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Die WM ist laut Rudolph ein Turnier für wenige Reiche.

© dpa/Buholzer

DFB-Vielfaltsbeauftragter zu Katar: „Die WM ist die Party auf der Titanic in der Business Class“

Christian Rudolph vom DFB über die Kommerzialisierung des Profifußballs, das falsche Versprechen von Nancy Faeser und die Verantwortung der Nationalspieler.

Christian Rudolph, in dieser Woche beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Werden Sie die Spiele schauen?
Nein. Für mich bedeutet Fußball mit Menschen zusammenzukommen, den Sport gemeinsam zu erleben und sich im Verein zu engagieren. Eine WM sollte begeistern, zusammenbringen und ein Fest der Völker darstellen. Alles, was den Fußball für mich ausmacht, sehe ich nicht in dieser WM. Dort geht es vor allem um die Verletzung von Menschenrechten.

Wie werden Sie die Zeit stattdessen verbringen?
Ich werde mir Spiele in der Regionalliga anschauen. Auch die Bundesliga der Frauen läuft weiter. Es gibt genügend Möglichkeiten.

Sie kritisieren ein Turnier, von dem auch der DFB profitiert. Sie sind aber auch beim Verband Leiter der Anlaufstelle für sexuelle und geschlechtliche Vielfalt. Wie passt das zusammen?
Ich sehe mich als Vertretung für die LGBTIQ*-Community und finde es wichtig, dass die berechtigte Kritik an der WM auch innerhalb des Verbandes artikuliert wird. Ich bin nicht nur dafür da, um zu betonen, was alles gut läuft, sondern auch dafür da, Lücken aufzuzeigen – selbst, wenn das nicht bei allen gut ankommt. Ein offener Dialog ist wichtig.

Ist der im Vorfeld gelungen?
Teilweise. Wir konnten unsere Kritikpunkte auf mehreren Veranstaltungen deutlich machen, zum Beispiel bei Treffen queerer Vertreter*innen mit DFB-Präsident Bernd Neuendorf und bei einem Treffen mit dem katarischen Botschafter. Man darf nicht vergessen, dass der DFB mehr ist als nur seine Spitze. Viele Mitarbeiter*innen haben die WM von Anfang an kritisiert, aber müssen nun ausbaden, was die Spitze entschieden hat.

Christian Rudolph (39) von der Anlaufstelle für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt.

© Caro Kadatz

Finden Sie, dass der DFB die kritischen Stimmen nach außen hin hinreichend kommuniziert hat?
Kaum. Zwar ist der Wechsel an der Spitze zu Neuendorf spürbar, seither hat sich einiges getan. Dennoch finde ich es schade, dass der DFB sich nicht der Kritik von Verbänden wie Norwegen oder Dänemark deutlicher angeschlossen hat. Das wäre bei einem großen Verband wie dem DFB ein starkes Zeichen gewesen. Der DFB hätte auch deutlicher auf den Brief von Infantino reagieren müssen…

Sie meinen den Brief, den Fifa-Präsident Gianni Infantino kürzlich an alle Teilnehmerländer verschickte und diese dazu aufforderte, sich mit politischen Statements zurückzuhalten?
Genau, diese Aufforderung kommt einem Maulkorb gleich. Sie zeigt, wie die Fifa versucht, die WM um jeden Preis ins rechte Licht zu rücken. Immer wieder wird kritisiert, dass Katar die freie Meinungsäußerung im eigenen Land unterdrückt, aber die Fifa geht diesen Kurs voll mit. Dabei haben die nationalen Verbände durchaus Autonomie und könnten sich dem widersetzen. 

Die Kritik an Großevents ist nicht neu, auch die WM in Russland trug zu Protesten bei...
Ja, und bei Südafrika und Brasilien. Solche Großturniere gehen zu Lasten von Minderheiten vor Ort und zu Lasten der Nachhaltigkeit. Dabei handelt es sich bei einer Fußball-WM um das wohl größte Sportereignis der Welt, daraus ergibt sich eine ebenso große Pflicht und Verantwortung. Die Fifa wird dieser Verantwortung nicht im Ansatz gerecht. Uns erzählt sie, dass sie den Fußball ins Land bringt und schmückt sich mit den großen Stadien.

