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Einige von Franquins berühmtesten Figuren auf einem Gruppenbild.

© Dupuis by Franquin 2023, all rights reserved

Er erfand das Marsupilami und Gaston: Ein „Hubahuba“ zum 100. Geburtstag von André Franquin

Er prägte den europäischen Comic wie nur wenige andere, sein Erbe lebt bis heute fort. Jetzt jährt sich der Geburtstag von André Franquin zum hundertsten Mal.

Sein Werk war stilbildend für Generationen europäischer Comics, an diesem Mittwoch vor 100 Jahren wurde er geboren: André Franquin, der Zeichner von unvergesslichen Figuren wie Spirou und Fantasio sowie Erfinder des Marsupilamis und dem chaotischen Redaktionsboten Gaston Lagaffe.

Franquins geistige Heimat war das „Journal de Spirou“, das der Verleger Jean Dupuis seit 1938 in Marcinelle bei Charleroi herausgab. Dupuis war ein engagierter Katholik, dem die Verbreitung christlicher Werte am Herzen lag. In den damals noch verpönten Comics entdeckte er sein Medium dafür.

So erschienen in „Spirou“ - abgeleitet vom wallonischen Wort für „Eichhörnchen“ oder „Lausejunge“ - auch explizit christliche Comics, die das Leben von Heiligen nachzeichneten. Auch Johann und Pfiffikus, die Schlümpfe, Lucky Luke, Bill et Boule (Schnief und Schnuff) - sie alle stammen aus Marcinelle.

André Franquin auf einem Foto aus dem Jahr 1979.
André Franquin auf einem Foto aus dem Jahr 1979.

© Public Domain / Carlsen

Die Verbreitung der populären US-amerikanischen Comics war von der NS-Besatzungsmacht untersagt. „Spirou“ versuchte mit einer Fülle von Talenten die wachsende Nachfrage nach Comics zu decken. Nach schweren Anfangsjahren, unter anderem durch die Rekrutierung von Zeichnern als Soldaten, begann ab 1946 im Verlagshaus Dupuis ein „goldenes Zeitalter“.

Es entwickelte sich neben dem französischen „Tintin“ (Tim und Struppi) rasch zum führenden Comic-Magazin in Europa; ja, mit „Spirou“ avancierte der Comic von der verpönten „Volksverdummung“ zur Kunstform.

Chaot vom Dienst: Eine klassische Gaston-Szene von André Franquin.
Chaot vom Dienst: Eine klassische Gaston-Szene von André Franquin.

© Dupuis by Franquin 2023, all rights reserved

Franquin betreute seit Ende der 40er Jahre die Titelhelden Spirou und Fantasio mit ihrem Eichhörnchen Pip. In den 50ern bereicherte er deren bald weltweite Abenteuer um zahlreiche Nebenfiguren, etwa den verschrobenen Wissenschaftler Graf von Rummelsdorf (im Original: Champignac) - und ab 1952 den Publikumsliebling: das südamerikanische Fabelwesen Marsupilami aus dem Urwald Palumbiens mit seinem Multifunktionsschwanz und dem prägnanten Ausruf „Hubahuba!“

Franquins aufwändiger Zeichenstil spiegelte Wohnkultur und Futurismus der 50er Jahre, thematisierte die zunehmende Technokratie und die Diktaturen Lateinamerikas.

Als Spielwiese für seine anarchische Ader schuf sich Franquin 1957 als neuen Helden auch den chaotischen Redaktionsboten Gaston Lagaffe, der schon bald zum Publikumsliebling avancierte und Antiheld einer selbstständigen Serie wurde.

Publiumsliebling: Das Marsupilami hatte 1952 seinen ersten Auftritt.
Publiumsliebling: Das Marsupilami hatte 1952 seinen ersten Auftritt.

© Dupuis by Franquin 2023, all rights reserved

Allerdings überarbeitete sich Franquin, erlitt im Dezember 1961 – trotz der Hilfe von Assistenten – einen Zusammenbruch. Nach schweren Depressionen und Gelbsucht konnte er erst 1963 wieder einsteigen. Für seine Arbeit an Gaston gab er 1968 schließlich das Flaggschiff „Spirou und Fantasio“ an den Bretonen Jean-Claude Fournier ab.

Im Verlagshaus Dupuis gab es ein gemeinsames Ziel: die Verbesserung der Gesellschaft. In den wilden 70er Jahren hatten dann auch die Zeichner von „Spirou“ ein gesteigertes Bedürfnis, sich gedanklich auszutoben. Eine Frucht davon waren etwa Franquins „Schwarze Gedanken“, erschienen von 1977 bis 1982 in der „Spirou“-Beilage „Le Trombone Illustre“.

Franquin verarbeitete darin künstlerisch seine makabren Gedanken über Sinn und Unsinn des Lebens, die so gar nicht zu den munteren Szenarios von Spirou, Gaston und dem Marsupilami passen wollen. Die bitterbösen „Schwarzen Gedanken“ trugen wesentlich zur Entwicklung der modernen Erwachsenen-Comics bei.

Schwarze Gedanken: Eine Franquin-Zeichnung aus den späten 70er Jahren.
Schwarze Gedanken: Eine Franquin-Zeichnung aus den späten 70er Jahren.

© Dupuis by Franquin 2023, all rights reserved

Zwischen 1982 und 1985 konnte Franquin wegen schwerer Depressionen nicht mehr arbeiten. Danach entstanden letzte Gaston-Geschichten, allerdings ohne die Dynamik und Laune alter Zeiten. André Franquin starb, zwei Tage nach seinem 73. Geburtstag, in der Nacht zum 5. Januar 1997 in Nizza an Herzversagen. Er hinterließ seine Frau Liliane, mit der er seit 1950 verheiratet war, eine Tochter - sowie ein kleines Universum unsterblicher Comic-Figuren.

Viele von Franquins Schöpfungen und die von ihm geprägten Figuren haben seitdem ein Eigenleben entwickelt. So werden die Abenteuer von Spirou und Fantasio seit den siebziger Jahren von zahlreichen anderen Autoren und Zeichnern fortgeführt, zuletzt auch von Flix mit einer Geschichte, die in Deutschland spielt. Der Berliner Comicautor hat jüngst auch ein neues Marsupilami-Album an der Spree spielen lassen.

„Als ich anfing, habe ich Franquin kopiert“, hat Flix mal in einem Tagesspiegel-Interview erzählt. „Gaston, Spirou, die Schwarzen Gedanken – die habe ich sehr geliebt und ich habe versucht, ihm alles nachzumachen.“ Mit anfangs mäßigem Erfolg: „Ich bin an diesem Strich verzweifelt, diesen unfassbar flott und leicht hingeworfenen Zeichnungen.“

Franquins Stil, so Flix, lebe von der Kombination aus Präzision und Geschwindigkeit. „Wenn du das langsamer machst, wird’s sofort steif.“ Wieder und wieder habe er in seinen ersten Büchern versucht, den besonderen frankobelgischen Stil nachzumachen und die enorme Varianz an Linien zu erreichen, die Franquin mit seinem Pinsel erreichte.

Und auch Gaston wurde kürzlich wiederbelebt. Im März 2024 erscheint das Album „Die Rückkehr eines Chaoten“ auf Deutsch. Es ist der erste neue Gaston-Band des kanadischen Zeichners Delaf, der sich stilistisch stark an André Franquin orientiert. Mehr dazu in Kürze auf den Tagesspiegel-Comicseiten. (KNA, mit lvt)

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