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Ultraorthodoxe verbrennen gesäuerte Lebensmittel während des Biur Chametz-Rituals vor dem Pessach-Fest in Jerusalem.

© AFP/MENAHEM KAHANA

Ostern in Jerusalem: Als wäre Gott Immobilienmaker

Die Juden feiern in dieser Woche Pessach, die Muslime Ramadan und die Christen Ostern. Doch alle in der Stadt des Friedens fürchten nur eines: eine gewalttätige Eskalation.

Von Tessa Szyszkowitz

In Mea Schearim, dem ultraorthodoxen Bezirk der aschkenasischen, europäischen Juden in Jerusalem, herrscht am Mittwochmittag Hochbetrieb. Feuer lodern in den Straßen – traditionell werden vor dem Beginn des Pessachfestes alle Speisen verbrannt, die „hametz“ sind. Alles, was mit Getreide und Wasser in Verbindung gekommen ist, ist nicht koscher für Pessach.

Durch die kleinen Gassen eilen Männer mit langen Bärten, Schläfenlocken und Hüten in schwarzen Seidenmänteln. Sie tragen Plastiktüten mit letzten Einkäufen nach Hause. Die Frauen bereiten zu Hause das traditionelle Essen zu, mit dem die Juden den Auszug der Hebräer aus Ägypten, das Ende ihrer Sklaverei und ihre Freiheit feiern.

Im arabischen Viertel in der Altstadt herrscht dagegen schläfrige Ruhe. Denn die Muslime feiern in diesen Wochen den Ramadan. Dreißig Tage wird von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang gefastet. Wer nicht unbedingt muss, arbeitet nicht. Nur im Qudr, der Suppenküche für Arme, schneidet Koch Ramsi in Windeseile kiloweise Zwiebeln klein. Seit 1533 kommen die armen Familien von Jerusalem hier abends eine warme Mahlzeit abholen.

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So ruhig es tagsüber ist, umso heftiger knallt es in der Nacht.  Auf dem Haram al-Sharif, der den Juden als Tempelberg heilig ist, verbarrikadierten sich hunderte Betende in der Nacht auf Mittwoch in der al-Aqsa-Moschee, die israelische Polizei räumte das Areal nach heftigen Kämpfen. Die islamistische Hamas im Gazastreifen und die israelische Armee beschossen sich gegenseitig mit Raketen.

Jerusalem, die Stadt des Friedens, ist wieder einmal das Zentrum religiöser, nationalistischer Spannungen. Statt die gemeinsamen Wurzeln der drei Religionen zu feiern, bekriegen sich vor allem jene beiden Religionen, die heute territoriale Ansprüche auf die Stadt stellen: Juden und Muslime.

Füßewaschen als Demutsgeste

Die christlichen Kirchen streiten sich dagegen nur untereinander darum, wer welche heilige Ecke in der Grabeskirche kontrollieren darf. Um Konflikte zu vermeiden, hütet seit 700 Jahren palästinensische Familie Nusseibeh die Schlüssel zur Grabeskirche. Sami Nusseibeh steht im Eingang und sagt: „Morgen Vormittag ist für Touristen geschlossen, da kommen alle zum traditionellen Fußwaschen.“ Diese Demutsgeste hat schließlich auch schon Jesus bei seinen Jüngern zur Anwendung gebracht.

In Jerusalem ist jeder Stein mit religiöser Bedeutung aufgeladen. Als hätte sich Gott als Immobilienmaker betätigt. Die Juden beten an der Westmauer des Tempelberges, auf dem bis zu ihrer Vertreibung vor knapp 2000 Jahren der Tempel stand. Den Muslimen gilt eben dieser Hügel als drittheiligster Ort, auf dem Haram al-Sharif stehen die Al-Aqsa-Moschee und der Felsendom, von dem aus der Legende nach Mohammed im 7. Jahrhundert auf einem Pferd in den Himmel ritt. Die Christen wiederum verehren jeden Stein auf der Via Dolorosa, auf der Jesus sein Kreuz geschleppt haben soll.

2023 ist alles noch angespannter als sonst, weil alle drei Religionen dank der Überschneidung ihrer Kalender gleichzeitig feiern. Außerdem haben sich liberaldemokratische Israelis in den größten Demonstrationen der Geschichte ihres knapp 75 Jahre alten Staates nun wochenlang gegen die Pläne von Benjamin Netanjahus rechtsradikaler Regierung aufgelehnt, mit einer Justizreform die unabhängigen Richter zu schwächen. Netanjahu hat, um den Pessachfrieden zu retten, die geplanten Reformen erst einmal eingefroren. Die siegreichen Demonstranten wünschen sich in diesem Jahr deshalb „Frohes Freiheitsfest“.

Auch der rechtsextreme Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir musste seine Pläne den Gegebenheiten anpassen. Ben-Gvir hatte noch im Januar mit einem provokativen Besuch auf dem Tempelberg Aufmerksamkeit erregt.  Er wollte zu Pessach auf dem Tempelberg ein Lamm schlachten. Das ist zwar in der Bibel so vorgesehen, aber im modernen Israel ist es eine politische Provokation. Nicht alles, was Ben-Gvir als Siedleraktivist früher vertreten hat, kann er jetzt als Sicherheitsminister umsetzen. Zumindest nicht in dieser ultraheiligen Woche, in der jedes Zündholz einen interreligiösen, nationalistischen Flächenbrand auslösen kann.

In der Altstadt stehen jetzt schon an jeder Ecke schwer bewaffnete israelische Soldaten. Für Freitagmittag, wenn 250.000 moslemische Palästinenser zum Freitagsgebet auf den Haram al-Sahrif drängen, werden in der Stadt des Unfriedens schlimme Ausschreitungen befürchtet.

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