Gleichzeitig frage ich mich: Wo sind denn dann beispielsweise die ganzen Fußball-Projekte für Mädchen und junge Frauen? Projekte wie Discover Football oder Scoring Girls haben mehr dazu beigetragen, Mädchen im Fußball zu empowern als die Fifa es je tun wird.

Als Inszenierung und Zaubershow bezeichnet Rudolph die WM, die am Wochenende losgeht.

© IMAGO/Laci Perenyi

Frauen werden in Katar systematisch unterdrückt und spielen im Fußball kaum eine Rolle. Dass in den Stadien viele Frauen dabei sein werden, ist fraglich. Wer wird außerdem vom Turnier ausgeschlossen?
Die WM ist nicht für alle, sondern bloß für eine Elite, die sich dieses Turnier leisten kann. Sie ist die Party auf der Titanic in der Business Class.

Diese Metapher müssen Sie ausführen…
Die Titanic stand für Gigantismus und für Fortschritt genau wie die WM. Trotzdem steuerte sie auf einen Eisberg zu. Und wer wurde am Ende gerettet? Die Reichen. Wohingegen die Menschen in den Maschinenräumen ertranken.

Für mich ist das eine einzige große Inszenierung, eine Zaubershow, die der Unterhaltung einiger weniger dienen soll. Sie trägt nicht den Fußball ins Land, sondern den Kapitalismus. Kritik an dem Turnier muss deshalb auch immer Kritik am Kapitalismus sein. Um es auf den Punkt zu bringen. Es werden Milliarden investiert, damit die Fifa vier Wochen lang ein Turnier organisieren kann, welches sie nicht einmal selber bezahlt. Wir brauchen ein gesellschaftliches Umdenken im Profisport.

Immer wieder wird kritisiert, dass Katar die freie Meinungsäußerung im eigenen Land unterdrückt, aber die Fifa geht diesen Kurs voll mit.

Christian Rudolph

Wer profitiert Ihrer Ansicht nach am meisten von diesem Turnier?
Es gibt keinen Widerstand dagegen, weil alle daran verdienen. Zuallererst die Funktionäre und die Verbände, dazu gehören auch die Spieler, deren Marktwert steigt, wovon wiederum auch die jeweiligen Vereine profitieren. Und natürlich die Sponsoren, die dadurch viel Absatz machen. Selbst der Sporthersteller Hummel, der schwarze Trikots für das dänische Team hergestellt hat, aber nur einen Bruchteil spendete, macht damit Geld. Bis hin zu deutschen Bauunternehmen, die von der WM in Katar profitieren. Minus machen hingegen die Kneipen, die die WM boykottieren und damit womöglich auf wichtige Umsätze verzichten.

Wo sehen Sie die Verantwortung der Bundesliga-Vereine?
Ehrlich gesagt wundere ich mich darüber, wie wenige Erstligisten sich gegen die WM in Katar positioniert haben. Beim Africa-Cup, dem größten Fußballevent in Afrika, ist es gang und gebe, dass deutsche Vereine ihre Spieler nicht abstellen. Die Vereine begründen das zumeist mit der sportlichen Belastung. Sie haben also durchaus Möglichkeiten, auf internationale Turniere einzuwirken. Bei der WM in Katar war es trotzdem nicht einmal öffentlich Thema. Das ist ein Problem, über das zu wenig gesprochen wird.

Und die Spieler?
Es ist nachvollziehbar, dass die WM für Spieler ein wichtiges sportliches Ereignis ist. So eine Bühne auf einem Weltevent bekommen sie womöglich nur einmal. Außerdem darf die Frage eines Boykotts nicht individualisiert werden, der Großteil der Verantwortung liegt bei höheren Instanzen. Dennoch kann ich es mittlerweile nicht mehr nachvollziehen, wie Spieler, die sich mit der Situation vor Ort auseinandergesetzt haben, noch hinfahren und auf den Gräbern tausender Menschen spielen können.

Jemand wie Mats Hummels, der ohnehin kaum Chancen hatte, in den Kader zu kommen, hätte leicht auf die WM verzichten können. Das mindeste wäre, dass die Spieler ihre Prämien spenden. Keiner von ihnen ist auf das Geld angewiesen, sie alle haben Millionenverträge. Ein Titel bei dieser WM hat keinen Wert, der Preis dafür ist zu hoch.

