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FDP-Chef Christian Lindner will die Deutschen zu mehr Arbeit animieren.

© REUTERS/Carla Carniel

Update

Mit sozialer Härte aus der Wirtschaftskrise: FDP will Rente mit 63 abschaffen – und Jobverweigerer stärker sanktionieren

Die Ampelparteien ringen um eine Antwort auf Deutschlands Wachstumsschwäche. Ein FDP-Papier enthält nun allerhand Zumutungen – für Arbeitslose und die Koalitionspartner.

Die FDP rüstet sich für die anstehenden Wahlkämpfe und nimmt dafür auch einen wirtschaftspolitischen Grundsatzstreit in der Ampelkoalition in kauf. Das Präsidium der Partei wird dazu an diesem Montag „12 Punkte zur Beschleunigung der Wirtschaftswende“ beschließen.

Wohl am schwierigsten zu verdauen für die Koalitionspartner: Die FDP will Arbeitslose, die Job-Angebote ablehnen, härter sanktionieren. Wer zumutbare Arbeit ohne gewichtigen Grund ablehne, „sollte mit einer sofortigen Leistungskürzung von 30 Prozent rechnen müssen“, heißt es in dem Papier, das dem Tagesspiegel vorliegt. Zuerst hatte die „Bild“ darüber berichtet. Der verfassungsrechtliche Spielraum für verschärfte Sanktionen müsse ausgenutzt werden, bis hin zu einer vollständigen Streichung von Leistungen.

Moratorium für Sozialleistungen

Die Liberalen fordern darüber hinaus, erneut ein Moratorium für zusätzliche Sozialleistungen. Die Rente mit 63 will die Partei abschaffen. Für Überstunden bei Vollzeitstellen soll es, wie von Parteichef Christian Lindner angekündigt, steuerliche Vorteile geben.

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SPD-Chef Lars Klingbeil kritisierte die FDP-Vorschläge als Angriff auf die wahren Leistungsträger im Land. „Es ist richtig, dass wir etwas tun müssen, um die Wirtschaft anzukurbeln, Arbeitsplätze hier im Land zu sichern und neue zu schaffen. Dafür tragen wir in der Regierung gemeinsam Verantwortung. Wenn die FDP aber glaubt, dass es der Wirtschaft besser geht, wenn es Handwerkern, Krankenschwestern oder Erzieherinnen schlechter geht, dann irrt sie gewaltig“, sagte Klingbeil am Sonntag der „Bild“.

Der SPD-Chef weiter: „Wir lassen nicht zu, dass Politik auf dem Rücken derjenigen gemacht wird, die hart arbeiten und das Land am Laufen halten. Wer 45 Jahre lang in Krankenhäusern, Kitas oder auf dem Bau für unser Land schuftet, hat ein Recht auf eine abschlagsfreie Rente. Das bleibt.“

Für SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ist das FDP-Papier ein „Überbleibsel aus der Mottenkiste“

© dpa/Michael Kappeler

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich nannte das Papier „ein Überbleibsel aus der Mottenkiste und nicht auf der Höhe der Zeit“. Der FDP-Beitrag habe nichts mit wirtschaftspolitischer Kompetenz zu tun, „sondern mit weiteren Belastungen für die arbeitende Bevölkerung“. Man werde nichts machen, „was Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schwächt und den sozialen Gedanken des Grundgesetzes aushebelt“.

Entlastungen für die Wirtschaft

Für die Wirtschaft fordert die FDP Entlastungen. Die Liberalen wollen den Solidaritätszuschlag, den derzeit vor allem Inhaber-geführte Unternehmen noch zahlen, vollständig abschaffen. Das deutsche Lieferkettengesetz, das deutschen Unternehmen vorschreibt, auch im Ausland soziale Mindeststandards einzuhalten, möchten die Liberalen aussetzen. Zudem soll es ein jährliches Bürokratieabbaugesetz geben. Und die FDP will die Förderung der Erneuerbaren Energien „schnellstmöglich beenden“. Aus Sicht der Liberalen sind Windkraft und Solarstrom längst marktreif.

Das Präsidiumspapier dient auch der Vorbereitung des Parteitags am kommenden Wochenende. Ihren Anhängern wollen die Liberalen zeigen, was FDP-Pur heißt – vor allem im Hinblick auf die Europawahl und die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im Herbst.

Im Sommer wird’s ernst

Im Sommer, wenn Finanzminister Lindner seinen Haushaltsentwurf vorlegt, dürfte es in der Ampelkoalition zudem einen Grundsatzstreit über die Wirtschaftspolitik geben. Mit ihrem Papier legt die FDP nun dar, wie sie Deutschlands Wirtschaftskrise überwinden will. In der Partei hofft man, zumindest einzelne Punkte davon auch in der Koalition durchsetzen zu können. Zugleich ist den Liberalen klar, dass SPD und Grüne viele der Ideen nicht mittragen werden.

Grünen und SPD setzen auf andere Akzente

Die Grünen-Fraktion im Bundestag will ganz andere Akzente setzen. Damit sich mehr Arbeit lohnt, fordert Fraktionsvize Andreas Audretsch statt den von der FDP vorgeschlagenen steuerfreien Überstunden „mehr Tariflöhne und einen fairen Mindestlohn“. Man wolle eine echte Lohnuntergrenze bei 60 Prozent des mittleren Lohns einführen. Laut Audretsch läge der Mindestlohn damit 2024 bei 14 Euro, 2025 bei 15 Euro. Gute Löhne sieht der Arbeits- und Sozialpolitiker als beste Grundlage für eine stabile Rente.

Um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, will Audretsch mehr investieren. „Wir brauchen eine Reform der Schuldenbremse, um Deutschland zu erneuern“, sagte er. Audretsch schlägt einen „Deutschland-Investitionsfonds“ vor, um gegen „zerfallende Brücken, kaputte Schienen und Schulen“ vorzugehen.

„Den Ansatz weiter Bürokratie abzubauen finde ich begrüßenswert“, sagte SPD-Fraktionsvize Verena Hubertz dem Tagesspiegel, „allerdings wäre das Bürokratieentlastungsgesetz IV in Federführung der FDP ein guter Zeitpunkt gewesen, damit ambitionierter zu starten“, schoss Hubertz gegen die Liberalen und Justizminister Marco Buschmann. „Dies werden wir jetzt parlamentarisch nachholen.“

Für unbezahlbar hält Hubertz eine Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Um Wachstumsimpulse zu setzen, forderte sie stattdessen „Investitionsprämien in Klimaneutralität und digitale Innovationen“.

Ähnlich wie die Grünen kann sich die SPD außerdem einen Staatsfonds vorstellen, der „gezielt in Transformation und Infrastruktur investieren und den Bundeshaushalt entlasten“ soll, sagte sie. Einen ähnlichen Vorschlag hatte auch der liberale Verkehrsminister Volker Wissing gemacht. Bisher kommt seine Idee allerdings vor allem bei Grünen und SPD an, weniger bei den Finanzpolitikern der FDP.

Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder nannte das Papier bei „Bild“ „nichts anderes als eine Scheidungsurkunde für die Ampel!“ So dramatisch sieht man das in Koalitionskreisen nicht. Aber klar ist: Der Weg zu einer gemeinsamen Antwort auf Deutschlands Wachstumsschwäche ist für SPD, Grüne und FDP noch weit.

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