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Im Pavillon der Ukraine

© Biennale

Venedig Biennale: Die Kunst als Spielball der Politik 

Stoffbeutel, Vogelanstecker, Parolen – und die bolivianisch-russische Freundschaft: Wie sich die Ukraine, Russland, Israel, Iran und China bei der Venedig Biennale präsentieren.

88 Nationen präsentieren bei der wichtigsten Kunstschau der Welt ihre Werke. Viele schenken den Kritikern, Künstlern und Kuratoren, die zu den Vorbesichtigungstagen in Scharen nach Venedig reisen, Stoffbeutel. Einen edlen mit arabischer Schrift von den Arabischen Emiraten, wechselnde Sprüche bei der Ukraine, auffälliges Blau bei Großbritannien.

So wenig wie man weiß, wie und warum jemand zu einem bestimmten Exemplar gegriffen hat, – aus Liebe zum Land, zur Kunst oder zum Design –, ist transparent, wie die Länder ihre Künstler auswählen. Manche Nation überlässt es unabhängigen Kuratoren, bei anderen entscheidet das Kulturministerium. Die Künstler wiederum nutzen unterschiedliche Strategien, um sich zur aktuellen Politik ihres Landes zu verhalten.

Israels Pavillon bleibt zu

Ruth Patir, die für Israel dabei ist, lässt den Pavillon zu. Bis eine Vereinbarung über einen Waffenstillstand in Gaza getroffen und die Freilassung der israelischen Geiseln erreicht sei, wie sie per Aushang mitteilt. Die Künstlerin hat das gemeinsam mit den Kuratorinnen entschieden. Zuvor hieß es lange, das Trio wolle an einem Beitrag festhalten, den Patir bereits vor dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober geplant hatte.

Das Preview-Publikum drückt sich nun die Nasen an der Scheibe platt, möchte einen Blick auf Patirs Videoinstallation „M/Otherhood“ erhaschen, die drinnen trotzdem läuft. Den Aktivisten der Gruppe „Art not Genozid Alliance“ (ANGA), die vor Beginn der Biennale wegen des „Völkermords“ in Gaza einen Ausschluss Israels gefordert hatten, reicht das bei Weitem nicht. Am Mittwoch tauchten sie vor dem israelischen Pavillon auf, riefen „Shut it down“ und warfen blutrote Flugblätter mit der Aufschrift „Kein Tod in Venedig“ in den Himmel. Die wurden zum amerikanischen Pavillon geweht, der samt Deutschland und Frankreich sowieso mitgemeint war. Dort wurden sie dann von Biennale-Mitarbeitern aufgehoben und in Müllsäcke gepackt.

Vor Russlands Pavillon gab es keinen Protest. In dem prächtigen, grün gestrichenen Gebäude in den Giardini werden Beiträge indigener Künstler aus Bolivien gezeigt, die an selbst ermächtigende Handwerkskunst und koloniale Gewalt erinnern. Russland überließ seinen Pavillon proaktiv dem südamerikanischen Land. Geopolitisches Kalkül? Moskau hat in Bolivien gerade einen großen Lithium-Deal abgeschlossen und untermauert sein Interesse an den Rohstoffen auch kulturell.

Bolivianisch-russische Freundschaft

Auf einem Plakat im Eingangsbereich bedankt sich Esperanza Guevara, Boliviens Ministerin für Kultur, Dekolonialisierung und Depatriarchialisierung beim russischen Staat, der wie ein „Freund“ dafür gesorgt habe, dass sich die Machtverhältnisse in den Giardini ändern und nun auch Bolivien Gehör finde. So werden hier alle zum Spielball der Politik – Biennale, Zuschauer und Künstler.

Am zweiten wichtigen Ort der Biennale, im Arsenale, finden neben der Hauptausstellung von Biennale-Leiter Adriano Pedrosa auch diejenigen Länder Platz, die kein eigenes Gebäude in den Giardini haben. Dazu gehören Singapur, Südafrika, Argentinien und viele mehr, auch die Ukraine. Sie bekam 2022 nach dem Angriff Russlands eine eigene Plaza im Zentrum der Giardini.

Dieses Jahr aber muss sich die Ukraine mit der kleinen Ausstellungsfläche im Sale D’armi im ersten Stock des Arsenale begnügen, und die Kuratoren Viktoria Bavykina and Max Gorbatskyi sorgten selbst für Sponsoren und Geldgeber. Die ukrainische Regierung schickte zwar zur Eröffnung am Donnerstag eine Videobotschaft der First Lady Olena Selenska, übernahm aber erst nach einigem Hin und Her 30 Prozent der Ausstellungskosten.