Innenministerin Nancy Faeser reise kürzlich nach Katar, um sich vom Premierminister eine Sicherheitsgarantie für queere Fans geben zu lassen. Was halten Sie davon?
Ich finde das extrem überheblich. Zum einen habe ich Zweifel daran, dass diese privilegierte Minderheit queerer deutscher Fans tatsächlich sicher sein wird während der WM. Zum anderen hat Faeser mit ihren Versprechen jenen Menschen die Stimme genommen, die vor Ort diskriminiert, verfolgt und misshandelt werden.

Erst kürzlich stattete Sportministerin Nancy Faeser dem Emirat einen Besuch ab.

© dpa/Britta Pedersen

Gesellschaftliche Umbrüche entstehen aus der Bevölkerung heraus, das hat man beim Mauerfall gesehen und sieht man aktuell auch in Hinblick auf die mutigen Proteste im Iran. Faeser hat mit ihrem Statement die Kämpfe von queeren Menschen, Frauen und die Arbeitsmigrant*innen in Katar, sich selbst überlassen und unsichtbar gemacht. Dabei schafft es die Bundesregierung ja nicht einmal, konsequent gegen Hasskriminalität im eigenen Land vorzugehen.

Jemand wie Mats Hummels, der ohnehin kaum Chancen hatte, in den Kader zu kommen, hätte leicht auf die WM verzichten können.

Christian Rudolph

Der katarische Botschafter bezeichnet queere Personen als „geistig krank“...
Ja und das zeigt doch, dass auf Faesers Aussagen kein Verlass ist. Noch dazu bezeichnete er Frauen als Süßigkeiten. Solche Aussagen darf die Bundesregierung nicht kommentarlos hinnehmen, und auch im DFB darf das eigentlich nicht unkommentiert bleiben. Ich erwarte, dass die Bundesregierung reagiert, sich mit dem katarischen Botschafter auseinandersetzt. Der hatte schließlich auch kein Problem, Faeser zu einem Treffen zu zitieren, nachdem diese Katar kritisiert hatte

Die Fifa hat mittlerweile einen Menschenrechtskatalog entwickelt. Wie blicken Sie auf zukünftige Sportereignisse?
Pessimistisch. Die nächste U20 WM findet in Indonesien statt und ich hoffe sehr, dass wir dort genauso hinschauen wie auf Katar. Auch in Bezug auf die nächste WM in den USA, Kanada und Mexiko werden Menschenrechte eine Rolle spielen, betrachtet man den Umgang mit der indigenen Bevölkerung oder den Backlash, den Frauen und trans Personen gerade erleben. Von der Fifa erwarte ich wenig. Infantinos Brief hat gezeigt, dass der Weltverband sich nicht an die eigenen Policies hält. Aber ich erwarte von den Verbänden, dass sie sich mit Großturnieren grundsätzlicher auseinandersetzen und nicht länger Teil dieses falschen Spiels sind.

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Was muss sich ändern, damit Katar sich nicht wiederholt?
Die Vergabekriterien müssen sich ändern. Damit meine ich nicht nur, dass Menschenrechte auch in der Praxis eingebunden werden müssen. Darüber hinaus sind die aktuellen Anforderungen viel zu hoch. Die Fifa verlangt von den Gastgeberländern, dass sie Milliarden für die Austragung ausgeben. Sie zeigt dem Land, wie es unter fußballidealen Vorstellungen aussehen soll, aber nicht unter menschenrechtlichen. Insofern trägt sie letztlich auch Mitverantwortung an der Ausbeute der Arbeitsmigrant*innen. Die Fußball-EM der Frauen hat gezeigt, dass es auch weniger gigantisch geht.

Also sollte die WM insgesamt weniger groß gestaltet werden?
Ja. Ich habe mich zum Beispiel immer gefragt, warum die Spiele während der WM in Deutschland nicht auch im Ostseestadion oder in Dresden ausgetragen wurden. Anstatt den Fußball zu fördern, wird mehr Wert darauf gelegt eine Show zu bieten. Das wird auch mit Blick auf die Winterspiele in Saudi-Arabien deutlich, wo 500 Milliarden US-Dollar für die Infrastruktur ausgegeben werden. Das hat mit Sport nichts mehr zu tun. Das Geld sollte sinnvoller genutzt werden, zum Beispiel für die Energiewende.

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