterste Niveau, Menschen spielen sich als Richter auf.

Das gab es 1986 in Mexiko noch nicht, bei Ihrer ersten von zehn WMs.
Ich war Assistent von Rolf Kramer und habe den Brasilianer Zico noch im Gym-Raum antreffen können. Diese Unmittelbarkeit, das finden Sie heute nicht mehr. Und 2006 in Deutschland. Da habe ich unser Land mit einem anderen Auge gesehen. In diesen vier Wochen hat hier irgendjemand das Licht angeknipst.

Wie steht es um den Reporternachwuchs, nicht nur beim ZDF? Überall Streamer und neue Kollegen. Sie könnten Ratschläge geben wie einst Ernst Huberty.
Ich weiß gar nicht, ob mein Rat noch gefragt sein würde. Da ist ein Generationswechsel. Es wird weniger gelesen, die sprachliche Vielfalt lässt nach. Vielleicht ist es die richtige Zeit zu gehen.

Hatten Sie Vorbilder?
Nein. Sei du selbst. Live-Berichterstattung ist auch ein Stück Preisgabe der Persönlichkeit. Man kann nicht anders sprechen, als man ist. Man muss auch mit den schlechten Seiten, die man hat, offensiv umgehen.

Nach dem Turnier in Katar gehen Sie zum Jahreswechsel mit 66 Jahren in Rente. Es hätte der krönende Abschluss einer 35-jährigen Reporter-Karriere sein können. Nochmals gefragt: Sie sind nicht enttäuscht, dass Ihre letzte WM so eine umstrittene WM ist, wo alle über Politik reden, kaum jemand über Fußball? Sie fliegen gerne hin?
Ich konnte mir den Ort nicht aussuchen.

Haben Sie sich schon Ihre letzten Worte am Mikro überlegt?
Nein, ich weiß gar nicht, ob ich etwas sage. Vielleicht überkommt es mich. Ich werde mir jedenfalls keine Pointen vorher aufschreiben.

Fußball gespielt wird ja auch in Katar. Wer wird Weltmeister?
Brasilien. Wenn Neymar seine Launen im Griff behält. Ich habe die Brasilianer zuletzt ein paar Mal spielen gesehen. Sie verteidigen inzwischen richtig gut.

Und Deutschland?
Ein möglicher Halbfinalist, wenn Sie das Achtelfinale überstehen. Ab da geht es ums Momentum.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false