Verbindende Tarnnetze

„Net Making“ lautet das Motto. Zu sehen sind Werke von sechs Künstlern, die alle mit Kollektiven oder Communities zusammengearbeitet haben. Das Flechten von Tarnnetzen ist in Kriegstagen wichtig und verbindend. Es dient den Kuratoren als Sinnbild für den „gegenwärtigen Zustand der modernen Ukraine“. Eine Nation im Krieg, deren Bevölkerung entwurzelt, an der Front, im Exil oder innerhalb des Landes verstreut ist, braucht Strategien, um in Verbindung zu bleiben und Gemeinschaft zu erhalten. Bavykina and Gorbatskyi, zwei Spezialisten für ukrainische Fotografie, die in Liverpool leben, gebrauchen außerdem den Begriff „Otherness“, der auch bei vielen der Künstler aus dem globalen Süden in der Hauptausstellung verfängt.

10.000
Vogelanstecker, die auf das veränderte Verhältnis von Mensch und Natur hinweisen, werden beim Pavillon der Volksrepublik China verschenkt.

Wie der Krieg im Alltag aussieht, zeigen Andrii Rachynskyi und Daniil Revkovskyi, beide Anfang der 1990er Jahre geboren. Das Duo aus Charkiw hat mit gefundenem Videomaterial gearbeitet. Sie haben kurze Filmsequenzen montiert, die Zivilisten vor und während des Einmarsches der russischen Armee in der Ukraine auf Plattformen wie TikTok oder Youtube gepostet haben: zerborstene Bahngleise, verschreckte Hunde, Rauch, Raketeneinschläge, ein Mädchen, das in den Schutzbunker hinabsteigt. Indem ein Algorithmus nach Stichworten wie „Raketenangriff“ oder „Beerdigung“ filterte, entreißen die Künstler das Material dem großen digitalen Bilderstrom. Es soll auch als Beweis für Kriegsverbrechen dienen.

Etwas weiter hinten auf der Arsenale-Insel liegt der Pavillon der Volksrepublik China. Sein Thema: „Atlas: Harmonie in der Vielfalt“, inspiriert von einem chinesischen Schriftzeichen, dem ji. Es wird mit Wörtern wie „sammeln“ oder „zusammenführen“ in Verbindung gebracht. Gezeigt wird ein Konvolut antiker chinesischer Zeichnungen, die sich in Sammlungen in Europa oder USA befinden, flankiert wird das Ganze von sieben zeitgenössischen Beiträgen. Eine Künstlerin hat 10.000 Vogelanstecker gebastelt, die auf das veränderte Verhältnis von Mensch und Natur hinweisen. Sie verschenkt sie an die Biennale-Besucher, die diesen Gruß aus China in die Welt tragen sollen.

Es gibt auch Pavillons, die in den Hauptorten keinen Platz gefunden haben und draußen in der Stadt in verschiedenen Palazzi untergebracht sind. Im iranischen Pavillon etwa wäre die aktuelle Politik, mit Blick auf die Künstlerliste, wohl kein Thema gewesen. (Update: Am angegebenen Ort fand sich schließlich – nichts. Nur ein Plakat, das scheinbar die Menschenrechtsgruppe „Women Life Freedom“ angebracht hat. Die Islamische Republik habe ihren Flieger verpasst, weil sie damit beschäftigt gewesen sei, Israel zu bombardieren und das iranische Volk zu drangsalieren, heißt es dort sarkastisch. Wo die Iraner wirklich sind, darüber gab es keine offizielle Information.)

Die Republik Kongo nennt ihren Beitrag „Lithium“, das Land hat riesige Bestände. Palästina wiederum findet in den Giardini nur in Form von Flugblättern und den Beiträgen einiger Künstler Platz. Ein „Freedom Boot“ soll während der Preview-Tage auf dem Wasser kreuzen und mit „Readings for Palestine“ Solidarität mit den Menschen in Gaza ausdrücken.

In der Magazzino Gallery in Dorsoduro haben die Biennale-Verantwortlichen dann doch eine Ausstellung mit Kunst aus dem von Israel besetzten Teil des Westjordanlands in ihr offizielles Begleitprogramm aufgenommen, organisiert von Artists and Allies of Hebron, die in ihren sonstigen Äußerungen oft deutlich gegen Israel Stellung beziehen. Hier geht es unter anderem um das Leben im südlichen Westjordanland, das geprägt ist von den Auseinandersetzungen mit jüdischen Siedlern und deren systematischer Zerstörung von Olivenbäumen. Kunst aus Gaza wäre sinnvoller gewesen, nörgeln manche.

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