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Eine Pro-palästinensische Großdemonstration im November 2023 in Berlin. Ein Mann ist auf den Neptunbrunnen geklettert und fotografiert sich mit einem Smartphone.

© IMAGO/Stefan Trappe/imago

Online-Kommentare gegen Israel: Latenter Antisemitismus ist laut Studie in Hass umgeschlagen

Wie haben sich antisemitische Online-Kommentare seit dem Terrorangriff der Hamas geändert? Forscher sprechen von einem „Paradigmenwechsel“.

Latenter Antisemitismus in den sozialen Medien ist einer Studie der Technischen Universität Berlin (TU) zufolge nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober in puren Hass und Gewaltverherrlichung umgeschlagen.

In einem länderübergreifenden Forschungsprojekt hat erstmals ein internationales Wissenschaftsteam seit 2020 untersucht, wo und wie Antisemitismus in den Kommentarbereichen seriöser deutscher, britischer und französischer Medien offen oder verdeckt vorkommt. Die Ergebnisse wurden am Donnerstag in Berlin vorgestellt.

Wir gehen davon aus, dass wir nur die Spitze des Eisbergs kennen.

Matthias Becker, Antisemitismusforscher an der TU Berlin 

Studienleiter Matthias Becker vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin sagte, es seien 130.000 Nutzer-Kommentare auf den Zeitungs-Webseiten sowie auf deren Auftritten bei Facebook, Youtube, X (vormals Twitter), Instagram und TikTok ausgewertet worden. Darunter waren Medien wie der britische „Guardian“, die französische „Le Monde“ und „Die Zeit“.

80-85
Prozent der antisemitischen Aussagen im Internet sind Anspielungen oder Wortspiele.

Becker zufolge wird ein Großteil der antisemitischen Aussagen in diesem „politisch gemäßigten Online-Milieu“ zumeist codiert ausgeführt. „80 bis 85 Prozent des Antisemitismus sind implizit, also in Form von Anspielungen, Wortspielen, rhetorischen Fragen“, sagte er.

Dazu gehörten Wortspiele wie „Zionazis“ (Zionismus und Nazis) und „Satanyahu“ (Satan und Netanyahu) sowie Anspielungen wie „Globalisten mit Schläfenlocken“ oder „jemand sollte Soros eine 'Dusche' geben“, sagte er.

Neue Form der Kommunikation

Der 7. Oktober habe dann vorübergehend international eine völlig neue Form antisemitischer Kommunikation hervorgerufen, sagte Becker. Zudem habe sich die Anzahl judenfeindlicher Kommentare und Reaktionen verdreifacht. Der Diskurs habe sich von Stereotypen und Analogien entfernt und sei in sogenannte Selbstpositionierungen umgeschlagen.

„Der Hamas-Terror vom 7. Oktober wurde von den Userinnen und Usern offen gutheißen, begrüßt und gerechtfertigt, und Gewalt hat den Ton angegeben“, sagte Becker. Dies reiche von Kommentaren wie „Das sollte jetzt jeden Tag passieren“ über „Die weiblichen Opfer verdienen das“ bis hin zu „Ich will, dass Juden umkommen, weil sie das Übel der Welt sind“.

Dämonisierung Israels

In britischen Medien waren das nach Beckers Angaben teils mehr als 50 Prozent der Kommentare, in französischen Medien teils sogar 60 Prozent und in Deutschland bis zu 25 Prozent. Einen solchen Paradigmenwechsel habe er nicht erlebt, seitdem es das interaktive Web gibt, sagte er. Später sei der Diskurs zu den üblichen Mustern der Dämonisierung Israels, NS- und Apartheid-Analogien sowie dem Genozidvorwurf zurückgekehrt.

Das Forscherteam hat für den ganzen Untersuchungszeitraum erhebliche Unterschiede zwischen den Ländern festgestellt. So sei in Großbritannien in den untersuchten Medien Antisemitismus von konservativ bis links am meisten verbreitet, gefolgt von Frankreich und Deutschland.

Für die Analyse der einzelnen User-Kommentare entwickelten die Forscherinnen und Forscher ein 160-Punkte-Kategoriensystem, um verwendete Codierungen und Schlüsselbegriffe in den Kommentaren aufzuspüren. Insgesamt erstellte das Team 27 Fallstudien nach verschiedenen Ereignissen. „Wir gehen davon aus, dass wir aber nur die Spitze des Eisbergs kennen“, sagte Becker. (epd)

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