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Blick auf den Campus der Hebräischen Universität Jerusalem mit dem Mandel Institute of Jewish Studies auf dem Skopusberg in Jerusalem.

© picture-alliance / Picture-Alliance/HANAN ISACHAR

Universitäten in Zeiten des Krieges: „Eine vertrauensvolle Partnerschaft“

Günter M. Ziegler, Präsident der Freien Universität, und Menachem Ben-Sasson, ehemaliger Präsident der Hebrew University of Jerusalem, im Gespräch.

Von Dennis Yücel

Die Freie Universität Berlin unterhält enge Beziehungen zu mehreren Universitäten in Israel. Kürzlich besuchte Professor Günter M. Ziegler, Präsident der Freien Universität, im Rahmen einer mehrtägigen Reise drei der Partner­institutionen. Am Ende seiner Reise stand die Hebrew University of Jerusalem, zu der es erste Kontakte bereits 1957 gab, mit der die Freie Universität Berlin seit 1986 einen Studierendenaustausch unterhält und seit 2011 eine enge strategische Partnerschaft. Im Interview sprechen Professor Günter M. Ziegler und Professor Menachem Ben-Sasson, von 2009 bis 2017 Präsident der Hebrew University, über das Hochschulleben in Israel in Zeiten des Krieges und die Bedeutung der deutsch-israelischen Zusammenarbeit.

Herr Professor Ziegler, warum war es Ihnen wichtig, jetzt nach Israel zu reisen?
Günter M. Ziegler: Die Freie Universität und ihre israelischen Partnerinstitutionen verbindet eine lange, einzigartige Geschichte. Da war es für mich selbstverständlich, auch in dieser schwierigen Zeit möglichst bald wieder vor Ort zu sein und unsere Verbundenheit auszudrücken. Auch persönlich bin ich dem Land sehr verbunden. Ich war 1976, als dreizehnjähriger Schüler, das erste Mal in Israel und später viele Male, für Forschungsaufenthalte und private Reisen. Zuletzt war ich Anfang Oktober in Israel, kurz vor den furchtbaren Angriffen der Hamas. Die Rückkehr nun nach Jerusalem war mir als Universitätspräsident, als Wissenschaftler und als Privatperson ein wichtiges Anliegen.

Günter M. Ziegler, Präsident der Freien Universität
Günter M. Ziegler, Präsident der Freien Universität

© Bernd Wannenmacher

Herr Professor Ben-Sasson, wie hat sich das Leben an der Hebrew University nach den Angriffen vom 7. Oktober verändert?
Menachem Ben-Sasson: Seit dem 7. Oktober ist Israel nicht mehr dasselbe Land. Die Angriffe haben alle Aspekte des Lebens verändert. Wir sind ein Land in Schmerzen. Und natürlich hat sich auch das Universitätsleben grundlegend verändert. Ein Drittel unserer Studierenden ist zum Militärdienst eingezogen worden. Innerhalb einer Woche haben Tausende unserer Studenten die Universität verlassen. Bis heute sind viele von ihnen im Norden, im Westjordanland und im Gazastreifen im Einsatz. Unter diesen Umständen konnten wir den Lehrbetrieb nicht normal aufnehmen. Dank der immensen Anstrengungen der Lehrkräfte und der Studenten konnten wir das Semester jedoch im Dezember beginnen.

Menachem Ben-Sasson, ehemaliger Präsident der Hebrew University of Jerusalem
Menachem Ben-Sasson, ehemaliger Präsident der Hebrew University of Jerusalem

© Bernd Wannenmacher

Wie gehen die Studierenden mit dieser schwierigen Situation um?
Menachem Ben-Sasson: Wir sind eine internationale und multireligiöse Universität. Wir haben ganz verschiedene Studierende – israelische und palästinensische, Juden, Muslime, Christen und andere Religionen. Und natürlich viele Studierende aus der ganzen Welt. Glücklicherweise herrscht unter unseren Studierenden ein starkes Gemeinschaftsgefühl, das von unseren „Student Ambassadors“ proaktiv gefördert wird. Das sind junge Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen. Nach den Angriffen haben sie geholfen, Plattformen zu schaffen, auf denen Studierende zusammenkommen und diskutieren können.

Wir verlangen von unseren Studierenden nicht, dass sie nicht protestieren. Wir ermutigen sie, sich politisch zu engagieren. Allerdings müssen sie eine gemeinsame Sprache finden. Auf unserem Campus treffen sich Palästinenser aus Ost-Jerusalem mit jungen Israelis, die vielleicht als Soldaten in Gaza gekämpft haben. Jeden Morgen, wenn sie in die Universität kommen, müssen sie ihre eigenen Identitäten und Vorstellungen ein Stück weit aufgeben und beginnen, Brücken zu bauen. Es ist beeindruckend zu sehen, wie sie miteinander reden und wie tolerant sie sind. Auf unserem Campus haben wir niemals eine Kluft zwischen unseren jüdischen und arabischen Studierenden erlebt.

Die Berliner Delegation beim Besuch der Hebrew University of Jerusalem, im Mandel Institute of Jewish Studies im März 2024.
Die Berliner Delegation beim Besuch der Hebrew University of Jerusalem, im Mandel Institute of Jewish Studies im März 2024.

© Danna Philosoph-Hovav HUJI

Herr Professor Ziegler, wie haben Sie die Atmosphäre auf dem Campus wahrgenommen?
Günter M. Ziegler: Die studentischen Botschafterinnen und Botschafter haben im Dialog an der Hebrew University und zwischen den verschiedenen Studierenden eine besondere Rolle. Vier von ihnen, die ganz unterschiedliche Hintergründe haben, konnte ich in einer Diskussionsrunde persönlich kennenlernen. Es war sehr beeindruckend zu sehen, wie sie es schaffen, einander trotz aller Unterschiede auf Augenhöhe und ohne Ressentiments zu begegnen. Insbesondere vor dem Hintergrund der Konflikte, die wir auf dem Campus der Freien Universität erleben mussten, war dies eine bereichernde und berührende Erfahrung.

Diese gelebte Bereitschaft zur gegenseitigen Verständigung und zum Austausch auch unter zum Teil schwierigsten persönlichen Bedingungen macht mir Hoffnung. Zum kommenden Sommersemester werden wir uns mit der gesamten Hochschulleitung der Freien Universität noch einmal intensiv zusammensetzen. Wir werden gemeinsam Maßnahmen auf den Weg bringen, damit wir den friedlichen und respektvollen Umgang auf dem Campus stärken können. Wir sind hierzu auch in Gesprächen mit der Hebrew University, um möglicherweise gemeinsame Projekte in diese Richtung anzustoßen.

Die Freie Universität und die Hebrew University sind durch eine lange Geschichte miteinander verbunden. Welche Bedeutung hat die Partnerschaft für Sie?
Günter M. Ziegler: Studierende der Freien Universität haben bereits im Jahr 1957 gemeinsam mit dem damaligen Rektor an die Hebrew University geschrieben, um einen Studierendenaustausch zu initiieren. Die ersten Besuche von FU-Studenten in Israel sind dann auch 1963 realisiert worden. Beide Universitäten haben also schon zusammengearbeitet, bevor Deutschland und Israel im Jahr 1965 offiziell diplomatische Beziehungen aufgenommen haben. Seither haben beide Hochschulen eine langfristige strategische Partnerschaft aufgebaut. Sie erstreckt sich über vielfältige Austauschprogramme bis hin zu einem gemeinsamen Doktorandenprogramm. Es ist eine vertrauensvolle und belastbare Partnerschaft. Das habe ich bei meinem Besuch wieder gespürt, und dafür bin ich sehr dankbar.

Menachem Ben-Sasson: Deutschland ist unser engster akademischer Nachbar und einer unserer wichtigsten akademischen Partner. Die Solidarität, die wir von deutschen Universitäten und insbesondere der Freien Universität erfahren haben, war beispiellos. Das Verständnis, das durch die Zusammenarbeit entsteht, ist von enormer Bedeutung. Unsere Studierenden stehen Schlange, um an unseren Partnerprogrammen mit der Freien Universität teilzunehmen. Sie sind begierig darauf, die deutsche Sprache und Kultur kennenzulernen. Und natürlich freuen wir uns sehr, wenn wir Studierende der Freien Universität und anderer deutscher Hochschulen auf unserem Campus begrüßen dürfen. Für viele, viele Menschen in beiden Ländern haben unsere Programme zu lebenslangen, dauerhaften Verbindungen und Freundschaften geführt.

Wie wird die Zukunft der Partnerschaft aussehen?
Günter M. Ziegler: Ein großes Projekt, das wir uns vorgenommen haben, ist die Einrichtung zweier Stiftungsprofessuren, die an der Freien Universität und der Hebrew University in engem Austausch arbeiten sollen. Mein Ziel ist es, Israelstudien an der Freien Universität zu verankern. Forschung und Lehre zur Geschichte und Politik Israels sind in Deutschland und Berlin besonders wichtig, aber eine Professur dafür gibt es bislang in ganz Deutschland noch nicht. Die Professur an der Hebrew University soll den Fokus auf Menschenrechte und Antisemitismus legen.

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